Viel häufiger als es dem Nervenkostüm der meisten Spieler lieb sein kann, gerät man in Pokerturnieren in sehr prekäre Situationen. Es gehört zur Natur des Turnierspiels, dass man mit beständiger Regelmäßigkeit einen Großteil seiner Chips in sehr marginalen Spots unterbringen muss, in denen der Ausgang sehr ungewiss ist.
Wer meint, er könne sich dessen durch vorsichtiges Spiel entziehen, hat auf lange Sicht keine Chance, einen Stich beim Poker zu sehen. Aggressivität, Risikobereitschaft und Furchtlosigkeit gewinnen Turniere, wem es daran mangelt wird einen langsamen, aber sicheren Turniertod sterben.
Allerdings bringt einen aggressives Spiel häufiger in sehr vertrackte Situationen bei denen man gefühlt nur noch die Wahl zwischen Erhängen und Erschießen hat und es schon absehbar ist, dass man – unabhängig vom konkreten Spiel – Chips (oder zumindest Erwartungswert) einbüßen wird.
Der verflixte Reraise: Vertrackte Situationen im Beispiel
Ein Beispiel soll eine solch vertrackte Situation illustrieren: Wie sitzen im Big Blind in einem €200–Turnier am Final-Table mit 35 Big Blinds – einem durchschnittlichen Stack und halten A J . Nachdem alle anderen Spieler folden, erhöht der Button auf 2,5 Big Blinds.
Der Spieler am Button ist sehr aggressiv und erhöht in so einer Situation wahrscheinlich mit rund 80 Prozent seiner Hände in der Hoffnung, die Blinds und Antes zu stehlen. Deswegen entschließen wir uns, eine 3-Bet auf 7 Big Blinds zu bringen.
Darauf allerdings geht der Button für insgesamt 30 Big Blinds all-in. Zu allzu wilden All-Ins neigte der Spieler bislang trotz seiner aggressiven Spielweise noch nicht und deswegen scheint es recht wahrscheinlich, dass unser Ass-Bube hier nur die zweitbeste Hand ist. Gegen eine realistische Range (Was sind Ranges? ) von 66+, AT+, KQs haben wir rund 41 Prozent Gewinnwahrscheinlichkeit. Das ist bestenfalls grade so genug, um zu callen.
Wir haben in dieser Situation zwei Möglichkeiten: Folden und unseren Reraise in Höhe von 7 Big Blinds (ein Fünftel unseres Stacks) einfach aufgeben, obwohl wir eine Top-Hand haben oder Callen und 85 Prozent unseres Stacks in eine 40/60–Situation investieren.
Vermeintlich in eineSackgasse manövriert
Keine der beiden Möglichkeiten erscheint irgendwie verlockend – Erhängen oder Erschießen eben.
War deswegen der Reraise vor dem Flop ein Fehler?
Man könnte nun messerscharf anmerken, dass man dieser Entscheidung aus dem Weg gehen könnte, indem man auf den Reraise vor dem Flop verzichtet. Aber so eine Anmerkung wäre ergebnisorientiert und propagierte eine in der Regel falsche Spielweise. Wenn unser Read auf den Spieler am Button (eröffnet mit 80%, geht aber mit höchsten 10% seiner Range all-in) halbwegs stimmt, ist unser Reraise vor dem Flop komplett unabhängig von unserer Hand gewinnbringend. Wir investieren 6 Big Blinds, um 5 Big Blinds (Blinds + Antes + der Raise vom Button) zu gewinnen und in sieben von acht Fällen klappt der Reraise.
Ein Fehler ist der Reraise also auf gar keinen Fall. Es kommt beim Poker schlicht dann und wann vor, dass man in eine unvorteilhafte Situation kommt, obwohl man alles richtig macht. In diesem konkreten Beispiel ist der mögliche Gewinn, wenn der Gegner auf die 3-Bet einfach foldet, so groß, dass er es wert ist, eine solche unvorteilhafte Situation, wie sie uns das All-In des Gegners beschert, zu riskieren.
Wie man mit vertrackten Situationen umgeht
Situationen wie in dem oben beschriebenen Beispiel begegnet man bei Pokerturnieren aller Orten und sehr häufig. Wer viel macht (und in den späteren Phasen eines Turniers sollte man viel machen, das heißt, sehr aktiv sein), riskiert auch viel.
Es gibt gewisse, immer wieder kehrende Situationen beim Turnierspiel, die prädestiniert für prekäre Entscheidungen sind. Ein klassisches Beispiel sind Preflop-Raises mit einem Stack von 15 bis 25 Big Blinds. Für ein All-In ist der Stack in der Regel zu groß, raist man allerdings auf einen kleineren Betrag und foldet auf einen Reraise des Gegners, verbläst man eine Menge seiner wertvollen Chips.
Nicht in Schockstarre verfallenIn Schockstarre verfallen, bringt einen in solchen Situationen aber auch nicht weiter. Man sollte sich, bevor man einen Raise vor dem Flop bringt, des Risikos einer 3-Bet bewusst sein. Wenn dieses keine große Gefahr mit sich bringt, zum Beispiel weil man eine Premium-Hand hat und so ein All-In einfach callen kann, ist alles gut und einfach. Aber es kann auch alles gut sein, wenn man nur eine mittelmäßige Hand hat und eigentlich keinen Showdown sehen will. Wenn das Risiko, dass ein Gegner mit einem ungewissen All-In droht, klein genug ist, sollte man sich nicht davor scheuen, einen Raise mit einer mittelmäßig guten Hand zu bringen.
Hat man das Pech, dass die Gegner nicht kooperieren und einen vor eine vertrackte Entscheidung stellen – und über kurz oder lang wird das in Turnieren passieren – muss man sich der neuen Situation stellen. Passen ICM und Odds? Wenn ja, dann sollten die Chips in die Mitte gehen, wenn nicht, dann eben nicht. Darüber hadern, dass man sich in ein blödes Schlamassel gebracht hat, hilft nicht.
Und auch wenn man gefühlt nur die Wahl zwischen Erhängen und Erschießen hat, vom reinen Erwartungswert betrachtet, hat eine der beiden Entscheidungen den höheren Erwartungswert und diese Option sollte man wählen.
Das ist (leider) häufig auch schon der beste Rat, den man in Bezug auf vertrackte (oder auch blöde) Situationen geben kann: Lerne, damit umzugehen! Denn sie sind beim Poker – wie auch im Leben abseits des grün bespannten Tisches – unumgänglich.
Wohl aber ist es möglich, sein Risiko zu minimieren, überhaupt in so eine Situation hineinzustolpern. Dazu ein letztes Beispiel: Wir haben 15 Big Blinds und in früher Position 7 7 am Final-Table eines Turniers. Bringen wir hier einen Standard-Raise auf 2 bis 2,5 Big Blinds, betteln wir förmlich darum, all-in gestellt zu werden. Alternativ können wir auch gleich selbst all-in gehen. Dieser Zug hat fast sicher einen positiven Erwartungswert und wir ersparen uns jedwedes Kopfzerbrechen in dieser Hand. Wenn man eine Situation einfach halten kann, sollte man dies auch tun.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 11.04.2016.