Der Reraise ist tot, lang lebe der Reraise! Die Preflop-4-Bet hat inzwischen auch auf den niedrigeren Hold’em-Limits die 3-Bet als handelsüblicher Bluff abgelöst. Hier einige Überlegungen zu diesem Zug:
Vor einigen Jahren noch galten beim Hold’em online in etwa folgende Regeln: Wollte man vor dem Flop erhöhen, setzte man 4 Big Blinds plus einen pro Limper. Wollte man eine 3-Bet bringen, setzte man Pot. Danach blieb dem ursprünglichen Raiser bei 100-Big-Blind-Stacks die Wahl zwischen einem Fold, einem Call oder einem All-In. Da der Pot nach der 3-Bet ohnehin schon so aufgebläht war, blieb für einen kleineren Reraise vor dem Flop nur noch sehr wenig, bis gar kein Raum.
Die Zeiten haben sich geändert. Inzwischen wird vor dem Flop selten auf mehr als 3BB geraist, viele Steal-Versuche beschränken sich gar auf einen Min-Raise. Die 3-Bets sind kleiner geworden und dadurch gibt es auf einmal die Möglichkeit für einen weiteren Spielzug: Die 4-Bet, bei der man nicht gleich den ganzen Stack committed.
Diese kleine 4-Bet ist inzwischen so üblich geworden, dass man ihr auf fast allen Limits begegnen wird. Sie funktioniert ganz einfach – wenn man einer 3-Bet ausgesetzt ist, klickt man diese durch einen Miniraise zum Gegner zurück. Da viele Regulars mit unglaublich vielen Händen eine 3-Bet bringen, zwingt man diese im Optimalfall, all ihre schwachen Kombinationen (Connectors, kleine Paare, Axs, ...) aufzugeben, zahlt dafür aber so wenig, dass sich dieser Zug als Bluff lohnt. Dieser Bluff soll im Folgenden genauer betrachtet werden.
Die folgenden beiden Tabellen zeigen den Erwartungswert einer solchen 4-Bet als Bluff, wenn der Gegner darauf entweder foldet oder All-In stellt. Welche Hand man selbst bei der 4-Bet hält, ist irrelevant – man kann einfach annehmen, dass man mit einer Hand wie 76s einen Bluff ohne Showdown-Value hält und auf ein eventuelles All-In einfach foldet.
Situation 1: Buttons vs. Big Blind
- effektive Stacks: 100BB
- Der Button open-raist auf 2BB
- Der Big Blind reraist auf 6,5 BB
- Der Button 4-bettet auf 13 BB und foldet, falls der Big Blind All-In geht
- Der Big Blind foldet auf die 4-Bet oder geht All-In
Unabhängig von den Karten des Buttons hat diese Strategie für den Button folgenden Erwartungswert (in BB) abhängig von der 3-Bet- und 5-Bet-All-In-Range1 des Big Blinds:
3bet5bet | 1,4% | 3,0% | 5,1% | 8,0% | 10,9% | 14,0% | 18,6% | 22,2% | 29,4% |
1,4% QQ+ | - | - | - | - | - | - | - | - | - |
3,0% JJ+ AK | -0,3 | - | - | - | - | - | - | - | - |
5,1% 99+ AQ+ | 3,5 | -2,8 | - | - | - | - | - | - | - |
8,0% 88+ AT+ | 5,5 | 1,5 | -3,8 | - | - | - | - | - | - |
10,9% 77+ AT+ KJ+ | 6,4 | 3,5 | -0,4 | -5,7 | - | - | - | - | - |
14,0% 44+ QJ+ AT+ 98s+ | 7,0 | 4,7 | 1,7 | -2,4 | -6,6 | - | - | - | - |
18,6% 22+ QJ+ AT+ 98s+ A2s+ | 7,5 | 5,8 | 3,5 | 0,4 | -2,7 | -6,1 | - | - | - |
22,2% 22+ JT+ 54s+ A2s+ | 7,7 | 6,3 | 4,4 | 1,8 | -0,8 | -3,6 | -7,8 | - | - |
29,4% 22+ JT+ 54s+ A2+ | 8,0 | 7,0 | 5,5 | 3,6 | 1,6 | -0,5 | -3,7 | -6,1 | - |
Situation 2: Cut-Off vs Button
- effektive Stacks: 100BB
- Der Cut-Off open-raist auf 2,5BB
- Der Button reraist auf 7,5 BB, die Blinds folden
- Der Cut-Off 4-bettet auf 15 BB und foldet, falls der Button All-In geht
- Der Button foldet auf die 4-Bet oder geht All-In
Unabhängig von den Karten des Cut-Offs hat diese Strategie für den Cut-Off folgenden Erwartungswert (in BB) abhängig von der 3-Bet- und 5-Bet-All-In-Range des Buttons:
3bet5bet | 1,4% | 3,0% | 5,1% | 8,0% | 10,9% | 14,0% | 18,6% | 22,2% | 29,4% |
1,4% QQ+ | - | - | - | - | - | - | - | - | - |
3,0% JJ+ AK | 0,3 | - | - | - | - | - | - | - | - |
5,1% 99+ AQ+ | 4,9 | -2,6 | - | - | - | - | - | - | - |
8,0% 88+ AT+ | 7,3 | 2,5 | -3,8 | - | - | - | - | - | - |
10,9% 77+ AT+ KJ+ | 8,4 | 4,9 | 0,3 | -6,1 | - | - | - | - | - |
14,0% 44+ QJ+ AT+ 98s+ | 9,1 | 6,4 | 2,8 | -2,2 | -7,2 | - | - | - | - |
18,6% 22+ QJ+ AT+ 98s+ A2s+ | 9,7 | 7,6 | 4,9 | 1,2 | -2,6 | -6,6 | - | - | - |
22,2% 22+ JT+ 54s+ A2s+ | 10,0 | 8,3 | 6,0 | 2,9 | -0,3 | -3,6 | -8,6 | - | - |
29,4% 22+ JT+ 54s+ A2+ | 10,4 | 9,1 | 7,3 | 5,0 | 2,6 | 0,1 | -3,7 | -6,6 | - |
Es zeigt sich, dass eine solche 4-Bet gegen den richtigen Gegner (einen der viel 3-bettet, aber nur selten ohne eine richtige Hand All-In stellt), äußerst profitabel sein kann.
Der richtige Gegner, das eigene Image
Optimale Gegner für kleine 4-Bets sind Spieler, die ihren Button oder Blind sehr häufig mit einem Reraise verteidigen, aber nicht so aggressiv vor dem Flop sind, dass sie mit kleinen Paaren oder AQ ihren Stack einstellen. Je höher die 4-Bet-Quote des Gegners ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass er auch relativ bereitwillig vor dem Flop seinen Stack als 5-Bet in die Mitte schiebt. Bei solchen Gegnern sollte man 4-Bet-Bluffs eher spärlich einsetzen.
Das eigene Image ist für den Erfolg solcher 4-Bets ebenso wichtig wie die Werte des Gegners. Je aggressiver wir im Allgemeinen sind, desto weniger Respekt wird unserer 4-Bet entgegengebracht werden. Sieht uns der Gegner als einen 26/21/13-Spieler2, wird eine 4-Bet weit weniger Gewicht haben, als sähe er uns als 20/17/7-Spieler.
Ebenso ist es für den Erfolg einer kleinen Bluff-4-Bet sehr hilfreich, wenn wir keine direkte Geschichte mit dem Gegner haben. Haben wir ihn in den letzten Orbits mehrmals isoliert, seine Blinds gestohlen oder größere Pötte gegen ihn gespielt, erhöht das im Allgemeinen die Wahrscheinlichkeit, dass er seine 3-Bet großzügig verteidigt. Haben wir keine Geschichte mit dem Gegner ist es wesentlich wahrscheinlicher, dass er unsere 4-Bet einfach durchgehen lässt, uns auf AK/QQ+ setzt und den größten Teil seiner Range einfach entsorgt.
Der optimale Ort für routinemäßige Bluff-4-Bets sind mit Sicherheit die Rush- und Zoom-Tische. Dort haben die Gegner in der Regel nicht mehr als ihre HUD-Stats und eventuell automatische Notizen, um Entscheidungen zu treffen, man hat eher selten mit konkreten Gegnern eine direkte extensive 3- und 4-Bet-Vergangenheit und die meisten Regulars spielen in großen Pötten vergleichsweise gradlinig.
Was Blocker wert sind
Bringt es etwas, wenn wir ein Ass in der Hand haben und so dem Gegner einige Kombos zunichte machen?
Angenommen wir sind der Button in Situation 1 (Button vs. Big Blind). Der Big Blind 3-bettet mit einer Range von 77+, AT+, KJ+ und 5-bettet mit 99+ AQ+. In den obigen Tabellen entspricht das den Ranges 10,9% und 5,1%.
Eine 4-Bet auf 13BB ist für uns mit einem EV von -0,4 BB knapp unprofitabel. Bei diesen Ranges verteidigt der Big Blind seine 3-Bet in 47% der Fälle mit einer 5-Bet-All-In.
Diese Zahlen ziehen aber noch nicht in Betracht, dass wir auf dem Button eine Hand haben. Unsere jeweiligen Karten verändern die Häufigkeiten der Ranges des Big Blinds.
Haben wir auf dem Button zum Beispiel A3o, hat die 3-Bet Range (77+, AT+, KJ+) nur noch die Häufigkeit 10,2% und die 5-Bet-Range (99+ AQ+) hat nur noch die Häufigkeit 4,6%. Der Grund ist, dass das Ass in unserer Hand eine Menge möglicher Kombinationen für den Big Blind zunichte macht.
In diesem konkreten Fall ergibt sich durch das Ass in unserer Hand, dass der Big Blind seine 3-Bet nur noch in 45% der Fälle mit einer 5-Bet-All-In verteidigt – also etwas seltener als hätten wir kein Ass. Dadurch hat die 4-Bet vom Button auf einmal einen EV von genau 0 BB, also knapp 0,4 BB mehr als ohne das Ass in seiner Hand.
Mit anderen Worten und einfach zusammengefasst: Ein Ass als Blocker in der Hand erhöht den EV einer 4-Bet um 0,3 bis 0,5 BB, abhängig von den Ranges des Gegners3.
Könige oder Damen als Blocker erhöhen den EV ebenfalls, aber wesentlich geringer – weniger als 0,1 BB.
Vorsicht vor der kleinen 5-Bet
Die obigen Zahlen basieren allesamt auf sehr kleinen Raise- und Reraisegrößen (2 oder 2,5 BB für einen Raise, 6,5 oder 7,5 BB für einen Reraise). Entsprechend ist auch die 4-Bet-Größe nicht viel mehr als Min-Reraise.
Dadurch gibt man dem Gegner unter Umständen die Möglichkeit, eine 5-Bet zu bringen, ohne sich zu committen. Zum Beispiel kann der Gegner nach einer 4-Bet auf 13 BB eine 5-Bet auf 21 BB bringen. Betragen die effektiven Stacks 100 BB ließe sich der Gegner immer noch die Möglichkeit offen, auf eine 6-Bet zu folden.
Das eigentliche Ziel der kleinen 4-Bet, eine endgültige Entscheidung des Gegners um seinen Stack zu erzwingen, wäre damit verfehlt.
Auf den niedrigeren Limits und ohne eine extensive Geschichte mit dem Gegner kommen solche kleinen 5-Bets glücklicherweise nur sehr selten vor. Man sollte sich aber auf jeden Fall eine Notiz für Gegner anlegen, die kleine 4-Bets oder 5-Bets bringen, da diese sich wahrscheinlich nicht einfach so mit einer Click-it-Back-4-Bet übertölpeln lassen.
Hilfe meine 4-Bet wurde bezahlt
Hin und wieder wird es vorkommen, dass eine kleine 4-Bet vom Gegner bezahlt wird. Danach steht man mit einem unangenehmen Stack-zu-Pot-Verhältnis und wahrscheinlich einer hoffnungslos aussehenden Hand da.
Da die meisten Gegner auf den niedrigeren Limits (NL100 und drunter) in solchen Situation eher eindimensional und zu passiv spielen, ist das aber noch nicht das Ende der Welt. Wir können immer noch mit kleinen C-Bets Asse oder Könige repräsentieren und den Gegner zur Aufgabe eines kleineren Paares animieren. Das Stack-zu-Pot-Verhältnis liegt bei 100-BB-Stacks nach einer gecallten 4-Bet in der Regel bei etwas unter 3:1 – bietet also noch eine Menge Raum zum manövrieren. Ab und zu wird man auch zufällig ein Monster floppen, welches sich dann von ganz alleine spielt.
1 Die Ranges des Gegners sind nicht polarisiert. Tatsächlich würden viele Gegner mit einer Hand wie 88 eher zum Call als zu einer 3-Bet neigen, würden aber dafür mit einem zufälligen Connector eine 3-Bet bringen. Für die Berechnung des Erwartungswertes einer kleinen 4-Bet ist dies allerdings nur sehr begrenzt relevant. Je polarisierter die Range eines Gegners ist, desto profitabler wird ein 4-Bet-Bluff jedoch.
2 VPIP/PFR/3-Bet
3 Anzumerken hierbei ist auch, dass das Fehlen von Blockern (Damen, König, Assen) in unserer Hand die Erwartungswerte der 4-Bet ein wenig verringern, da sich dadurch beim Gegner die Wahrscheinlichkeit, eine Hand zum Pushen zu haben, leicht erhöht.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 11.04.2016.