Tilt ist bei den meisten Pokerspielern einer der Hauptgründe für miese Ergebnisse an den Tischen. Aber das muss nicht sein, denn mit ein paar Tricks kann man den Tilt umgehen oder zumindest eindämmen.
In diesem Artikel zeigen wir, was Tilt auslöst und was die tieferliegenden Gründe für Tilt beim Pokern sind:
Was löst Tilt aus?
Auslöser Nummer eins für Tilt beim Poker ist ganz klassisch der eine Bad Beat zu viel. Jeder Spieler hat eine gewisse Toleranz, wie viel Pech oder fehlendes Glück er im Laufe eine bestimmten Zeitspanne aushalten kann, ohne dass sich dies negativ auf seine Spielleistung auswirkt.
Ein generell etwas cholerisch veranlagter Pokerspieler mag schon nach dem ersten verlorenen Coinflip schäumen, deutlich ausgeglichenere Spieler vermögen vielleicht gleich drei Einouter in Folge gegen sich zu ertragen, ohne dass es ihre Entscheidungen negativ beeinflusst. Bei den meisten von uns dürfte die Bad-Beat-Toleranz irgendwo dazwischen liegen.
Was tun gegen Tilt?
Die einfachste Art und Weise, diesen Bad-Beat-Tilt bei sich zu bekämpfen, besteht darin, sich klarzumachen, dass man beim Poker alles richtig gemacht hat, wenn man seine Chips in einer profitablen Situation in die Mitte bugsiert hat. Wenn der Gegner dann seinen Flush trifft oder zufällig die einzige Hand hat, die einen schlägt, dann kann man nichts daran ändern, hat aber trotzdem alles richtig gemacht.
Man muss sich klarmachen, dass es beim Pokerspielen darauf ankommt, dass man seine Chips profitabel einsetzt. Gegen Glück und Pech kann man ohnehin nichts machen. Wer dies begreift, ist gegen den Bad-Beat-Tilt bestens gewappnet und wird nicht gleich ausflippen, wenn er mal ein 80/20-All-In verliert.
Aber egal wie strapazierfähig man gegenüber Bad Beats ist – spielt man (semi-)professionell Poker, kommen notwendigerweise dann und wann Sessions vor, in denen man den einen Bad Beat zu viel verpasst bekommt. Steigt dann der Tilt in einem hoch, ist die einzig geistvolle Reaktion, dass man eine Pause macht oder die Session einfach beendet.
Denn nicht Poker zu spielen ist eindeutig profitabler als mit Tilt Poker zu spielen. Ersteres ist kostenlos, letzteres das genaue Gegenteil.
Es gibt kein Mittel die oben geschilderte Tilt-Mechanik komplett zu umgehen. Wenn wir zu viele Bad Beats bekommen, tilten wir. Wohl aber aber können wir an unserer Einstellung zum Spiel und unseren Mitspielern arbeiten, um robuster gegenüber Tilt zu werden.
Anspruchshaltung: Die Ursache von Tilt
Bad Beats sind die Auslöser für Tilt, doch der Grund ist zumeist ein anderer: Wir gehen mit der Erwartung an das Spiel, dass wir a) besser sind als unsere Mitspieler und b) deswegen auch bitte schön gewinnen mögen.
Die allermeisten Spieler werden, wenn sie sich selbst gegenüber ehrlich sind, feststellen, dass sie genau mit dieser Anspruchs- und Erwartungshaltung an das Pokerspiel gehen.
Diese Haltung kann auf eine einfache Formel gebracht werden: Wenn ich gewinne, dann war ich gut; wenn ich verliere, dann hatte ich Pech. Dass wir so an Spiele mit Zufallselementen herangehen, ist augenscheinlich einem Teil der menschlichen Natur zuzuschreiben.
Wer hat es noch nicht am Pokertisch erlebt – ein Spieler, der nach unserem Dafürhalten schlecht spielt (etwa weil er zu viel callt und zu viele Flops sieht) callt eine riesengroße Bet auf dem Turn und trifft auf dem River einen Gutshot. Einen verdammten Vier-Outer! Damit nimmt er uns den halben Stack weg, denn wie sollten wir denn damit rechnen, dass er eine Straße hat. Natürlich zahlen wir mit Top-Two den Raise auf dem River und dann dreht dieser Depp seinen geriverten Gutshot um. Nicht fair!
Was wir beim Poker "verdienen"
Spätestens hier sollte man einhalten: "nicht fair"? Was soll das denn heißen, "nicht fair"? Dem Deck ist es doch völlig egal, welche Karte auf dem River kommt – ob es nun eines der vier Outs oder eine andere Karte ist, das ist reiner Zufall. Fairer als das geht es gar nicht.
Was wir meinen, wenn wir "nicht fair" denken, ist, dass es der schlechte Spieler nicht verdient hat, die Hand zu gewinnen. Schließlich hat er schlecht gespielt, etwa eine Bet in Pot-Größe mit einem krepeligen Gutshot bezahlt und wir hatten Two-Pair. Wir hätten es verdient, diese Hand zu gewinnen.
Genau dies meinte ich mit der Anspruchshaltung beim Pokerspielen: Wir meinen, wir hätten den Pot "verdient", wenn wir unser Geld als Favorit in die Mitte bringen oder wenn wir scheinbar gut spielen, unser Gegner aber scheinbar schlecht.
Das ist allerdings ein Irrglaube – nur weil wir meinen, wir spielen gut, haben wir es noch lange nicht "verdient", eine Hand zu gewinnen. Nur weil wir unser Geld als 80-prozentiger Favorit in die Mitte bekommen, haben wir es nicht automatisch "verdient", den Pot zu gewinnen – wir haben eine 80-Prozent-Chance verdient, mehr nicht.
Und nur weil wir eine 80-Prozent-Chance verlieren, haben wir es nicht "verdient", die nächste zu gewinnen, wir haben dann wieder nur die 80% verdient.
Weg mit der Anspruchshaltung!
Diese Anspruchshaltung ist beim Pokerspiel sehr schadhaft, denn sie vernebelt einem ein wenig die Sinne. Man ist deswegen weniger empfänglich, eigene Fehler zu erkennen (schließlich hatte man in den eigenen Augen perfekt, oder zumindest besser als der Gegner, gespielt) und man tut sich schwer damit, gegnerische Spielzüge zu verstehen ("Ist doch egal, warum der so spielt, es ist falsch!").
Beides führt dazu, dass das eigene Spiel leidet und noch dazu wird man mit dieser Anspruchshaltung wesentlich anfälliger für Tilt.
Nun kommt diese Anspruchshaltung beim Pokern allerdings fast automatisch, was kann man also dagegen tun? Man muss sich beim Spiel folgender Dinge bewusst sein und immer sich immer wieder bewusst machen:
1. Einsicht in die eigene Unvollkommenheit am Pokertisch
Als allererstes sollte man verstehen, dass man nicht der beste Pokerspieler seit Vanessa Selbst ist. Egal wie gut man zu spielen meint, man wird immer noch Fehler machen und dann und wann unkonzentriert sein.
Man kann das eigene Spiel nur verbessern, wenn man aufgeschlossen gegenüber der Tatsache ist, dass man noch Fehler macht und nicht perfekt spielt. Demut gegenüber dem Spiel (und auch den Mitspielern) wirkt bezüglich Tilt wahre Wunder.
Und wenn man nicht davon ausgeht, der beste Spieler am Tisch zu sein, geht man vielleicht auch nicht mehr davon aus, Gewinne "verdient" zu haben – man wird weniger Anfällig für den Tilt der unerfüllten Erwartungshaltung.
2. Die Mitspieler sind vielleicht besser als wir denken
Ferner sollte man seinen Mitspielern nicht ad hoc jegliches Spielverständnis absprechen, nur weil sie einen merkwürdig anmutenden Spielzug zeigen.
Manchmal hat der Wahnsinn Methode und die vermeintliche Calling-Station, die eben noch einen Gutshot gegen uns riverte, hat etwas später einen nackten Bluff, wenn sie uns auf dem River raist. Folden wir dann zähneknirschend unser Set, weil wir uns noch zu gut an den Gutshot erinnern, wurden wir nach Strich und Faden ausgespielt.
3. Warum spielt mein Gegner eigentlich so?
Wenn ein Gegner einen scheinbar schlechten Spielzug macht, sollten wir es um alles in der Welt nicht dabei belassen, zu konstatieren, dass der Gegner keine Ahnung hat.
Auch wenn es offensichtlich ist, dass ein Gegner suboptimal spielt, ist es wichtig herauszufinden, warum er in dieser und jener Situation so und nicht anders spielt.
Verliert man einen Pot aufgrund eines schwach scheinenden Spielzugs des Gegners, sollte man sich nicht darin ergehen, sein Pech zu beklagen. Viel besser ist es, wenn man versucht, sich in den Gegner hineinzuversetzen.
Etwa: Callt er generell beliebig große Bets mit Draws? Raist er nur wenn er die Nuts hat? Ignoriert er Pot-Odds und denkt in absoluten Kategorien?
Es ist ein Sport, die Fehler der Mitspieler zu finden und auszunutzen, es ist ein Jammer, diese nur zu beklagen. Beschäftigt man sich mit Spielweise seiner Mitspieler, verbessert man zum einen massiv sein Spielverständnis am Tisch und wird gleichzeitig weniger anfällig für Tilt – man ist schließlich nicht mehr auf die Ergebnisse einer Hand versessen, sondern darauf, seine Reads zu schärfen.
4. Ergebnisse sind egal
Das ist vermutlich der schwierigste Punkt, denn Erfolg und Misserfolg beim Poker messen sich am Ende nur an genau einer einzigen Größe: Wie viel Geld hat man gewonnen oder verloren?
Allerdings sollte man beim Spiel selbst nicht in dieser Kategorie denken, denn Poker ist ein Spiel mit einem riesigen Zufallselement. Extrem häufig zeigen sich gutes und schlechtes Spiel eben nicht in kurzfristigen monetären Schwankungen. Man kann trotz Vanessa-Selbst-gleichem Spiel auch über einen längeren Zeitraum verlieren und man kann trotz Jamie-Gold-gleichem Spiel das Main-Event gewinnen.
Guten Pokerspielern gelingt es, beim Spiel ihre Emotionen weitestgehend von den konkreten Ergebnissen abzukoppeln. Denn am Ende kann man nichts anderes machen, als seine Chips profitabel in die Mitte zu bringen. Gelingt einem das häufiger als den Gegnern, gewinnt man beim Poker. Langfristig zumindest.
Und wem die Ergebnisse (zumindest während des Spiels) egal sind, kann kaum tilten.
Tilt ganz vermeiden können nur die allerwenigsten Pokerspieler und es ist mit Sicherheit eine Frage des persönlichen Naturells, wie man krassen Bad Beats oder wiederholten Verlusten gegen schwache Gegner umgeht.
Spielerfahrung hilft hier am Ende eine Menge. Irgendwann hat man beim Poker praktisch alles erlebt, auch so groteske Situation wie etwa das Verlieren gegen einen perfekten Runner-Runner (etwa mit AA auf einem A22–Board gegen einen Gegner mit 77; Turn und River: 7) oder dass der selbe Gegner innerhalb eines Orbits zweimal ein besseres Set flopt. So etwas passiert eben und irgendwann haben die meisten Spieler so viel Erfahrung gesammelt, dass sie solche Dinge nicht mehr komplett aus der Ruhe bringen.
Zwei Spieler, die Tilt fast zur Perfektion gemeistert haben sind Jamie Staples und Jason Somerville – beiden kann man via Twitch beim Pokern zusehen: Jamie "pokerstaples" Staples und Jason "JcarverPoker" Somerville.
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Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 11.04.2016.