Eine Antwort auf die Frage, warum es immer wieder Doppelsieger bei Online-Turnieren geben muss und eine Abrechnung mit Dumpfbacken, die keine Ahnung aber eine Meinung haben: Ein Kommentar zu unseren Kommentaren.
Eher im Lotto als zwei Sunday Millions gewinnen?
Diesen Sonntag gewann Stefan Jedlicka die Sunday Million, nachdem er 6 Wochen zuvor im gleichen Turnier Platz 2 erreichte.
Sofort entlud sich in den Kommentaren dazu etwas, das man sehr freundlich formuliert als “Skepsis” bezeichnen kann. Diese drückte sich unter anderem so aus: “Scheinbar spielt für einige Spieler die unendliche Varianz bei PS keine Rolle. Ein Schelm der böses dabei denkt.” oder “Es ist nur wahrscheinlicher im Lotto zu gewinnen, als bei den Sunday Millions innerhalb von 2 Monaten 2x den Finaltable zu erreichen.”
Zum Glück kann man derlei Aussagen relativ einfach auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen. Vielen Dank an Sensios, der das schon getan hat. Ich nehme die Lotto-Aussage noch einmal auf und prüfe den Gehalt:
1. Die Wahrscheinlichkeit im Lotto zu gewinnen liegt bei 1:139.838.160 oder rund 0,0000007 Prozent für die Gewinnklasse 1 und 1:15.537.573 oder rund 0,000006 Prozent für die Gewinnklasse 21.
2. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmter Spieler bei 8 Versuchen zweimal den Final-Table der Sunday Million erreicht, liegt bei rund 0,004 Prozent2.
Das heißt: Die Wahrscheinlichkeit, zweimal innerhalb von zwei Monaten den Final-Table bei der Sunday-Million zu erreichen ist rund 5.600 Mal größer als die Wahrscheinlichkeit den Jackpot im Lotto zu gewinnen und immer noch 620 Mal größer als die Wahrscheinlichkeit, 6 Richtige zu haben.
Mit anderen Worten: Der Lotto-Kommentar ist grob falsch dahin geschriebener Blödsinn!
Übrigens: Selbst die Wahrscheinlichkeit bei 8 Versuchen zwei Sunday Millions zu gewinnen, ist mit 0,00005% immer noch 70 Mal Größer als die Wahrscheinlichkeit, im Lotto den Jackpot zu knacken.
Noch besser: Sogar die Wahrscheinlichkeit, zwei Sunday Millions in Folge zu gewinnen, ist mehr als doppelt so groß wie die Wahrscheinlichkeit, den Jackpot im Lotto zu knacken. Letzteres passiert fast wöchentlich und keiner hebt eine Augenbraue. Dann passiert etwas statistisch völlig Erwartbares beim Online-Poker und sofort werden idiotische Kommentare abgesetzt.
Was heißt denn “statistisch erwartbar” beim Online-Poker?
Stochastik – Fast wie ZaubereiMathematik ist eine feine Sache: Unvoreingenommen, robust und sehr klar. Werfe ich doch mal einen mathematischen Blick auf die Fragestellung: “Wie wahrscheinlich sind Doppelsiege bei großen Online-Turnieren?”.
Ein paar Annahmen:
1. Online werden pro Woche 10 besonders große Turniere, die Majors3, gespielt.
2. Bei jedem Turnier nehmen 3.000 Spieler teil4.
3. Es gibt eine Gruppe von 500 Spielern, die Grinder, die regelmäßig alle diese Turniere mitspielen.
4. Jeder dieser Grinder hat eine Wahrscheinlichkeit von 1 / 3.000, eines dieser Turniere zu gewinnen. Sprich: Keiner von ihnen hat überhaupt eine Edge auf das Feld.
Mit minimaler Stochastik5 kommt man dann auf folgende Wahrscheinlichkeiten, dass einer der 500 Grinder innerhalb einer bestimmten Zeitspanne mindestens zwei dieser Turniere gewinnt:
Turniere | Wahrscheinlichkeit für einen Doppelsieg |
10 Turniere, 1 Woche | 0,28% |
25 Turniere, 2,5 Wochen | 1,10% |
50 Turniere, 5 Wochen | 6,64% |
100 Turniere, 10 Wochen | 23,80% |
250 Turniere, 25 Wochen | 65,50% |
500 Turniere, 50 Wochen | 99,81% |
1000 Turniere, 100 Wochen | 100,00% |
Schon nach gut 20 Wochen ist es wahrscheinlicher, dass einer der 500 Grinder zwei Turniere gewinnt, als dass dies keinem der Grinder gelingt.
Macht man die gleiche Zauberei für Podestplätze (mindestens einer der 500 Grinder wird zweimal Dritter oder besser), kommen noch höhere Wahrscheinlichkeiten raus:
Turniere | Wahrscheinlichkeit für einen Doppel-Podest |
10 Turniere, 1 Woche | 2,45% |
25 Turniere, 2,5 Wochen | 9,40% |
50 Turniere, 5 Wochen | 45,39% |
100 Turniere, 10 Wochen | 90,41% |
250 Turniere, 25 Wochen | 99,99% |
500 Turniere, 50 Wochen | 100,00% |
Sprich: Die Wahrscheinlichkeit, dass einer dieser 500 Grinder innerhalb von 5 Wochen zweimal Platz 3 oder besser bei einem der großen Online-Turniere belegt, liegt bei fast 50 Prozent.
Im Allgemeinen unterschätzen diese Zahlen noch die Wahrscheinlichkeiten, denn die Grinder dürften eine Edge auf das Feld haben und häufiger Top-Platzierungen erreichen und die meisten großen Online-Turniere haben weniger als 3.000 Mitspieler, wodurch es noch wahrscheinlicher wird, dass einer der Regs gut abschneidet.
Die Masse macht’s
Meine kleine Exkursion in die Stochastik zeigt, dass auf den ersten Blick krude wirkende Ereignisse tatsächlich so wahrscheinlich sind, dass sie zwingend regelmäßig auftauchen müssen.
Auch wenn es für einen einzelnen Spieler äußerst unwahrscheinlich ist, in einer kurzen Zeitspanne zwei große Turniere zu gewinnen, ist es doch ein fast sicheres Ereignis, wenn genügend Spieler regelmäßig diese Turniere spielen. Die obigen Berechnungen zeigen: Wenn 500 Grinder ein Jahr lang den Großteil der Online-Majors spielen, gewinnt mindestens einer von ihnen mindestens zwei dieser Turniere mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,8 Prozent.
Viktor Blom:Doppelter SCOOP-Sieger
Dass eine solche oder ähnliche Serie nun ausgerechnet von Kevin Steele (zwei Sunday-Million-Siege in vier Monaten), Viktor Blom (zwei SCOOP-Siege in Folge), Manuel Blaschke (zwei Major-Siege und ein zweiter Platz in zwei Wochen) oder Agrobot_388Z (Red-Spade-Open-Vize und Sunday-Million-Sieger in einer Woche) hingelegt wird, ist Zufall. Genauso gut kann es einen anderen Grinder oder (im Falle von Agrobot) einen anderen Fisch mit Lauf treffen.
Nur, dass es solche Sieges-Serien statistisch geben muss, ist sicher. Aber das habe ich auch schon zu genüge an anderer Stelle geschrieben.
Bitte keine Verschwörungstheorien mehr!
Genug Verschwörungstheorien!Auch wenn Statistik manchmal wenig intuitiv ist und nicht immer sofort verständlich, wäre es wünschenswert, wenn man zukünftig noch einmal mehr nachdenkt, bevor man einen dummen Kommentar hinterlässt, nur weil man selbst keine Ahnung hat.
Naivität ist zwar verzeihlich, aber keine gute Grundlage für wilde Anschuldigungen und Verschwörungstheorien. Obwohl, für Letztere ist Naivität wohl eher eine Notwendigkeit.
Die Erkennung von Mustern in völlig zufälligen Gegebenheiten nennt man übrigens Apophänie und ist etwas, das bei Online-Poker-Verschwörungstheoretikern mit gebetsmühlenartiger Regelmäßigkeit vorkommt. Ähnliches gilt für den Dunning-Kruger-Effekt.
Apophänie: Das Marsgesicht
Skepsis, kritisches Hinterfragen und Kontrolle sind in der heutigen Online-Poker-Welt mehr als angebracht. Collusion, Super-User, Bots und unfähige oder gar kriminelle Anbieter haben in der Vergangenheit mehr als deutlich gemacht, dass blindes Vertrauen in die Anbieter fehl am Platze ist.
Wann immer Unregelmäßigkeiten im Spielablauf oder bei Ergebnissen aufgedeckt wurden, geschah dies durch geprellte Spielergruppen, die sich (in der Regel im 2+2-Forum) zusammenfanden und Collusion, Bots oder Super-User durch Zusammenlegen und Analyse ihrer Hand-Histories nachweisen konnten.
Immer wieder schießen allerdings Dumpfbacken hervor, die wilde Rigged-Anschuldigungen in den Raum stellen, ohne auch nur ein einziges Indiz vorzubringen. Nicht nur ist es schwierig und müßig, sich mit solchen Anschuldigungen immer wieder auseinandersetzen zu müssen. Solche Dumpfbacken behindern auch ernsthafte Diskussionen zu diesen Themen.
Nachdem man hunderte verschiedene substanzlose Rigged-Theorien, gespickt mit einzelnen Bad Beats oder einzelnen Sharkscope-Graphen, gesehen hat, erkennt man immer wieder das gleiche Muster: die Beschwerdeführer haben kein Verständnis von Varianz, haben in der Regel kein tiefgreifendes Verständnis vom Spiel, überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten maßlos, sind komplett resistent gegenüber Nachfragen und sind im Allgemeinen der paranoiden Meinung, dass PokerStars und Co. eine riesige Rigged-Maschine im Keller haben, nur um sie in ihren Groschen-Turnieren zu benachteiligen. Dazu werden die meisten von ihnen schnell ausfallend oder beleidigend.
Gegen diese Armee von Dumpfbacken muss sich eine valide Beschwerde erst einmal erwehren. Denn in einem Unmaß an haltlosem Blödsinn wirkt auch ein ernsthaft vorgetragenes Problem zunächst wie die nächste Dumpfbacke, die zu schlecht ist, online zu gewinnen und es auf den Anbieter schieben will.
Wer das Meer der Dumpfbacken sehen will, dem seien die Reviews bei PokerScout.com empfohlen.
Wer tatsächlich der Meinung ist, betrogen zu werden, sollte sich zum Einen fragen, wie merkwürdig seine Ergebnisse tatsächlich sind und zum Anderen zumindest eine gewisse Idee haben, wie wahrscheinlich diese Merkwürdigkeit ist. Dann sollte er seine Hand-Histories zusammenstellen und ganz klar seine Theorien formulieren – zum Beispiel: Spieler A und Spieler B sind übermäßig oft am selben Tisch, Spieler C callt übermäßig häufig den River mit schlechten Händen und gewinnt, oder Spieler D gewinnt zu wenige / zu viele seiner All-Ins. Es gibt genügend Instanzen, die einen Check der Daten vornehmen: IsPokerRigged.com analysiert kostenlos Hand-Histories auf Anomalien bei Preflop-All-Ins, die Jungs im 2+2-Forum schauen über HEM- oder PT-Statistiken und ich ([email protected]) bin auch gerne behilflich.
Aber bitte verschont uns und die Welt zukünftig mit wilden, haltlosen Verschwörungstheorien. Gott hat uns zwar allen ein eigenes Gehirn gegeben, um Schlussfolgerungen zu ziehen, aber offenbar auch jedem sein eigenes Maß an Idiotie mitgegeben.
Zu guter Letzt ein Gleichnis, das die Argumentation mit Verschwörungstheoretikern gut beschreibt:
Mit einem Verschwörungstheoretiker streiten, ist in etwa so, wie mit einer Taube Schach zu spielen: Egal wie gut man ist, die Taube wird einfach die Figuren umwerfen, auf’s Brett scheißen und herumstolzieren als wäre sie der Sieger.1 Für das deutsche 6 aus 49 Lotto mit Superzahl, siehe Lotto.de Gewinnwahrscheinlichkeiten.
2 Ausgehend von 7.500 Teilnehmern liegt die Wahrscheinlichkeit, in einem Turnier den Final-Table zu erreichen bei 9 / 7.500 – Skill-Unterschiede nicht berücksichtigt. Die Wahrscheinlichkeit mindestens zweimal innerhalb von 8 Turnieren den Final-Table zu erreichen liegt damit bei 1 – BinomDist(0;8;9/7.500) – BinomDist(1;8;9/7.500) = 0,0040127%(wobei BinomDist(n,k,p) die BinomialVerteilung ist).
3 Sunday Million, Sunday Warm-Up, Sunday 2nd Chance,Sunday Supersonic, Sunday 500, Sunday 6-Max und Sunday Kickoff, sowie der Super-Tuesday auf PokerStars und das $250k und der Sunday-Brawl auf Full Tilt.
4 Die tatsächlichen Teilnehmerzahlen sind bei den meisten Turnieren niedriger. Dies die durchschnittlichen Teilnehmerzahlen über die letzten Wochen: Sunday-Million: ~7.500, Warm-Up: ~3.500, Kickoff: ~2.200, Supersonic: ~1.500, 2nd Chance: ~1.300, 6-Max: ~1.100, Sunday-500: ~800, Super Tuesday: ~600 FT 250k: ~1.500, FT Sunday Brawl: ~1.300.
5 Die Wahrscheinlichkeiten wurden über eine Poisson-Approximation für einen einzelnen Spieler ermittelt und für 500 Spieler über Potenzierung der Wahrscheinlichkeit des Gegenereignisses angenähert. Diese Berechnungsweise unterschätzt die tatsächlichen Wahrscheinlichkeiten.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 02.12.2013.