Voll Stolz kann ich im Namen der PokerOlymp Redaktion eine kleine Premiere ankündigen.Rund um die Turbulenzen, die anlässlich unserer Horst Koch Story entstanden sind, kamen wir in Kontakt mit Stefan Schüttler dem Präsidenten des „Bad Beat Berlin e.V.“ Vereins.In einem wirklich interessanten Kommentar zum Aufreger der Woche hat Stefan seine Meinung über Fairness und den Umgang mit Menschen zum Ausdruck gebracht.
Daraufhin haben wir ihn eingeladen und ihm angeboten, einen Text zu dieser Thematik zu schreiben. – Stefan Schüttler hat dieses Angebot angenommen und uns eine bemerkenswerten, höchst ungewöhnlichen Artikel zur Frage: „Was ist eigentlich Poker und was ist die Wahrheit dahinter“. – Wir von der PokerOlymp Redaktion bedanken uns bei dem Autor und hoffen Sie, nehmen sich ein wenig Zeit für dieses spannende Essay …… Lesen Sie selbst
Im Namen der Redaktion: Götz Schrage
Die Wahrheit
Die Karten zeigen die Wahrheit. Die Karten zeigen die Wahrheit!
„Wahrheit” ist in der heutigen Zeit ein sehr schwieriger Begriff. Objektive Wahrheiten (hier liegt ein Wiener-Schnitzel auf dem Tisch) vermengen sich rasch mit kaum überprüfbaren subjektiven Empfindungen oder Erklärungen („ich habe schrecklich Liebeskummer” – wer kann das messen? – oder „ich habe nur Pech.” – was i s t überhaupt „Pech?” (g i b t es Pech jenseits dieser Teerart?)). Wie also können die Karten die Wahrheit zeigen?
Ich glaube die Karten zeigen die Wahrheit in ganz vielschichtiger Weise:
Sie zeigen, dass man mit seinen Hoffnungen und Wünschen immer wieder auch auf „das Schicksal” angewiesen ist. Sicher kann man viel dafür tun, auf lange Sicht „gute Karten” zu haben und daran „arbeiten” auf die Gewinnerseite zu kommen. Trotzdem sollte man sich immer auch der eigenen Einschränkungen bewusst bleiben, wie dies seinerzeit Sigmund Freud so genial formulierte, als er feststellte, dass die eigenen Möglichkeiten im Vergleich zum „Schicksal” doch eben begrenzt scheinen. Mit allen Überraschungen, „bad beats”, wundersamen Wandlungen oder aber auch manch gewünschtem Verlauf: die Karten zeigen die Wahrheit, bzw. diverse Facetten davon, und wer kann, der möge dankbar, respektvoll und geradezu demütig mit solch einer Offenbarung umgehen, und anerkennen, dass die Ergebnisse hier nun mal gerade eben nicht, wie vielleicht beim Armdrücken alleine in der eigenen Hand liegen. Die Karten entlarven, wie schnell man oft irrt, eher umhertapst wie ein Fremder im Dunkeln auf der Suche nach etwas Halt. Möge man dabei auch erfahren sein, immer wieder auch wird man greifen ins Nichts. Wir sollten den Karten vielleicht dankbar sein, so „günstig”, und ohne oder mit eher geringem körperlichen Schaden davongekommen zu sein, vielleicht in der Hoffnung, gerade durch Frustration im psychischen Bereich Entwicklungschancen zu erlangen.
Das Pokerspiel zeigt die Wahrheit. Das Pokerspiel zeigt die Wahrheit!
Das Pokerspiel zeigt die Wahrheit des Individuums.
Sie zeigt sich im offensichtlich vielfältigen Wunsch des Einzelnen, Risiken einzugehen, zu spielen, ohne genau zu wissen, wie das Abenteuer endet. Der Mensch ging früher auf die Jagd auch auf weitaus stärkere Tiere und riskierte dabei sicher mehr als oft und angst- und lustvoll das eigene Leben – statt friedlich Beeren zu sammeln. Der Mensch baut Atomkraftwerke. Sicher kann man versuchen, Risiken zu minimieren, sich abzusichern, aber letztendlich bleibt die Unsicherheit, der Nervenkitzel nicht zu wissen, wie es endet. Eine Wahrheit des Menschen, deren Tiefe vielleicht gar nicht abgeschätzt werden kann.
Das Pokerspiel zeigt die Wahrheit im Zwischenmenschlichen.
Wie schnell werden hier Aggressionen deutlich, die wir ansonsten doch so bemüht sind zu verbergen? Unsere Mitspieler sind „fish”, ausnehmbare Objekte, oder Subjekte, die es zu schlagen gilt. Mit Betrug (bluff), Einschüchterung, hemmungslosen Ausnutzen einer besseren Position kann hier (spielerisch bzw. symbolisch) ein Teil von Beziehung lustvoll ausgelebt werden, wie man dies sonst allenfalls im privat-sexuellen Bereich duldet bzw. offen favorisiert.
Das Pokerspiel zeigt hier auch die Wahrheit, dass manche Spieler in einigen Bereichen besser spielen, sich besser „im Griff haben”, mehr Fähigkeiten haben als andere, „Wahrheiten” zu erkennen. Dabei könnte gelten: „Wer mehr sieht, hat immer recht.” (Husserl) wobei letztendlich eben niemand alles überblickt, (sofern wir dies überblicken). Daraus einen Vorteil zu generieren scheint geradezu eine „natürliche Wahrheit” und wer will es dem Menschen verdenken, die dies tut?
Das Pokerspiel zeigt die Wahrheit unserer Gesellschaft.
Unsere Gesellschaft ist eine kapitalistische Gesellschaft. Geld, „Macht”, „Sieg” und „Ruhm” stellen begehrenswerte Ziele dar, und manchem scheinen darüber hinaus sogleich gar keine anderen einzufallen, sofern sie nicht meist durch diesen oder jenen Verlust an „Gesundheit”, „Liebe”, „Kreativität”, „Freundschaft” oder „Menschlichkeit” erinnert werden.
Das Pokerspiel schafft keine Werte, jenseits der Möglichkeit sich psychodynamisch zu entwickeln (wobei hier Stagnation bzw. Degeneration nicht unüblich sein könnte). Beim Poker wird nur Geld und Ruhm verteilt, Casinos schießen wie Pilze aus dem Boden, Wettbüros an jeder Ecke und es scheint gar, als ob dies eine Wahrheit zeigt, dass diese Gesellschaft so viele Menschen gar nicht mehr „braucht”, ihnen keine Chancen mehr zu geben scheint, in dieser Welt wirklich etwas zu verändern bzw. kreativ-produktiv zu sein. Wettbuden voller hier hoffnungsreicher Glücksritter, die so wenig Hoffnung mehr haben, außerhalb dieser „Spiel”-Welt Wünsche für sich zu erreichen, die frustriert sich abgewendet und emigriert haben, von den Möglichkeiten etwas aufzubauen oder zu kreieren, die sich „groß” phantasieren, ob ihrer Möglichkeiten und Kniffe, zumindest hier möglichst erfolgreich zu sein.
So, wie man nicht zweimal in genau denselben Fluss steigen kann, so wenig bedeutet dieselbe Starthand dasselbe Spiel. Viele unberechenbare Umstände beeinflussen das Spiel, fast analog dem Flügelschlag des Schmetterlings und musst Du zwischendurch mal auf Toilette oder folded am Nachbartisch einer aus Versehen die beste Hand: vielleicht hättest Du dann das Turnier gewonnen – wahrscheinlicher aber dann gerade nicht?! Die Wahrheit – liegt auf dem Platz, sie wird sich zeigen.
Vielleicht liegt gerade aber auch in der Suche nach mancher „Wahrheit”, bzw. auch dem Wunsch, sich auf diese spielerische Weise mit gewissen Themen, Gefühlen, Situationen auseinanderzusetzen, anderen Welten auszuweichen, quasi viel ältere niederschmetternde Erlebnisse oder Hoffnungen zu „reinszenieren”, Freude aber auch Frustration zu suchen eine Wahrheit, weshalb Poker für viel so attraktiv?! Vielleicht aber ist Poker auch gerade die Flucht.
Das Pokerspiel offenbart Wahrheiten, oft so unverblümt wie wir es kaum ertragen, aber doch immer wieder aus dem Bett an den Tisch zurück vielleicht in der Hoffnung, dass alles wird anders.
Liebe Grüße
Stefan Schüttler aka vodoo (Bad Beat Berlin e.V.)
Im “realen” Leben, Dipl. Psychologe, Psychotherapeut und frisch gewählter Präsident des gerade eingetragenen Pokerclubs Berlin Bad Beat Berlin. e.V.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 08.12.2006.