Das Thema meines letzten Artikels „Das Denken der Verlierer“ war die Art und Weise, wie Pokerspieler sich mit bestimmten Einstellungen selbst unterwandern. Dabei hob ich die immer wieder vorkommende Begründung für einen Fold, auf eine bessere Gelegenheit zu warten, hervor. In den meisten Fällen ist dieses Konzept absoluter Unsinn, daher habe ich mich entschlossen, den Gründen einen eigenen Artikel zu widmen.
Abwägung Gewinn gegen Verlust
Schicken wir einige Annahmen voraus. Die meisten Spieler benutzen die Begründung, auf eine bessere Gelegenheit zu warten, um einen Fold in einer Situation zu rechtfertigen, in der sie das Gefühl hatten, ein Call oder ein Raise sei profitabler. Etwa so: „Ich vermutete stark einen Bluff, aber ich überließ ihm den Pot, um auf eine bessere Gelegenheit zu warten.“
In diesem Fall denkt man per definitionem, dass man durch den Fold etwas aufgibt. Man denkt nicht, dass der Gegner nur gelegentlich blufft, sondern dies so oft tut, dass ein Call auf Dauer Geld einbringt. Dennoch foldet man und zwar vermutlich deswegen, weil man nicht seinen gesamten Stack riskieren will. Was verliert man dadurch? Man verliert den Anteil des Pots, der einem (durchschnittlich) gehört hätte, wenn man sich zu einem Call entschlossen hätte. Und was gewinnt man? Man gewinnt das Wissen, nicht seinen Stack verloren zu haben. Wägt man Gewinn gegen Verlust in diesem Szenario objektiv gegeneinander ab, verliert man mit einem Fold weit mehr als man gewinnt.
Beim Poker gewinnt man, indem man in Situationen Geld riskiert, die langfristig profitabel sind. Das trifft zu, wenn man auf dem Flop für einen Call 50 $ investiert und wenn man seine gesamten 800 Dollar riskiert. Man riskiert in vorteilhaften Situationen, in denen man durch Weiterspielen im Schnitt mehr gewinnt als durch Folden. Daran ändert sich auch nichts, weil man seinen Stack riskiert und nicht mit Sicherheit gewinnt. Gewinnt man mehr Geld durch Weiterspielen als durch Folden, ist Weiterspielen die beste Spielweise. Genau so einfach ist das.
Ausreden beim Cashgame
Sie meinen aber vielleicht, dass es viele Situationen gibt, in denen es besser ist, dem Risiko aus dem Weg zu gehen. Da bin ich anderer Meinung. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, eine solche Situation in einem Cashgame zu entdecken, aber diese sind selten – so selten, dass Sie hundert Stunden spielen können und es nie korrekt ist, auf eine bessere Gelegenheit zu warten. Zwei der falschen Situationen möchte ich im Folgenden erörtern:
1. Sie sind mit einem schlechten Spieler in die Hand verstrickt und befürchten, dass er aufhört, wenn Sie ihm seinen Stack abnehmen (oder ihn aufdoppeln).
Gut. Wüssten Sie wirklich sicher, dass Ihr Opfer nach dem Verlust des Stacks oder einem Verdoppler aufhörte bzw. nach einem Fold Ihrerseits eine bestimmte Zeit am Tisch bliebe und ansonsten von einem viel besseren Spieler abgelöst würde, ließe sich der Wert, ihn am Tisch zu behalten in bestimmter Weise beziffern. Allerdings könnte auch dann der Wert, die aktuelle Hand zu gewinnen, größer sein als Ihre potentiellen zukünftigen Profite.
In der Praxis können Sie das gar nicht einschätzen. Sie wissen nicht, ob ein Spieler den Tisch verlässt, wenn er seinen Stack verliert, oder sich zehnmal wieder einkauft. Und selbst wenn Sie folden, um auf eine bessere Gelegenheit zu warten, kann er gegen jemanden anderen in der nächsten Hand seinen Stack verlieren und Ihre zukünftigen Gewinne sind nur noch Schall und Rauch.
In der überwältigenden Mehrheit der Fälle ist es keine gute Idee, eine starke Hand zu folden, um einen schlechten Spieler am Tisch zu behalten. Es ist wie mit dem Spatz in der Hand und der Taube auf dem Dach.
2. Ich habe aber einen größeren Stack als das maximale Buy-In und wenn ich die Hand verliere, kann ich nicht um den verlorenen Betrag aufstocken.
Dies ist eine weitere Ausrede, die eventuell ihre Vorzüge hätte, wenn alles passte, sich in der Realität aber fast immer in Luft auflöst.
In einer Partie mit Blinds von 2 $/5 $ haben Sie 2.000 Dollar. Das maximale Buy-In beträgt 1.000 $ und wenn Sie die Hand verlieren, können Sie nicht aufstocken. Wann schadet Ihnen dies? Es schadet Ihnen nur, wenn:
1. Ein besonders schlechter Spieler an Ihrem Tisch auch 2.000 Dollar hat.
2. Dieser besonders schlechte Spieler seinen Stack nicht in der nächsten Hand gegen jemand anders verliert oder aufsteht und den Tisch verlässt.
Einen großen Stack zu haben ist für sich genommen noch nichts wert. Sie brauchen einen anderen Spieler, der ebenfalls einen großen Stack hat und schlecht ist. Zudem muss dieser Spieler lang genug mit dem großen Stack am Tisch sitzen, dass Sie eine reelle Chance haben, diesen zu gewinnen.
In den meisten Fällen fahren Sie besser, wenn Sie in der aktuellen Hand Ihr Glück suchen, als wenn Sie auf eine mögliche zukünftige Hand warten, zu der es womöglich gar nicht kommt.
Ausreden bei Turnieren
Bei Cashgames ist es fast immer eine schlechte Idee, auf eine bessere Gelegenheit zu warten. Weil Sie sich immer neu einkaufen können, bedarf es außerordentlicher Umstände, eine profitable Situation auszulassen, um auf eine noch bessere zu warten.
In Turnieren ist es deutlich öfter sinnvoll, auf eine bessere Gelegenheit zu warten, aber selbst dort,ist diese Mentalität in der Regel nur eine fadenscheinige Begründung für ängstliches Spiel.
Nehmen wir an, Sie haben sich gerade für ein großes Turnier mit vielen Teilnehmern angemeldet. Vor der ersten Hand bietet der Turnierleiter Ihnen an, eine Münze zu werfen. Kommt Kopf, verdoppelt er Ihren Stack, kommt Zahl, sind Sie ausgeschieden. Die meisten Spieler würden dieses Glücksspiel nie akzeptieren, aber mathematisch ist es absolut neutral.
Nehmen wir nun stattdessen an, der Turnierleiter würde Sie statt des Münzwurfs mit Damen gegen Ax Kx antreten lassen, um zu verdoppeln oder auszuscheiden. Ich vermute, die meisten Turnierspieler würden dies ablehnen, obwohl sie 56 zu 44 Favorit sind, um auf eine bessere Gelegenheit zu warten. Dieses Glücksspiel sollten Sie aber akzeptieren. In einem großen Feld ist ein doppelter Stack doppelt so viel wert wie ein einfacher Stack und 56 zu 44 ist eine sehr vorteilhafte Situation. Allgemeiner gesagt ist das Warten auf eine bessere Gelegenheit in den frühen und mittleren Phasen eines Turniers, wenn die Preisgelder noch weit entfernt sind, eine genauso schlechte Idee wie beim Cashgame.
Abschließende Gedanken
Neigen Sie dazu, in knappen Situationen zu folden, sollten Sie Ihre Strategie überdenken. Ich plädiere nicht für oder gegen Folden, sondern nur dafür, nicht ängstlich zu spielen. Meinen Sie, Ihr Gegner blufft, sollten Sie nicht folden und auf eine bessere Gelegenheit warten. Gehen Sie das Risiko ein. Auf diese Weise werden Sie ein besserer Spieler.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 07.01.2011.