Dieser Artikel soll beleuchten, ob Poker eher ein Glücksspiel oder eher ein Geschicklichkeitsspiel ist und dabei an Beispielen aufzeigen, dass diese Fragestellung an sich keinen Sinn ergibt. Poker ist sowohl Glück als auch Geschicklichkeit.
In der Diskussion Glück versus Geschicklichkeit wird oftmals davon ausgegangen, dass sich Spiele linear auf einer Skala anordnen lassen wobei auf der einen Seite reine Glücksspiele, auf der anderen reine Geschicklichkeitsspiele und in der Mitte die Mischformen zu finden sind.
Eine solche Anordnung könnte in etwa so aussehen:
Die Frage, ob Poker eher ein Geschicklichkeits- oder Glücksspiel ist, beschränkt sich dann darauf, ob Poker eher weiter rechts oder eher weiter links einzuordnen ist.
Diese Darstellung ist jedoch, wie ich in diesem Artikel zeigen will, über alle Maßen falsch und ich will dafür argumentieren, dass ein Spiel sowohl eine sehr ausgeprägte Glücks- wie auch Geschicklichkeitskomponente haben kann. Viele meiner Argumente und Ideen habe ich von Mike Stein übernommen, der auf » QuantitivePoker, englisch eine hervorragende und sehr detaillierte Artikelserie zu der Thematik geschrieben hat.
Um das Spiel Poker einordnen zu können, schaue ich mir zunächst andere Spiele an und klopfe diese auf auf ihren Glücks- und Geschicklichkeitsfaktor ab.
Schach – Nur Geschicklichkeit
Als erstes nehme ich mir Schach vor, das Spiel, welches als der Prototyp eines Geschicklichkeitsspiels gilt. Schach ist ein Spiel mit vollständiger Information und, wie Ernst Zermelo Anfang des 20. Jahrhunderts bewies, theoretisch lösbar. Das heißt, es gibt eine perfekte Strategie für beide Spieler. Allerdings ist das Spiel so komplex, dass bislang noch nicht bekannt ist, ob diese perfekte Strategie in einem Sieg für Weiß, einem Sieg für Schwarz oder einem Remis resultiert1.
Beim Schach treten Spielstärke-Unterschiede zweier Spieler sehr deutlich zum Vorschein, so wird ein Amateur praktisch immer gegen einen Großmeister verlieren.
Allerdings ist es trotzdem möglich, dass ein schwächerer Spieler einen stärkeren in einer Partie mit Glück schlägt. Ein Spieler, der stets zufällig einen regulären Spielzug auswählt, kann mit einer Wahrscheinlichkeit größer als Null den bestmöglichen Zug in der jeweiligen Situation wählen. Wählt ein so agierenden Spieler hinreichend oft hintereinander zufällig den bestmöglichen Zug, kann er einen deutlich besseren Spieler schlagen. Zugegeben, die Wahrscheinlichkeit, dass derartiges eintritt, ist äußerst gering, aber es ist möglich und zeigt auf, dass es auch beim Schach möglich ist, dass ein schwacher Spieler, einen starken Spieler besiegen kann. Oder in anderen Worten: Auch Schach hat eine Glückskomponente. Nichtsdestominder spielt Glück beim Schach eine so minimale Rolle, dass man dieses Spiel als praktisch reines Geschicklichkeitsspiel bezeichnen kann.
Rando-Chess – Geschicklichkeit und Glück
Man kann auch Schach so modifizieren, dass es eine Glückskomponente aufweist. Dr. Richard Garfield, der Entwickler von Magic: The Gathering, schlägt als Gedankenexperiment folgende Schach-Variante, genannt Rando-Chess vor: Das Spiel wird wie ein normales Schachspiel ausgetragen, doch am Ende wird ein Würfel geworfen. Zeigt dieser eine Eins, wird der unterlegene Spieler zum Sieger erklärt. Ganz offensichtlich hat diese Rando-Chess-Variante jetzt einen signifikanten Glücksanteil. Auch der schlechteste Spieler wird mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Sechstel eine Partie gewinnen.
Ist Rando-Chess nun ein Glücksspiel oder ein Geschicklichkeitsspiel? Will man das Spiel auf einer eindimensionalen Geschicklichkeits-Glücks-Skala einordnen, müsste man die Glückskomponente berücksichtigen und das Spiel weiter in der Mitte einordnen. Allerdings ist die Spielweise von Rando-Chess identisch mit der vom normalen Schach. Es gibt keine neuen Strategien, das Spiel wird nicht einfacher oder weniger komplex und ein besserer Spieler wird sich langfristig immer noch gegen einen schlechteren Spieler durchsetzen. Insofern wäre es eindeutig falsch, dem Spiel Rando-Chess eine geringere Geschicklichkeits-Komponente beizumessen als regulärem Schach.
Eine bessere Einordnung wäre, Rando-Chess die gleiche Geschicklichkeits-Komponente wie die des regulären Schachs zuzusprechen und dem Spiel zusätzlich eine Glücks-Komponente hinzuzufügen. Die Einordnung muss zweidimensional erfolgen.
Nim-Spiel – Weder Geschicklichkeit noch Glück
Als nächste Variante will ich kurz das Nim-Spiel betrachten. Dieses Spiel funktioniert wie folgt: Zwei Spieler treten gegeneinander an und es liegen 20 Streichhölzer auf dem Tisch. Abwechselnd kann jeder Spieler zwischen einem und fünf Streichhölzer wegnehmen. Wer das letzte Streichholz nimmt, hat verloren2.
Das Spiel hat für den anziehenden Spieler eine sehr einfache Sieg-Strategie: Er nimmt stets so viele Streichhölzer, dass danach noch 1, 7, 13 oder 19 Streichhölzer auf dem Tisch verbleiben. Sein Gegner kann dieses Spiel dann nicht gewinnen.
Ist dieses Spiel ein Glücks- oder ein Geschicklichkeits-Spiel? Ganz offensichtlich gibt es bei diesem Spiel keine deutliche Glückskomponente. Zwar kann ein Spieler rein zufällig die Sieg-Strategie spielen, doch spielt dieses Glück, ähnlich wie beim Schach, keine ausschlaggebende Rolle. Auf einer eindimensionalen Geschicklichkeits-Glücks-Skala müsste man das Nim-Spiel also auf der Geschicklichkeits-Seite anordnen.
Aber das Nim-Spiel als Geschicklichkeitsspiel zu beschreiben, ist absurd. Die Sieg-Strategie ist für halbwegs intelligente Spieler so trivial, dass es bestenfalls eine minimale Geschicklichkeits-Komponente haben kann. Tatsächlich ist dieses Spiel weder Glücks- noch Geschicklichkeits-Spiel, was bei der Einordnung des Spiels auch dargestellt werden muss. Ebenso wie Rando-Chess, kann dies zweidimensional geschehen.
Glücks- und Geschicklichkeitsspiel
Wie die beiden Beispiele Rando-Chess und das Nim-Spiel zeigen, ist es wesentlich angebrachter, Spielen sowohl eine Geschicklichkeits-Komponente als auch eine davon unabhängige Glückskomponente beizumessen, anstatt diese eindimensional anordnen zu wollen. Will man ein Spiel einordnen, muss man beide Komponenten berücksichtigen. Eine solche Anordnung könnte wie folgt aussehen:
Zweidimensionale Anordnung von Spielen. Links unten: Nim-Spieler; weder Glück noch Geschicklichkeit. Links oben: Slots; starke Glücks- und nicht vorhandene Geschicklichkeits-Komponente. Rechts unten: Schach; faktisch reine Geschicklichkeit. Rechts oben: Rando-Chess; Geschicklichkeitsspiel mit Glücks-Komponente.Bei dieser Anordnung habe ich Poker außen vor gelassen, denn Ziel dieses Artikels ist es nicht, das Spiel Poker akkurat einzuordnen. Vorrangig bleibt festzuhalten, dass Poker sowohl ein Glücks- als auch ein Geschicklichkeits-Spiel ist und eine Entweder-Oder-Frage bei der Einordnung nur sehr wenig Sinn ergibt.
Poker ist ein Glücksspiel
Poker hat eindeutig eine ausgeprägte Glückskomponente. Das gesamte Spielprinzip ist unabhängig von der konkreten Variante darauf ausgelegt, dass die Karten zufällig verteilt sind und den Spielern nicht bekannt ist, welche Karten die Gegner halten oder welche Karten noch aufgedeckt werden.
Der Ausgang einer einzelnen Hand ist beim Poker ebenfalls zufällig, insofern dieser stark mit den verteilten Karten korreliert. Insofern ist es korrekt, Poker als ein Glücksspiel zu bezeichnen.
Poker ist ein Geschicklichkeitsspiel
Nichtsdestominder hat Poker aber ebenfalls eine ausgeprägte Geschicklichkeitskomponente. Dies ist am einfachsten einsichtig, wenn man bedenkt, dass in faktisch jeder Variante eine sehr reichhaltige Menge an möglichen Spielstrategien vorhanden ist.
Jeder Spieler hat während des Spiels mindestens einmal und gegebenenfalls mehrmals die Möglichkeit, verschiedene Aktionen durchzuführen. Diese sind zwar vergleichsweise einfach strukturiert (in der Regel beschränken sie sich auf Bet/Raise, Call/Check oder Fold), eröffnen jedem Spieler jedoch die Möglichkeit, maßgeblichen Einfluss auf den weiteren Spielverlauf zu nehmen.
Tatsächlich ist es möglich für jede der zufälligen Karten-Konstellationen, jeden bisherigen Spielverlauf und jede Gegner-Konstellation am Tisch verschiedene Strategien anzugeben. In gemischten Strategien gibt es sogar für jede Konstellation eine optimale Strategie, welche den bestmöglichen Erwartungswert liefert.
Poker ist in faktisch allen Varianten so komplex, dass es bislang noch nichtmal im Ansatz möglich war, eine solche optimale Strategie zu beschreiben. Dies ist ein starker Indikator dafür, dass Geschicklichkeit beim Poker eine herausragende Rolle spielt. Ein einfacherer, aber ebenso starker Indikator ist die Fülle von Poker-Strategiebüchern, die auf dem Markt erhältlich sind – darunter äußerst theorielastige Bücher wie etwa “Theory of Poker” oder “Mathematics of Poker”.
Es gibt die weit verbreitete Aussage, Poker sei ein Glücksspiel, wenn man nur eine Hand spielt, aber ein Geschicklichkeitsspiel, wenn man ein paar tausend (oder zehntausend) Hände spielt. Diese Aussage ist nur bedingt richtig – tatsächlich ist sie in den meisten Auslegungen sogar falsch; Poker hat immer die gleiche Glücks- und Geschicklichkeits-Komponente. Unter welchen Bedingungen die Geschicklichkeits-Komponente die Glücks-Komponente in Hinsicht auf die Ergebnisse dominiert, will ich im nächsten Artikel dieser Serie betrachten.
Relevante Links
» Dr. Richard Garfield, Luck vs. Skill, Video, englisch
» Mike Stein, QuantitivePoker, englisch
1 Für andere, weniger komplexe Spiele mit vollständiger Information können solche perfekten Strategien angegeben werden. So wurde 2007 gezeigt, dass eine perfekte Strategie bei dem Spiel Dame zu einem Unentschieden führt. Schon 1988 wurde gezeigt, dass der anziehende Spieler bei Vier gewinnt das Spiel bei perfekter Strategie immer gewinnen kann.
2 Von dem Nim-Spiel gibt es unzählige Varianten. Die hier beschriebene ist eine vereinfachte Misère-Variante.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 11.04.2016.