Bisweilen besitzt man den Vorteil (oder Nachteil), immer gegen dieselben Spieler anzutreten. Ob es sich um eine private Runde handelt, an der immer die gleichen acht Spieler teilnehmen oder eine teure Internetpartie, an der sich nur ein oder zwei Dutzend Spieler beteiligen – Poker ist ein anderes Spiel, wenn Sie ausgiebige Erfahrungen mit Ihren Gegnern gemacht haben.
Die meisten von uns spielen allerdings gegen viele neue Gesichter. Gewiss, man kennt den ein oder anderen, aber in den meisten Live- und Internetpartien mit niedrigen und mittleren Einsätzen verirren sich immer einige unbekannte Spieler an den Tisch.
Ihr Ziel besteht darin, möglichst rasch ein möglichst genaues Gefühl für deren Spielweise zu bekommen. Landen Sie zu Beginn einer Session mit einem dieser Spieler in einer kritischen Hand, gewinnen Sie einige Informationen, die Ihnen bei Ihren späteren Entscheidungen helfen können. In diesem Zusammenhang stellte mir ein Leser einige Fragen:
Wie gewinnst Du von Deinen Gegnern rasch eine Einschätzung?
Spielst Du, bis Dir die Augen wehtun, wenn es in einer angenehmen Partie gut läuft bzw. hörst Du früh auf, wenn Du das Gefühl hast, Du hättest den Tisch nicht voll und ganz im Griff?
Gibt es eine Methode, um einen guten Spieler rasch zu erkennen? Wie kannst Du einen schlechten von einem guten Spieler unterscheiden, der einfach nur seinen Rhythmus gewechselt hat?
Wie oft musst Dir ein bestimmtes Setzmuster eines Spielers auffallen, ehe Du dieses als Muster anerkennst?
Da sich eine der Fragen ein wenig von den anderen unterscheidet, beantworte ich diese zuerst. Läuft es in einer angenehmen Partie gut, möchte ich in der Regel länger spielen, aber nicht so lange, bis mir die Augen wehtun. Ich spiele nicht mehr 50 Stunden pro Woche und bin nicht auf Gewinne angewiesen, um die Miete zu bezahlen, daher höre ich einfach auf, wenn mir danach ist. Verdiente ich mit Poker meinen Lebensunterhalt, würde ich sicher ein wenig länger am Tisch bleiben, wenn dieser ungewöhnlich gut ist. Offen gestanden sind aber die meisten Tische in Casinos gut, daher können Sie ruhig aufhören, wenn Sie mit Ihrem Spiel nicht hundertprozentig zufrieden sind. Schließlich ist die Partie am nächsten Tag vermutlich genauso günstig für Sie.
Kommen wir nun zu dem Punkt, wie ich einen neuen Spieler am Tisch einschätze.
Wenn ich mich an einen Tisch setze, achte ich auf nichts Spezielles. Ich schaue mir die ersten Hände sehr genau an und versuche jeden Hinweis aufzuschnappen. Allerdings geht es mir zunächst darum, ein Gefühl für den Tisch (und nicht die einzelnen Spieler) zu bekommen. Das heißt, in den ersten Händen achte ich darauf, ob es sich um einen verrückten Tisch handelt, bei dem die Spieler blind All-In gehen oder riesige Raises bringen. Setzen die Spieler in der Regel die Potgröße oder bringen Sie stattdessen relativ kleine Einsätze? Was ist der Standard-Raise am Tisch? Wird auf 3 bis 4 BB oder auf 8 bis 10 BB geraist?
Dies sind zunächst die wichtigsten Informationen, da ich auf dieser Basis meine Vorgehensweise bestimme. Wird auf 10 BB geraist, einige Spieler callen und es gibt viele All-In-Pots, kaufe ich mich eher mit mehr Geld ein, spiele vor dem Flop recht tight und versuche in den großen Pots gut abzuschneiden. Werden dagegen ständig Raises auf 5 BB gecallt, aber nach Continuation Bets auf dem Flop häufig gefoldet, spiele ich viele Hände und setze auf Flop und Turn oft.
Setzen die anderen Spieler regelmäßig deutlich weniger als Potgröße, kaufe ich mich mit einem großen Stack ein, spiele loose und beginne, überdurchschnittlich hohe Bets zu bringen. Mein Plan besteht darin, die anderen Spieler aus ihrer Komfortzone zu drängen und sie dazu zu bringen, auf einige große Bluffs zu folden und ihre Stacks durch Calls mit marginalen Händen zu verlieren. (Dies klingt widersprüchlich, ist es aber nicht. Reagieren andere Spieler auf Ihre Aktionen und fühlen sich dabei unwohl, können Sie häufig mehr bluffen und werden gleichzeitig besser ausbezahlt, indem Sie die Einsätze manipulieren und auf die Eigenarten Ihrer Gegner achten.)
Das sind also meine ersten Schritte. Ich versuche, die Spielweise des Tisches zu ergründen und darauf meine Strategie für die Session aufzubauen.
Anschließend beobachte ich einzelne Spieler und versuche herauszufinden, ob diese Besonderheiten aufweisen. Viele Spieler in Partien mit Blinds von 2 $/5 $ pflegen einen fantasielosen, etwas weak-tighten Stil, wobei sie bei Bluffs wenig riskieren, aber meist die beste Hand haben, wenn richtig viel Geld in die Mitte wandert. Ich achte hauptsächlich auf Abweichungen von diesem Profil. Gibt es einen Spieler, der eher zu hohen Einsätzen bereit ist? Spielt jemand seine Draws besonders kraftvoll? Überlegt dieser Spieler, was sein Gegner für eine Hand haben könnte oder denkt er einfach nur, „Oje, 200 $, das ist ein großer Einsatz?“ Aufgrund der Situation können Sie oft den Unterschied erkennen und manchmal sogar am Gesichtsausdruck.
Stelle ich fest, dass ein Spieler etwas Ungewöhnliches tut, merke ich mir dies, stelle mein Spiel aber vor allem dann nicht unbedingt sofort um, wenn es nicht um viel Geld ging. Raise ich zum Beispiel vor dem Flop, ein anderer Spieler reraist mich und zeigt mir nach meinem Fold 74o, verbuche ich diesen Spieler nicht direkt als „großen Bluffer.“ Ich werde zunächst genauso weiterspielen, bis ich feststelle, dass er ständig reraist.
Beobachte ich jedoch einen Spieler, der mit einem schwachen Straight Draw auf einem gepaarten Board ein hohes All-In callt, passe ich mich sofort an, indem ich mich mit mehr Geld einkaufe und höhere Value Bets bringe.
Genau das ist der Hauptunterschied zwischen schlechten und guten Spielern, die ihren Rhythmus wechseln können. Ein guter Spieler bringt vielleicht einen bizarren Bluff oder macht einen schrägen Call und riskiert dabei einen recht kleinen Anteil seines Stacks. Aber er callt kein teures All-In mit einem ziemlich schwachen Draw. Ziehen Sie anhand der Aktionen in recht kleinen Pots keine Schlüsse darüber, wie jemand spielt, wenn es um das große Geld geht.
Ein weiterer Tipp für Live-Partien mit niedrigen Einsätzen lautet, dass Sie in der Regel für bare Münze nehmen können, was Sie beobachten. Trauen Sie Ihren Gegnern nicht mehr Hinterlist und Tricks zu, als diese vermutlich besitzen. Beobachten Sie, wie sich Ihre Gegner einige Male einen Fold abquälen, sollten Sie nicht annehmen, dass diese einen großen Bluff provozieren wollen. Vermutlich folden sie einfach zu oft. Genauso verhält es sich, wenn jemand einen betrunkenen Eindruck macht und fast jeden Pot spielt – er ist vermutlich betrunken und spielt schlechte Hände. Machen Sie sich nicht verrückt, wenn Sie Asse haben und ein solcher Spieler einen weiteren verrückten Einsatz bringt. Vermutlich „setzt er Sie“ auf gar nichts und wenn er tatsächlich Two Pair gefloppt hat, hat er einfach im richtigen Moment Glück gehabt.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 13.10.2009.