Im letzten Quiz fragten wir am Wochenende, wir unsere Leser eine Hand spielen würden, die Erik Seidel kurz zuvor um den Final-Table des Main-Events der WSOPE Berlin brachte.
Dabei sah sich Seidel mit einem (faktischen) All-In ausgesetzt und musste entscheiden, ob sein Ass-König gut genug dafür ist:
Erik Seidels Hand
Die Blinds liegen bei 15.000 / 30.000 (5.000 Ante), sieben Spieler sind noch im Rennen und sechs Spieler kommen an den Final-Table . So lief die Hand ab:
Kilian Kramer (UTG): 435.000
JC Alvarado (UTG+1): 1.070.000
Felix Bleiker (MP): 215.000
Andrew Lichtenberger (CO): 2.135.000
David Lopez (BU): 585.000
Kevin MacPhee (SB): 3.300.000
Erik Seidel (BB): 1.650.000 Karten: A♠ K♠
Diese Action entspinnt sich preflop:
Alle folden zu David Lopez. Dieser raist auf 65.000, Kevin MacPhee reraist auf 160.000, Erik Seidel 4-bettet auf 365.000 und David Lopez foldet.
Kevin MacPhee 5-bettet auf 760.000. Erik Seidel …?
Es ist davon auszugehen, dass MacPhee unabhängig von seiner konkreten Hand immer callen wird, wenn Seidel all-in geht.
Die Quizfrage war: Wie groß muss die gegnerische Range sein, damit man mit Ass-König in dieser Situation guten Gewissens seinen Stack investiert?
Der einfache Ansatz: Pod-Odds
Schauen wir uns das ganz zunächst einmal rein nach Pot-Odds an.
Seidel hat 365.000 Chips investiert und noch 1.285.000 Chips übrig. Geht er all-in (und wir gehen davon aus, dass MacPhee hier niemals foldet), muss er all seine Chips investieren, könnte dann aber einen Pot in Höhe von 3.385.000 Chips gewinnen.
Sprich: Nach Pot-Odds braucht Seidel eine Gewinnwahrscheinlichkeit von 1.285.000 ÷ 3.385.000. Das sind rund 38 Prozent.
Mit Ass-König hat man diese 38% gegen praktisch jede Range. Selbst wenn MacPhee hier nur Damen oder besser oder Ass-König (die Top-1,6%) spielen würde, hätte Seidel mit Ass-König-suited 42% Equity.
Nach Pot-Odds hätte Seidel hier also ein sehr einfaches, profitables All-In, praktisch unabhängig davon, was MacPhee hier spielt.
ICM: Chips sind nicht gleich Gewinn
Allerdings spielt man in einem Turnier in einer so späten Phase nicht mehr nur nach Pot-Odds, sondern muss auch berücksichtigen, dass gehaltene Chips und erwarteter Gewinn nicht eins zu eins korrespondieren.
ICM heißt as Zauberwort hier und wir haben die Bedeutung von ICM bei Turnieren bereits grundlegend erklärt.
Sehen wir uns zunächst einmal die Preisgelder in diesem Turnier an:
1. :€883.000
2. :€475.000
3. :€315.000
4. :€225.000
5. :€175.000
6. :€130.000
7. :€100.000
100.000 Euro hat jeder Spieler schon sicher, doch wenn Seidel hier und jetzt ausscheidet, werden es eben auch nicht mehr. Scheidet er nicht aus, hat er eine realistische Chance, deutlich mehr als diese 100.000 zu gewinnen.
Schauen wir uns einmal die Chipstände an, wenn Erik Seidel in der oben geschilderten Hand einfach auf den Reraise MacPhees foldet. Dazu berechnen wir mit einem ICM-Rechner, wie groß der erwartete Gewinn mit den jeweiligen Stacks ist:
Spieler | Chips | ICM-Erwartungswert |
---|---|---|
Kevin MacPhee | 3.795.000 | €573.000 |
Kilian Kramer | 435.000 | €215.000 |
JC Alvarado | 1.070.000 | €324.000 |
Felix Bleiker | 215.000 | €161.000 |
Andrew Lichtenberger | 2.135.000 | €445.000 |
David Lopez | 520.000 | €232.000 |
Erik Seidel | 1.285.000 | €353.000 |
Nun schauen wir uns die Chipstände und Erwartungswerte an für den Fall, dass Erik Seidel All-In geht und gewinnt:
Spieler | Chips | ICM-Erwartungswert |
---|---|---|
Kevin MacPhee | 1.715.000 | €399.000 |
Kilian Kramer | 435.000 | €212.000 |
JC Alvarado | 1.070.000 | €320.000 |
Felix Bleiker | 215.000 | €160.000 |
Andrew Lichtenberger | 2.135.000 | €441.000 |
David Lopez | 520.000 | €230.000 |
Erik Seidel | 3.365.000 | €541.000 |
Und nun auch noch für den Fall, dass Seidel All-In geht und verliert:
Spieler | Chips | ICM-Erwartungswert |
---|---|---|
Kevin MacPhee | 5.080.000 | €663.000 |
Kilian Kramer | 435.000 | €249.000 |
JC Alvarado | 1.070.000 | €357.000 |
Felix Bleiker | 215.000 | €194.000 |
Andrew Lichtenberger | 2.135.000 | €473.000 |
David Lopez | 520.000 | €267.000 |
Erik Seidel | 0 | €100.000 |
Interessant für die Überlegungen in dieser Hand sind nur die jeweiligen Erwartungswerte (EV) von Erik Seidel.
Wenn er foldet, hat er einen EV von €353.000. Geht er all-in gewinnt er mit einer Wahrscheinlichkeit von X Prozent und hat dann einen EV von €541.000. Auf der anderen Seite verliert er mit einer Wahrscheinlichkeit von 100 - X Prozent und hat dann eine Auszahlung von nur €100.000 sicher.
Wir wollen also wissen, wie groß, muss das X mindestens sein, dass diese Gleichung gilt:
X · €541.000 + (1-X) · €100.000 > €353.000
Sprich: Ab welcher Gewinnwahrscheinlichkeit ist der ICM-Erwartungswert eines All-Ins größer als der eines Folds?
Dafür müssen wir die Gleichung nur nach X umstellen und sehen:
X > (€353.000 - €100.000) ÷ (€541.000 - €100.000) = 57,4%
Heißt: Sobald Seidel mit A♠ K♠ gegen die Range von MacPhee eine Equity von mindestens 57,4% hat, kann er hier auch nach ICM profitabel All-In gehen.
Man beachte, wie groß der Unterschied zwischen Pot-Odds und ICM ist. Geht man rein nach Pot-Odds, reichten 38%, nach ICM müssen es jedoch fast 20% mehr sein – eine Welt beim Poker.
Jetzt müssen wir nur noch schauen, welche Equity die jeweiligen Antwortoptionen in der Quizfrage, gegen Ass-König-suited haben:
Range | Equity mit AKs |
---|---|
QQ+, AK (Top-1,6%) | 42% |
TT+, AQ+ (Top-3,4%) | 52% |
77+, AJ+ (Top-5,7%) | 54% |
55+, AT+ (Top-7,5%) | 57% |
22+, A8+ (Top-10,6%) | 58% |
22+, AX (Top-16,1%) | 63% |
Richtig sind hier diesmal zwei Antworten, da sie so dicht beieinander liegen: Top-7,5% und Top-10,6%. Ist MacPhees Range enger, hat Seidel mit Ass-König einen vergleichsweise klaren Fold nach ICM, ist sie weiter einen klaren Call.
War Seidels All-In nun richtig oder falsch?
Seidels All-In ist dann korrekt, wenn er davon ausgehen kann, dass Kevin MacPhee in dieser Situation auf der Final-Table-Bubble mit einer weiten Range aus dem Small-Blind eine 3-Bet bringt und dann auch noch mit einer ebenfalls weiten Range eine 5-Bet auf Seidels Cold-4-Bet bringt.
Wenn sich Seidel ausrechnen kann, mit Ass-König knapp 60% Equity gegen diese Range zu haben, dann ist sein All-In korrekt.
Seidels Problem in dieser Hand ist, dass ein Spieler einen extrem kleinen Stack hat (Felix Bleiker hat nur 7 Big Blinds) und zwei weitere Spieler ebenfalls short sind. Dadurch wird Seidel angehalten, vergleichsweise tight zu spielen, wenn das Risiko droht, dass er eliminiert wird. Schließlich hat er die nächsten Preisgeldsprünge aufgrund seines großen Stacks praktisch sicher, wenn er sich einfach zurücklehnt.
Ob Seidels Spiel korrekt ist oder nicht, hängt also sehr davon ab, was er MacPhee zutraut. Je aggressiver MacPhee hier spielt, desto korrekter ist Seidels all-in. Aber eines zeigt die ICM-Überlegung deutlich: Hier einfach nach Pot-Odds zu entscheiden ist fatal. Seidel braucht deutlich mehr Equity als einen Coinflip und muss seinen Gegner oft genug dominieren, damit ein All-In mit Ass-König korrekt ist.
Auflösung Gewinnspiel
Ein knappes Drittel lag bei dem Quiz dieses Mal richtig. Das ist deutlich besser als im letzten Quiz, da war es kein einziger.
Das Los hat hapunkt als Sieger bestimmt und die $15 sind auf PokerStars unterwegs.
In der Hand übrigens ging Seidel all-in, MacPhee callte, zeigte Asse, gewann den Showdown und zwei Tage später auch das Turnier.
» ICM Erklärung für Anfänger
» ICM in Turnieren
» ICM Rechner
Anmerkung: Wir haben in den Überlegungen oben die Antes nicht berücksichtigt. Da diese allerdings nur einen sehr kleinen Bruchteil des Pots ausmachen, ändern diese das Ergebnis nicht.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 28.10.2015.