Letzte Woche stellten in unserer Pokerbrainstorm-Reihe die Frage nach dem Spiel auf der Bubble eines Sit-And-Gos, wenn man als Mid-Stack all-in gestellt wird. Jetzt wollen wir die Hand auflösen.
Die Fragestellung:
Das All-In auf der Bubble
Zunächst zur Ausgangssituation: Wir spielen ein €55-Sit-And-Go mit 9 Teilnehmern und sind genau an den Bubble. Die Blinds sind inzwischen recht hoch und die Spieler haben zwischen 6,7 und 16,7 Big Blinds im Stack.
Die beiden ersten Spieler folden und der Bigstack im Small Blind geht all-in:
Auszahlung: Platz 1: €450, Platz 2: €225, Platz 3: €90, Platz 4: €0
Blinds: t150 / t300, t25 Ante
UTG (t2.000)
BU (t3.500)
SB (t5.000)
BB (t3.000)
Preflop: UTG foldet, BU foldet, SB raist all-in, BB …?
Zu den Spielern: Der Shortstack UTG ist ein vergleichsweise schwacher Spieler, alle anderen grundsolide.
Der Bigstack im Small Blind ist in solchen Blind-gegen-Blind-Situationen sehr aggressiv und wir können davon ausgehen, dass er hier mit rund 80% seiner Range all-in geht.
Wir wollen jetzt wissen, mit welchen Händen der Spieler im Big Blind das All-In callen sollte:
Fall 1: Gutes Paar: Was macht der BB mit 9 9 ?
Fall 2: Kleines Paar: Was macht der BB mit 4 4 ?
Fall 3: Sehr gute hohe Karten: Was macht der BB mit A Q ?
Fall 4: Gute hohe Karten: Was macht der BB mit A 10 ?
Fall 5: Mäßige hohe Karten: Was macht der BB mit K 10 ?
Allgemein: Mit viel Prozent seiner Range sollte der Big Blind das All-In callen?
Fehler in der Fragestellung
Bevor ich zur Auflösung komme, eine Anmerkung: Bei der Fragestellung ist mir ein reichlich dämlicher Fehler unterlaufen.
Schaut man sich die Payouts (1.: €450, 2.: €225, 3.: €90) an, kann man schnell feststellen, dass dies niemals die Payout-Struktur eines €50+5-Turniers sein kann. Dies hätte nämlich eine ganz andere andere Auszahlung (1. : €225, 2.: €135, 3.:€90).
Die Frage hatte ich mit der zweiten Struktur im Kopf und auch schon damit durchgerechnet. Eine Struktur wie die hier gegebene verzerrt das Ergebnis ganz schön, denn das erhöhte Preisgeld für Platz 1 und 2 machen es lukrativer, auf der Bubble etwas riskanter zu callen.
Auflösung
Ich löse die Hand jetzt einfach konsequent nach der Fragestellung auf, auch wenn diese fehlerhaft war.
Das Zauberwort hier heißt ICM und damit ist es tatsächlich möglich, die Hand mehr oder weniger akkurat aufzulösen. Sprich: Man kann genau sagen: Ja, mit dieser und jener Hand ist ein Call korrekt, mit der und der jedoch falsch.
ICM ist die Abkürzung für Independent Chip Model und ein sehr robustes Mittel, Turnier-Situationen und den Wert von Chips korrekt einzuschätzen. Schon vor einiger Zeit habe ich erklärt, wie ICM funktioniert und wozu man das braucht.
ICM-Werte für die Hand
Rechnen wir diese Hand also einfach durch. Drei Szenarien können eintreten:
1. Der Big Blind foldet
2. Der Big Blind und gewinnt
3. Der Big Blind und verliert
Jetzt müssen wir uns nur ansehen, wie viele Chips der Big Blind in jedem Fall hat und welchen Wert diese Chips nach ICM haben. Für letztes kann man einfach unseren ICM-Rechner nehmen.
In folgender Tabelle hab ich die möglichen Chipstände für die drei Szenarien zusammengefasst. In Klammern ist jeweils der ICM-Wert der Chips gegeben.
Spieler | 1. Fold | 2. Call / Win | 3. Call / Lose |
UTG | 1.975 (€130) | 1.975 (€135) | 1.975 (€179) |
BU | 3.475 (€202) | 3.475 (€207) | 3.475 (€240) |
SB | 5.375 (€266) | 2.000 (€136) | 8.050 (€346) |
BB | 2.675 (€167) | 6.050 (€287) | 0 (€0) |
Den sehr unwahrscheinlichen Fall eines Split-Pots habe ich einfach ignoriert.
Sprich: Wenn der Big Blind foldet, haben seine Chips noch einen Wert von €167. Wenn der Big Blind callt und gewinnt, haben seine Chips einen Wert von €287 und wenn er callt und verliert, hat er gar keine Chips mehr und diese haben natürlich auch keinen Wert.
Das heißt, damit ein Call profitabel ist, muss der Big Blind in 58% der Fälle ( = €167 / €287) das All-In gewinnen.
Das ist also die magische Zahl: 58%. So viel Equity braucht der Big Blind gegen die Range des Small Blinds.
Welche Hände sind das?
Mit einem guten Equity-Rechner (etwa dem von ProPokerTools ) kann man leicht ausrechnen, welche Hände gegen die Range vom Small Blind (Top-80% aller Hände) mindestens 58% Equity haben:
– 66 und jedes bessere Paar
– A8o oder besser
– A6s oder besser
– KJo oder besser
– KTs oder besser
Zählen wir diese Hände zusammen, kommen wir auf 194 Kombinationen. Insgesamt sind vor dem Flop 1.326 Kombinationen möglich. Sprich: etwa 15% der Range des Big Blinds kann das All-In profitabel callen. Das ist auch gleichzeitig die Lösung zur allgemeinen Frage.
Da ein Spieler am Tisch, der Short-Stack in UTG, besonders schwach ist, kann man mit den schlechtesten Händen dieser Range auf einen Call verzichten. Es ist wahrscheinlich, dass es bessere Situationen für den Big Blind geben wird und außerdem muss der Shorty in den nächsten zwei Händen durch die Blinds und wird dabei einen guten Teil seines Stacks verlieren oder unter Umständen selbst ausscheiden.
Auflösung der Fragen
Nun zur Auflösung der Fragen. Gefragt war, was unsere Leser mit spezifischen Händen machen würden.
Dies die Verteilungen bei der Umfrage und der korrekte Spielzug nach ICM.
Hand | Call | Fold | Korrekt nach ICM |
9 9 | 83% | 17% | Call |
4 4 | 18% | 82% | Fold |
A Q | 86% | 14% | Call |
A 10 | 51% | 49% | Call |
K 10 | 9% | 91% | Fold |
Und mit diesen Ranges wollten die Leser callen:
Range | Prozent |
Top-10% | 19% |
Top-15% | 13% |
Top-20% | 27% |
Top-25% | 15% |
Top-30% | 20% |
Andere | 6% |
Während die Mehrheit der Leser bei den Fragen nach konkreten Händen jeweils richtig tippten, liegen die meisten mit den Ranges ein gutes Stück daneben. Gleich 35% aller Leser würden mit mehr als einem Viertel alle Hände das All-In callen. Das ist viel zu loose!
In dieser Situation auf der Bubble ist unser Stack viel zu wertvoll, als dass wir mit einer so weiten Range ein All-In callen sollten.
Die intendierte Fragestellung
Wie eingangs erwähnt, habe ich bei der Fragestellung einen Fehler gemacht. Die Preisgeld-Struktur entsprach nicht der eines tatsächlichen Sit-And-Gos.
Stelle ich diese Frage als noch einmal: Wir sind der Big Blind in oben aufgeführter Hand und die Payouts sind diesmal: 1. : €225, 2.: €135, 3.:€90, 4.: €0. Mit welcher Range callen wir das All-In des Small-Blinds?
Immer noch 15%? Werden wir tighter? Oder gar looser?
Für PokerListings.com bin ich dieser Fragestellung auf englisch nachgegangen und die womöglich überraschende Lösung ist unter How to Play Profitably On a Tournament Bubble With the Help of ICM zu finden.
Bei uns gibt es den nächsten Pokerbrainstorm in Bälde. Vielen Dank allen, die bei den Umfragen immer fleißig mitmachen. Wenn ihr Fragestellungen oder Anregungen für diese Rubrik habt, freuen wir uns über Kommentare oder Mails.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 28.11.2014.