Welche Aussagekraft haben Ergebnisse beim Poker? Können diese herangezogen werden, um aufzuzeigen, dass Poker eine relevante Geschicklichkeitskomponente hat?
Im ersten Teil dieser Serie habe ich dafür argumentiert, dass Poker sowohl ein Glücksspiel als auch ein Geschicklichkeitsspiel ist. In diesem Teil will ich erörtern inwieweit ergebnisbezogene Analysen herangezogen werden können, um ein Können der Spieler zu ermitteln. Insbesondere werde ich einige – häufig bei solchen Analysen gemachte Fehler – aufzeigen.
Wenn darüber diskutiert wird, ob Poker ein Geschicklichkeits- oder ein Glücksspiel ist, werden sehr häufig ergebnisbezogene Argumente herangezogen. Das sind Argumente der Art, dass ein guter Spieler langfristig besser abschneidet als ein schwächerer Spieler und dass dies zeige, dass Poker kein reines Glücksspiel ist.
Ein solches Argument erscheint auf den ersten Blick schlüssig: Wer gut spielt, erzielt langfristig Gewinne und wer langfristig Gewinne erzielt, ist wahrscheinlich ein guter Spieler.
Aber solche ergebnisbezogenen Argumente kommen mit einigen Fallstricken daher und sind alleine nur bedingt geeignet, Aussagen über die Glücks- und Geschicklichkeitskomponente beim Poker zu treffen. Was ist problematisch an diesen ergebnisbezogenen Analysen?
Im Folgenden will ich einige der Probleme einer solchen ergebnisbezogenen Sichtweise kurz darlegen.
Ergebnisbezogene Analysen sind häufig ex-post
Wenn bestimmt werden soll, ob ein bestimmter Spieler ein “guter Spieler” ist, greift man in der Regel auf die Ergebnisse des Spielers zurück. Hat der Spieler über einen hinreichend langen Zeitraum genügend Gewinne realisiert, wird er als “guter Spieler” klassifiziert. Dies ist zwar naheliegend aber im Grunde ein völlig absurdes Vorgehen, wie folgendes kleines Beispiel zeigt:
Unter allen deutschen Lotto-Spielern gibt es tausende, die signifikante Gewinne gemacht haben – einige haben auch mehrfach fünf- oder sechsstellige Beträge gewonnen. Recht offensichtlich sollte man diesen Spielern nicht zusprechen, dass sie “gute Lottospieler” sind. Diese Spieler hatten einfach nur Glück und haben zufälligerweise positive Ergebnisse vorzuweisen. Dass es so überaus “erfolreiche” Spieler gibt, ist eine statistische Notwendigkeit von Spielen, die Gewinne erlauben.
Das selbe gilt natürlich auch beim Poker – gute Ergebnisse sind zwar ein Indikator dafür, dass ein Spieler möglicherweise besser ist als seine Gegner, aber kein Nachweis von Spielstärke. Ein für viele einleuchtendes Beispiel in dieser Hinsicht ist WSOP-ME Sieger von 2006, Jamie Gold. Er zählt zwar zu den Top-10 Turniergewinnern weltweit, aber die meisten Beobachter seines Spiels werden ihm nur moderate spielerische Qualität zusprechen. Sein Ergebnis in nackten Zahlen hat also wenig mit seiner tatsächlichen Spielstärke zu tun.
Ergebnisse eines Spielers sind immer von den Gegnern abhängig
Will man von den Ergebnissen eines Spielers auf sein Können schließen, muss man immer die jeweiligen Gegner des Spielers berücksichtigen. Schauen wir uns Schach an, ein Spiel bei dem Glück faktisch keine Rolle spielt. Spielen mehrere gleichstarke Großmeister gegeneinander, werden sie im Schnitt die Hälfte ihrer Spiele gewinnen und die Hälfte verlieren1. Jeder dieser Großmeister schneidet also mit einer Bilanz von +/- 0 ab.
Lässt man nun einen Vereinsspieler gegen mehrere blutige Amateure antreten, wird der Vereinsspieler jedes Spiel gewinnen und käme mit einer positiven Bilanz aus dem Wettkampf.
Der Vereinsspieler hätte also bessere Ergebnisse als die Großmeister, aber dennoch würde keiner auf die Idee kommen, ihm bessere spielerische Qualitäten zuzusprechen.
Ebenso verhält es sich beim Poker. Nur weil ein Spieler auf einem bestimmten Limit grade so die Rake schlägt, heißt das noch nicht, dass er nur ein mittelmäßiger Spieler ist. Es sagt bestenfalls etwas über seine Spielqualitäten in Bezug auf den Spielerpool aus.
Guy LaLiberteverzerrte Ergebnisse
Deutlich wird das, wenn man sich die Ergebnisse von einigen Online-Highstakes-Spielern anschaut. Vor einigen Jahren pumpte der Milliardär und pokerunerfahrene Guy LaLiberté weit über 10 Millionen Dollar in das System, indem er auf den höchsten Limits spielte und dabei kontinuierlich durch schwaches Spiel verlor. In dieser Zeit haben viele Spieler davon profitiert und hohe Gewinne eingefahren. Doch sagt ein Gewinn von mehreren Millionen Dollar in den teuersten Online-Cashgames nicht viel über eine absolute Spielstärke aus, wenn man berücksichtigt, dass ein Großteil dieses Geldes von einem einzigen sehr schlechten Spieler stammt.
Spiele mit positivem Erwartungswert können auch reine Glücksspiele sein
Das nächste Problem bei ergebnisbezogenen Betrachtungen ist, dass eine Betrachtung der Natur “Wenn man bei einem Spiel langfristig gewinnen kann, muss das Spiel eine Geschicklichkeitskomponente haben”, Spiele wie Roulette oder Slots zu Geschicklichkeitsspielen deklarieren kann.
Promo-RouletteGeschicklichkeit?
Folgendes Beispiel, ich will es “Promo-Roulette” nennen: Ein Kasino bietet beim Roulette eine Promotion an. Für einen Tag zählt die “0” als Joker und zahlt alle Einsätze der Spieler entsprechend der jeweiligen Quoten aus. Ein solches Promo-Roulette-Spiel hätte für die Spieler einen deutlich positiven Erwartungswert. Das Setzen auf einfache Zahlen hätte zum Beispiel einen Erwartungswert von 35 * 2 / 36 = 1,94 – fast dem Doppelten des Einsatzes. Offensichtlich könnte man bei einem solchen Spiel langfristig Gewinne erzielen. Das Ergebnis bei diesem Spiel wäre also positiv.
Aber natürlich will man einem Roulette-Spiel, auch dem Promo-Roulette, keine (zumindest keine relevante) Geschicklichkeitskomponente zusprechen. Hier wären zwar langfristig positive Ergebnisse möglich, aber dies hat sehr viel weniger mit dem Geschick der Spieler oder einem geringen Glücksfaktor als mit der Auszahlungsstruktur des Spiels zu tun. Eine rein ergebnisorientierte Analyse könnte derartige Spiele nur schwerlich erfassen.
Mustererkennung in zufälligen Ergebnissen
Zu guter Letzt schaue ich mir eine Simulation von 100 Turnieren mit je 1.000 Spielern an. In dieser Simulation nehmen stets die selben Spieler an insgesamt 100 Turnieren mit dem selben Buy-In teil und alle Spieler haben die gleiche Spielstärke. Die Anzahl der Turniere entspricht in etwa der sämtlicher größeren Live-Turniere über einen Zeitraum von knapp zwei Jahren.
Das klingt zunächst nach einem recht langen Zeitraum und man möchte meinen, dass sich die Ergebnisse ein wenig ausgleichen, da in der Simulation die Spieler über 100 Turniere allesamt die gleichen Chancen haben, gute Platzierungen zu erreichen.
Doch schauen wir uns das Ergebnis der Simulation an. Der folgende Graph gibt den ROI sämtlicher Spieler an, zeigt also auf, wie viel Gewinn sie über die 100 simulierten Turniere gemacht haben:
Simulierter ROI von 1.000 Spielern über 100 Turniere bei jeweils zufälliger, gleichverteilter Platzierung in den Turnieren.Sieht so eine Verteilung der Gewinne sonderlich zufällig aus? Ein knappes Drittel aller Spieler hat Profit gemacht, fast 15% aller Spieler ihre Einsätze mehr als verdoppelt und einige Spieler haben sogar zwei der 100 Turniere gewonnen. Nähme man an, die 100 Turniere hätten je ein Buy-In von $9.500 + $500 und eine Standard-Auszahlungsstruktur, würden die absoluten Zahlen der Simulation wie folgt aussehen (sortiert nach ROI):
Spieler | Gewinne | Netto-Gewinne | ROI |
1 | 5.597.000 | 4.589.610 | 479% |
2 | 5.097.900 | 4.090.510 | 427% |
3 | 4.643.900 | 3.636.510 | 380% |
4 | 4.586.000 | 3.578.610 | 374% |
5 | 4.206.000 | 3.198.610 | 334% |
… | … | … | … |
10 | 3.843.000 | 2.835.610 | 296% |
… | … | … | … |
33 | 2.901.000 | 1.893.610 | 198% |
… | … | … | … |
130 | 1.959.000 | 951.610 | 99% |
… | … | … | … |
200 | 1.485.000 | 477.610 | 50% |
… | … | … | … |
250 | 1.203.000 | 195.610 | 20% |
… | … | … | … |
324 | 1.007.000 | -390 | 0% |
… | … | … | … |
404 | 817.000 | -190.390 | -20% |
… | … | … | … |
582 | 533.000 | -474.390 | -50% |
… | … | … | … |
920 | 293.000 | -714.390 | -75% |
… | … | … | … |
997 | 147.000 | -860.390 | -90% |
998 | 131.000 | -876.390 | -92% |
999 | 125.000 | -882.390 | -92% |
1000 | 101.000 | -906.390 | -95% |
Wüsste man nicht, dass es sich hierbei um das Ergebnis einer Simulation mit gleichstarken Spielern handelt, würde wohl jeder, der diese Statistiken sieht, den top-platzierten Spielern sofort ein tieferes Spielverständnis und Können attestieren und die Spieler mit einem extrem niedrigen ROI als Amateure kategorisieren.
Aber mit einer solchen Einordnung wäre man schlicht der Varianz in die Falle getappt. Ein eventuelles Können der Spieler hatte in dieser Simulation gar keine Berücksichtigung gefunden. Eben dieses würde den Spielern erst ex-post zugebilligt oder abgesprochen, hätte aber absolut nichts mit dem tatsächlichen Können der Spieler zu tun.
Wenn nun aber simulierte rein zufällige Ergebnisse so aussehen, als würden sie ein Geschicklichkeitsgefälle wiedergeben, muss man notwendig auch fragen, ob es sich bei tatsächlichen Pokerergebnissen nicht ähnlich verhalten kann. Läuft man hier in die selbe Falle, wenn man Spielern aufgrund positiver Ergebnisse Geschick attestiert? Oder zeigt sich langfristig tatsächlich eine statistisch signifikante Korrelation zwischen attestierter Geschicklichkeit eines Spielers und seinen Ergebnissen?
Auf diese Fragen will ich (reichlich statistisch) im nächsten Artikel eingehen und es wird sich zeigen, dass bei einer rein ergebnisorientierten Betrachtung der Glücksfaktor beim Poker eine enorme Rolle spielt. Und das nicht nur kurzfristig, sondern auch über einen längeren Zeitraum. Wie enorm sich Glück in Form von Varianz beim Poker auswirken kann, kann man in meinen älteren Artikel zu Gwinnraten, Statistiken und Downswings nachlesen oder in unserem Poker-Varianzrechner selbst testen.
1 Zum zwecke des Arguments können Remis ignoriert werden, auch wenn diese das häufigste Spielergebnis sein werden.
<hr' />
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 11.04.2016.