Man stelle sich folgende Situation vor: Der recht unerfahrene Hansjörg B. hat sich online für das Main Event der EPT Berlin qualifiziert und ist mit mehr Glück als Verstand an den Final Table gekommen.
Etwa zehn Minuten nach dem Start des Final Table kommt plötzlich Sam Trickett, einer der besten und erfahrensten Turnierspieler der Welt, an den Tisch. Trickett nimmt sich einen Stuhl und setzt sich hinter Hansjörg. Er kennt die Karten von Hansjörg, trifft die wichtigen Entscheidungen und führt ihn später sogar zum Sieg. Die anderen Spieler am Tisch sind fassungslos und völlig paralysiert.
Was ist ghosting?
Im Live-Poker ist das oben Beschriebene eine völlig undenkbare Situation, im Online-Poker passiert Ähnliches öfter als man denkt. Als “ghosting” wird das Beraten bzw. coaching eines Spielers während einer laufenden Online-Partie bezeichnet.
Dabei kann der “coach” einfach mit am Rechner sitzen, es geht aber auch ganz leicht über Skype, Teamviewer oder andere Hilfsprogramme aus der Ferne. Der Helfer sieht den Bildschirm seines Schützlings und trifft die Entscheidungen.
Wie funktioniert es?
Auf einschlägigen Plattformen wie Twoplustwo, PokerStrategy oder Cardrunners tummeln sich potentiell viele Experten, die im Prinzip nur einen Mausklick weit entfernt sind.
Ein Poker-Noob, der mit viel Sonne am den Finaltisch eines großen Online-MTT gelangt, z. B. den Sunday Storm auf PokerStars mit 11 Dollar Buy-in und oftmals mehr als hunderttausend Dollar Finaltisch-Ausschüttung, könnte plötzlich gut einen “live-coach” gebrauchen, der gegen Bezahlung in Form einer prozentualen Gewinnbeteiligung hilft.
Der Fall mTw-davin bei den FTOPS
2008 wurde dem PokerStrategy-User mTw-Davin zum Beispiel vorgeworfen, bei seinem $195.000-FTOPS-Sieg verbotenes ghosting betrieben zu haben, da er sich nach dem Turnier wie folgt äußerte:
“After everybody else had busted then, it was mainly steven who whipped me through the tourney, until I then got help from Nazgul and Thorsten when I had reached the Top 20.”
Nachdem die Vorwürfe dann laut wurden, wurde die News bzw. das Statement von mtw-davin wie folgt geändert: “After everybody else had busted then, it was mainly steven who kept me awake through the tourney, with Nazgul and Thorsten cheering me on as I reached the Top 20.”
Eine Besonderheit dieses Falles ist, dass mtw-davin weiß Gott kein Anfänger ist, der ohne fremde Hilfe keinen Blumentopf gewinnen kann.
Ist ghosting verboten?
Während es streng verboten ist, mit dem Account eines anderen zu spielen, ist die Sache beim ghosting nicht ganz so eindeutig. Das Problem ist, dass ja letztlich der Accountinhaber am Rechner sitzt und auf die Buttons klickt. Wer kann verbieten, dass z. B. ein Freund zufällig im Zimmer ist und dem Spieler über die Schulter schaut und seinen Senf dazugibt?
Man kann auch nicht verbieten, dass ein Spieler ein Pokerbuch vor sich liegen hat und dort möglicherweise Hilfe bekommt.
Ausdrücklich steht in den Geschäftsbedingungen für das Online-Pokerspiel der großen Anbieter auch nichts zum “ghosting”. Nur allgemein “betrügerische, rechtswidrige, unehrliche oder verwerfliche Handlungen” vorzunehmen, wie es beispielsweise bei PokerStars heißt, läuft den Bedingungen zuwider.
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Die Praxis der großen Pokerräume
Die Pokerrooms stellten sich in der Vergangenheit öfters auf den Standpunkt, ein bezahltes “live-coaching”, das einzig und allein den Zweck hat, einen Spieler in der Endphase eines Turniers zu pushen, verstoße gegen die Bedingungen und sei damit verboten. In der Tat könnte dies im Einzelfall eine “unehrliche oder verwerfliche Handlung” darstellen.
Aus Sicht der Gegner ist das verständlich. Man spielt ja gegen den Spieler, den man im Lauf des Turniers kennengelernt hat und so eine gewisse history besteht. Man will nicht von einer Hand auf die andere faktisch gegen einen eingekauften Experten, der gegen Geld alle Entscheidungen für den Strohmann trifft, antreten. Drückt dieser Experte via Teamviewer sogar noch die Buttons, könnte man dies schon fast unter account-sharing subsumieren.
Fazit
Ghosting im Online-Poker ist eine Grauzone. Die Übergänge von bloßen Ratschlägen und Meinungsaustausch hin zum kompletten “Übernehmen” sind fließend. Eingreifen können die Pokerrooms nur, wenn sie eindeutige Beweise haben, wenn sich also ein User z. B. in einem Forum eindeutig beschreibt, dass ihm Pro XY am Finaltisch praktisch jede Entscheidung abgenommen habe. Und wer wird das schon zugeben?
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 27.03.2013.