Weiter geht es mit dem zweiten Teil von Andrew Brokos ausführlicher Analyse profitabler Situationen bei Pokerturnieren.
Varianz und profitable Situationen
Häufig werden Sie vor der Frage stehen, welche profitable Situation Sie erzeugen möchten. Beispielsweise bekommen Sie in einem NLHE-Turnier in der ersten Hand in UTG 99 ausgeteilt. Sie könnten diese Hand direkt spielen, um von niedrigeren Paaren oder Top Pair auf einem Board mit niedrigeren Karten oder einer Continuation Bet auf dem Flop Geld zu gewinnen. Sie könnten aber auch limpen, um ein Set zu floppen und einen großen Pot gegen Two Pair oder Top Pair zu gewinnen.
Im ersten Fall gewinnen Sie wesentlich häufiger einen kleinen Pot, gelegentlich einen großen mit einem Set gegen Top Pair, aber bisweilen verlieren Sie auch einen großen Pot gegen ein besseres Paar oder werden von einer schlechteren Hand aus dem Pot geblufft.
Mit einem Limp lassen Sie zu, dass eine Menge schlechtere Hände Sie auf dem Flop überholen. Eventuell folden Sie sogar die beste Hand gegen einen Semi-Bluff. Treffen Sie Ihr Set, wird es schwieriger einen großen Pot zu gewinnen, da sich die anderen Spieler seltener in einem ungeraisten Pot mit vielen Beteiligten nicht von Top Pair trennen können. Allerdings verlieren Sie selten einen großen Pot und mit mehreren anderen Spielern auf dem Flop ist es wahrscheinlicher, dass Sie jemand ausbezahlt.
Sowohl ein Raise mit 99 in UTG als auch ein Limp sind profitable Situationen, wobei der zentrale Unterschied zwischen den beiden Spielweisen die Varianz ist: Wie oft wollen Sie den Pot gewinnen/verlieren und um welche Potgröße wollen Sie spielen? Meiner Meinung nach hängt viel von der Phase des Turniers ab, in der Sie sich befinden, aber mein Ziel in diesem Artikel ist nicht, darüber zu debattieren, welcher Spielzug besser ist. Wenn Sie diese Hand spielen, ist vielmehr wichtig, dass Sie darüber nachdenken müssen, welche Arten von Händen Ihr Gegner möglichst haben sollte und wie Sie dann am meisten Geld gewinnen.
Ich empfehle auch, bisweilen kleine Vorteile aufzugeben, um eine Falle zu stellen und eventuell eine (manchmal sehr) profitable Situation im weiteren Verlauf zu erzeugen. Limpen Sie in UTG mit 99 nur, geben Sie zweifellos etwas Value auf, weil Sie schlechtere Hände nicht für die Chance abkassieren, Sie auf dem Flop zu überholen. Allerdings ist es viel schwieriger, sich nach dem Flop Out of Position in einer profitablen Heads-Up-Situation zu befinden als in einer profitablen Situation mit mehreren Gegnern, die gelimpt haben.
Eine sehr ähnliche Situation entsteht, wenn Sie mit A5 nach einer Reihe von Limpern auf dem Button ebenfalls limpen und der Flop A98 bringt. Wenn Sie nun setzen, ist das optimale Szenario, dass Ihre Gegner korrekt deren Draws folden und Sie einen kleinen Pot gewinnen. Jemand würde einen „Fehler“ begehen, wenn er einen Einsatz in Höhe von zwei Dritteln der Potgröße callte, sofern Sie nicht auf dem Turn checken und Ihrem Gegner einen kostenlosen Blick auf die River-Karte gewähren. Jemand mit einer nackten Acht oder Neun wird fast sicher folden, während bessere Asse callen. Zugegeben, Sie geben ein wenig Value auf, wenn Sie einem Spieler mit Middle Pair eine kostenlose Chance auf seine fünf Outs auf dem Turn gewähren, aber dies wird hoffentlich von den gewonnenen Einsätzen gegen ein unverbessertes Middle Pair auf Turn und/oder River kompensiert. Kommt auf dem Turn eine gefährliche Karte wie eine Zehn, kommen Sie billig von der Hand los, ohne sich sonderlich grämen zu müssen. Wieder ermöglicht diese Spielweise Ihnen, Ihre Varianz zu senken, indem Sie eine profitable Situation (Top Pair auf einem drawlastigen Board) gegen eine andere (ein recht gut verstecktes Top Pair) eintauschen.
Ausnutzen Ihrer Beobachtungen der Gegner
Die Vorbereitung einer profitablen Situation erfordert die Abschätzung des gegnerischen Handspektrums und seiner Spielweise mit den verschiedenen Blättern innerhalb des Spektrums. Je besser Sie Ihren Gegner kennen, desto mehr Pots sollten Sie vor allem in Position gegen ihn spielen. Im Besonderen sollten Sie sich darauf konzentrieren, welche Fehler die Spieler an Ihrem Tisch begehen, und dabei vor allem auf die Spieler achten, die zu Ihrer unmittelbaren Rechten sitzen bzw. in den Blinds, wenn Sie auf dem Button sind. Überschätzen diese Spieler Top Pair? Verlieren sie Ihren Stack mit schwachen Overpairs? Glauben sie nie, dass ein Draw angekommen ist? Geben sie zu leicht auf, wenn eine gefährliche Karte auftaucht?
Erinnern Sie sich, dass wir uns darüber einig waren, recht viel Geld für eine Software auszugeben, die Ihnen erlaubte, die Karten Ihrer Gegner zu sehen?Nun, Sie sollten immer dann zu einigen Risiken bereit sein, wenn Sie das Gefühl haben, Ihren Gegner auf ein sehr enges Spektrum von Händen setzen zu können. Bei großen Stacks sollten Sie vor dem Flop einige spekulative Calls mit Suited Connectors, niedrigen Paaren etc. machen, wenn Sie wissen, dass Sie Ihrem Gegner bei vielen folgenden Karten den Pot stehlen können oder dass er Sie nach einem Volltreffer gut ausbezahlt.
Ähnliches gilt, wenn Sie sich vorne sehen UND eine recht genaue Vorstellung vom gegnerischen Blatt haben. Dann sollten Sie selbst Out of Position weniger bestrebt sein, die Hand zu beenden. Der Aufbau des Pots ist günstig für Sie, wenn Sie in etwa wissen, was Ihr Gegner hält, während die Fold Equity dann sehr wenig wert ist.
Reverse Implied Odds
Die erste Hand in einem NLHE-Turnier. Sie haben in UTG ein Paar Asse. Ihr Gegner hat 22 auf dem Button. Wer befindet sich in einer profitablen Situation? Ihr Gegner. Sie gewinnen nur dann einen großen Pot, wenn Sie ein besseres Set treffen, verlieren aber praktisch immer einen großen Pot, wenn nur Ihr Gegner ein Set trifft.
Dies klingt selbstverständlich, aber es ist wichtig daran zu denken, wenn Sie eine starke Hand haben. Nur weil Sie momentan die Nuts haben, heißt das nicht, dass Sie später jede Action mitgehen wollen. Sie wollen große Pots gegen zweitbeste Hände spielen, und nicht gegen spekulative Hände, die entweder kleine Pots verlieren oder große gewinnen. Ich beobachte derart viele Spieler, die mit ihren Assen niedrige Raises und Reraises bringen und sich offenbar überhaupt keine oder nur sehr wenige Gedanken darüber machen, welche Hände sie im Pot haben wollen und welche nicht. Praktischerweise sind die Hände, die Sie auf dem richtigen Flop gut ausbezahlen, genau diejenigen, die eine gewisse Action vor dem Flop aushalten: andere hohe Paare und Broadway-Hände, die Top Pair mit gutem Kicker treffen können.
Profitable Strategie
Gegen gute Kontrahenten können Sie mittelstarke Hände nicht einfach langsam und starke Hände direkt spielen. Auf diese Weise schwächen Sie Ihre Möglichkeiten für Value Bets und geben zuviel in Bezug auf die Reverse Implied Odds auf. Wenn Sie in den Limits aufsteigen und in zunehmendem Maße mit soliden Gegnern konfrontiert sind, müssen Sie über eine profitable Strategie und nicht nur über profitable Situationen nachdenken. Dazu gehört ein Image, das Ihnen ermöglicht, mit Ihren starken Händen ausbezahlt zu werden und das dafür sorgt, dass Sie weniger berechenbar sind. Dadurch wird es nicht so profitabel für Ihre Gegner, Ihre Raises aus UTG mit 22 zu callen.
Mit dem Begriff Strategie meine ich Ihr Handspektrum, das Sie in einer bestimmten Situation zum Einsatz bringen und Ihren Plan für zukünftige Aktionen. Eine ziemlich grundlegende Strategie wäre etwa, mit einem breiten Spektrum an Händen aus dem Cut-Off zu raisen und immer eine Continuation Bet zu bringen, wenn Sie den Flop sehr gut oder überhaupt nicht treffen, ansonsten aber zu checken, vor allem wenn das Board besonders gefährlich ist oder Sie einen schwachen Draw haben.
Natürlich sollten Sie Ihre Strategie dem konkreten Gegner anpassen, da Sie eine Strategie brauchen, die eine erfolgreiche Gegenstrategie zur Gegenstrategie Ihres Kontrahenten darstellt. Viele Spieler wenden gegen aggressive Raiser aus später Position eine Gegenstrategie an, bei der sie loose callen und anschließend checken und folden, wenn sie den Flop verpassen bzw. checkraisen, wenn sie treffen. Selbst wenn diese Spieler gelegentlich einen Check-Raise als Semi-Bluff einstreuen, ist es nicht schwer, diese Gegenstrategie zu unterlaufen.
Wenn Sie sich mit den verschiedenen Typen der Gegenstrategien, die andere Spieler gegen Ihre Strategie anwenden, vertraut machen, können Sie bessere Analysen treffen und mehr profitable Situationen erzeugen.
Fazit
Müsste ich diesen Text in einem Satz zusammenfassen, würde dieser so lauten: “Mit einer starken Hand sollten Sie darüber nachdenken, welche Hand Sie ausbezahlt, aus welchen Gründen und auf welche Weise.“
Profitable Situationen - Teil 1\'
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 31.03.2009.