Im dritten Teil unserer Pokerbraimstorm-Reihe schauen wir uns Turnier-Situationen an. Neben der Auflösung der letzten Hand, wollen wir heute wissen, wie Ihr eine marginale Hand im Big Blind spielen würdet.
Ausgangslage
Der Protagonist spielt ein reguläres $55-Turnier online. Die Blinds steigen alle 10 Minuten und noch sind rund 60 von 200 Spielern dabei. Die Top 27 werden ausgezahlt. Der Startstack liegt bei 5.000 Chips und der Protagonist konnte einmal seinen Stack verdoppeln. In den letzten Orbits bekam er an seinem Tisch kaum spielbare Hände und war verhältnismäßig unauffällig. Die meisten seiner Gegner sind solide Regs, die regelmäßig viele Turniere spielen und wissen, was sie machen.
Hand 1
Die Frage zu Hand 1 und die Auflösung von Hand 1 wurde in den vorigen Artikeln abgehandelt.
Hand 2 – Auflösung
Die Blinds liegen bei 500/1.000 und 100 Ante.
Protagonist, Cut Off (t22.600 Stack): A 7
Button (t3.900)
Small Blind (t.43.300)
Big Blind (t12.400)
9 Spieler posten t100 Ante, der Small Blind postet t500, der Big Blind postet t1.000.
Alle folden zum Protagonisten. Dieser raist auf t2.200, der Button foldet, der Small Blind foldet, der Big Blind raist auf t12.300 (all-in). Der Protagonist … ?
So wollten unsere Leser weiterspielen:
Fold | 73% |
Call | 27% |
So ging diese Hand aus:
Der Protagonist callt.
Showdown: Der Big Blind zeigt K Q . Das Board verbessert keine der Hände, der Protagonist gewinnt mit Ass-hoch und spielt mit 36.200 Chips weiter.
Warum ein Call hier sinnvoll ist, wird weiter unter diskutiert.
Hand 3 – Entscheidung im Big Blind
Die nächsten Hände foldete der Protagonist und kam pünktlich zum nächsten Level in den Big Blind.
Die Blinds liegen bei 600/1.200 und 100 Ante.
Cut Off (t15.200 Stack)
Button (t10.900)
Small Blind (t22.100)
Protagonist, Big Blind (t35.800): K 10
9 Spieler posten t100 Ante, der Small Blind postet t600, der Big Blind postet t1.200.
Alle folden zum Cut-Off. Dieser raist auf t2.500, der Button und Small Blind folden, der Protagonist … ?
Wie spielt Ihr weiter?
Informationen zum Cut-Off: Der Spieler scheint äußerst aggressiv zu sein, spielt recht viele Turniere, ist aber – zumindest nach Daten mehrerer Tracking-Seiten – kein Gewinner (-4% ROI nach den letzten 1.500 Turnieren).
Lasst uns via Abstimmungstool (sollte rechts zu finden sein) oder via Kommentar wissen, wie Ihr hier warum spielt.
Zum Spiel in Hand 2
Zunächst kurz zum ursprünglichen Raise mit A7o: Viele Leser wollten diese Hand lieber direkt folden oder gleich selbst All-In gehen. Ein All-In mit effektiv 23 Big Blinds aus dem Cutt-Off ist bestenfalls grenzwertig und ein Overkill in Anbetracht der Stacks. Würde der Small Blind einen kleineren Stack haben, sähe dies anders aus. Aber so ist ein All-In ein unnötig riskantes Unterfangen.
Für einen Fold ist A7 aus dem Cut-Off etwas zu stark. Die Hand ist den Top-25% unserer Range und diese Range wollen wir in dieser Situation im Allgemeinen schon spielen. Hinzukommt, dass uns ein All-In des Buttons oder ein Reraise des Small-Blind vor keine unlösbare Entscheidung stellen. Den Button callen wir, auf den Small-Blind-Reraise folden wir.
Schwer kann uns das Leben nur der Big Blind machen, wenn er mit einem für einen Resteal ziemlich kleinen Stack, all-in geht und wir verlockende Pot-Odds bekommen. Und genau das passierte dann in der Hand:
Wann ist ein Call des All-Ins sinnvoll
Zunächst ein profaner Blick auf die Pot-Odds: Wir müssen t10.200 nachzahlen und spielten dann um einen Pot in Höhe von 26.000 Chips. Das heißt, damit der Call einen positiven Chip-Erwartungswert1 hat, benötigen wir eine Equity von 39,2%.
Wir sind zwar immer noch weit von der Bubble und einem starken ICM-Einfluss weg, aber dennoch wollen wir hier prinzipiell ein wenig mehr als nur einen Chip-Erwartungswert von +/-0, um zu callen, da potentiell gewonnene Chips weniger wert sind als potentiell verlorene. Aber sobald wir etwas über 40% Equity gegen den Big Blind haben, wird ein Call des All-Ins auch unter dieser Berücksichtigung ein gewinnbringender Zug.
Schauen wir uns unsere Equity gegen verschiedene Ranges des Big Blinds einmal an. In der folgenden Tabelle ist ferner auch der Chip-Erwartungswert eines Calls gegeben:
Range BB in Top-X-% | Equity mit A 7 | cEV eines Calls |
5% | 26,4% | -3.289 |
10% | 34,1% | -1.302 |
15% | 38,7% | -115 |
20% | 42,5% | 865 |
25% | 44,5% | 1.381 |
30% | 46,4% | 1.871 |
35% | 48,7% | 2.465 |
40% | 49,9% | 2.774 |
45% | 51,6% | 3.213 |
50% | 52,3% | 3.393 |
Graphisch stellt sich dies wie folgt dar:
Daraus wird ersichtlich, dass wir einen positiven Chip-Erwartungswert haben, sobald der Big Blind etwas mehr als die Top-15% seiner Range pusht. Eine Range von knapp 20% könnte zum Beispiel so aussehen: A7+, 77+, JT+, QT+, KT+. Dagegen hätten wir mit A7o eine Equity von 41% und einen recht deutlichen Call.
Ein aggressiver im Big Blind wird hier mit einer vergleichsweise weiten Range All-In stellen. Mit 12 Big Blinds kann er sich noch eine gewisse Portion Fold-Equity ausrechnen und ist mit sehr vielen Händen gegen unsere Range ein besserer Coinflip. Insofern ist es nicht unwahrscheinlich, dass er hier mit 20% oder mehr pusht.
Hinzukommt, dass wir eine recht robuste Hand haben. Selbst wenn der Big Blind nur mit den Top-10% aller Hände all-in gehen sollte (und das ist eine extrem tighte Annahme), würde ein Call langfristig nur etwa 1.300 Chips kosten. Ist der Big Blind jedoch aggressiver mit seiner Hand-Auswahl, hat ein Call einen deutlich höheren Chip-Erwartungswert als ein Fold.
Die Situation in dieser Hand ist zwar bei weitem nicht so klar wie bei der zuvor diskutierten Hand 1 und ein Fold ist sicherlich kein katastrophal falsches Spiel gegen den Big Blind, doch ist ein Call in diesem Fall die etwas bessere Alternative.
Habt Ihr Anmerkungen zu Hand 2 oder der nächsten Hand, freuen wir uns auf Kommentare und Diskussionen.
1 Chip-Erwartungswert meint den Erwartungswert in reinen Chip-Gewinnen oder Verlusten ohne Berücksichtigung von ICM oder ähnlichen Faktoren, wie möglichen Gewinnen oder Verlusten in späteren Händen.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 11.04.2016.