Sie haben bis vor kurzem nur im Internet gespielt und dabei eine Trillion NLHE-Hände mit Blinds von 0,05 $/0,10 $ und unendlich viele 11 $-Turniere ausgetragen. Nun haben Sie aus Gründen, die ich nicht erwähne, monatelang keine Hand im Internet mehr gespielt. Was sollten Sie tun?
Spielen Sie live! Und warum sollten Sie das tun? Nun, zu einem werden Sie vermutlich mehr Geld gewinnen. Waren Sie bei 0,05 $/0,10 $ im Internet erfolgreich, werden Sie bei 1 $/2 $ sehr gut abschneiden. Sicher, das Live-Spiel ist langsamer, aber Sie spielen um die zwanzigfachen Einsätze und Ihre Gegner werden zudem schwächer sein. Außerdem wollen Sie doch sicher nicht Ihre Pokertalente verkümmern lassen, während Sie auf eine politische Lösung warten, oder?
Hier vier Tipps für Microstakes-Grinder, die ihre ersten Live-Hände spielen.
Tipp Nr. 1. Schauen Sie zur Linken.
Das ist einfach. Schauen Sie vor allem in Pots mit mehreren Spielern zur Linken. Betrachten Sie nicht Ihre Karten, denn die ändern sich nicht mehr, und auch nicht aufs Board, denn auch das verändert sich nicht. Schauen Sie zur Linken, denn Ihre Gegner werden Ihre Absichten verraten. Im Verlauf einer Session können diese kleinen Informationen sich summieren und sehr wertvoll sein.
Sie halten Ausschau, ob jemand schon einen Einsatz vorbereitet. Die Frau zu Ihrer Linken schaut sich vor dem Flop ihre Hand an, legt einige Chips auf ihre Karten, nimmt vier Chips von ihrem Stack und hält sie in ihrer rechten Hand. Sie will setzen und wird den Pot eröffnen, wenn Sie es nicht tun. Eröffnen Sie den Pot, callt sie vermutlich.
In der nächsten Hand schaut sich die Frau ihre Karten an und hält sie anschließend in ihrer rechten Hand. Nun wird sie folden.
Nicht alle Signale werden so eindeutig wie diese sein, aber jeder Spieler hat meist seine Eigenheiten. Haben Sie die Spieler zu Ihrer Linken ca. eine Runde lang beobachtet, kennen Sie für den Rest der Session oft deren Absichten.
Selbst wenn Sie meinen, dies schon umzusetzen, können Sie es noch verbessern. Vermutlich schauen Sie nicht genau genug. Dazu meine Faustregel. Sind Sie aufmerksam genug, sollten Sie pro Stunde mehrere Karten erkennen können, die versehentlich gezeigt werden. Karten werden während des Austeilens kurz sichtbar, bei Folds, wenn Gegner sie anschauen usw. Damit will ich keinesfalls sagen, dass Sie einen Schwanenhals machen sollten, um die Karten Ihrer Gegner zu erkennen. Aber immer wieder blitzt eine Karte kurz auf und die einzige Methode, diese nicht zu sehen, besteht darin, nicht hinzuschauen. Sehen Sie nichts, schauen Sie nicht genau genug hin.
Tipp Nr. 2. Entwickeln Sie typische Verhaltensweisen.
Als langjähriger Internetspieler kommen Sie eventuell rasch zu dem Schluss, dass alle Live-Gegner Idioten sind. Zwar sind Live-Spieler hinsichtlich der strategischen Grundlagen im Durchschnitt schwächer als Internetspieler, sie sind aber keine Idioten. Viele Stammspieler sind ziemlich geschickt darin, die Informationen um sie herum zu erkennen und umzusetzen. Mit anderen Worten schauen sie zu ihrer Linken und sind oft sehr aufmerksam.
Zum Selbstschutz sollten Sie typische Verhaltensweisen entwickeln. Vor dem Flop empfehle ich, sich die Karten erst anzusehen, wenn Sie an der Reihe sind. Auf diese Weise müssen Sie keine Angst haben, Ihre Absichten zu verraten.
Nach dem Flop sollten Sie die Finger von Ihren Chips lassen, bis Sie an der Reihe sind. Das Spielen mit Chips während der Hand ist eine schlechte Angewohnheit. Ich tue es, kann es anscheinend nicht mehr lassen und wünschte, ich hätte nie damit angefangen. Vor einigen Jahren entdeckte ich sogar, dass ich mit meinen Chips anders spielte, wenn ich einen Check oder Fold plante, als wenn ich setzen wollte. Das Spielen mit Chips bringt Ihnen nur Ärger. Fangen Sie erst gar nicht damit an.
Außerdem lassen sich beim Live-Spiel aus der Bedenkzeit die gleichen Rückschlüsse ziehen wie im Internet. Ich komme durch die Geschwindigkeit, in der mein Gegner agiert, häufig an Informationen. Bei Routineentscheidungen sollten Sie einen Atemzug nehmen, bevor Sie agieren. Damit verbergen Sie den Unterschied zwischen sofortigen Entscheidungen und Entscheidungen, die drei Sekunden dauern.
Zudem sollten Sie dem Drang widerstehen, von Ihrem Stuhl aufzuspringen und Jubelgesänge anzustimmen, wenn Sie nach zehn Stunden endlich Ihren ersten Flush auf dem River treffen.
Tipp Nr. 3. Seien Sie nicht ungeduldig.
Als erfahrener Internetspieler werden Sie live zwei große Unterschiede feststellen: Es gibt mehr Multiway-Pots und die Hände dauern länger. Diese beiden Veränderungen können Ihren Spielrhythmus beeinträchtigen und dazu führen, dass Sie ungeduldig werden.
Squeeze Plays sind im Internet zum Beispiel sehr populär. Ein Spieler raist und einer oder zwei Spieler callen. Anschließend reraisen Sie mit einer schwachen Hand in der Hoffnung, das Geld im Pot zu gewinnen.
Damit dieser Spielzug funktioniert, müssen Sie ihn im richtigen Rhythmus anwenden. Manchmal reraisen Sie mit einer starken Hand und manchmal mit Schrott, und diese beiden Möglichkeiten müssen relativ ausgewogen sein. Spielen Sie eine Weile im Internet, haben Sie ein gutes Gefühl, in welchem Rhythmus Sie diesen Spielzug ausführen sollten.
Beim Live-Spiel gibt es jedoch wesentlich mehr Möglichkeiten für Squeeze Plays als im Internet, da Ihre Gegner Raises viel looser callen. Außerdem bekommen Sie nur 30 Hände pro Stunde ausgeteilt, d.h. Sie kriegen im Schnitt nur eine „legitime“ Reraise-Hand pro Stunde. Das wiederum bedeutet, dass Sie nur ein- oder vielleicht zweimal pro Session squeezen sollten.
Allerdings kann Squeezen verlockend sein, da das Tempo so niedrig ist und Ihre Gegner Ihnen so viele profitable Möglichkeiten bieten, Druck zu machen und in deutlich mehr Pots zu bluffen. Gehen Sie so vor, werden Live-Spieler Sie mit der Zeit öfter callen. Dann sollten Sie wieder Ihr Tempo verringern und geduldiger werden.
Tipp Nr. 4. Bringen Sie mehr Value Bets und üben Sie seltener Potkontrolle aus.
In einer Live-Partie ist es viel einfacher, mit guten Händen ausbezahlt zu werden, als live. Außerdem sind Ihre Live-Gegner nicht so trickreich. Machen Sie sich daher weniger Sorgen, mit einem Raise geblufft zu werden, und üben Sie weniger Potkontrolle aus. Spielen Sie auf Turn und River häufiger Bet/Fold. Versäumen Sie keine Gewinne aus Angst vor Bluffs, die nicht kommen.
Halten Sie auf einem Board mit Kx 9x 7x 8x und zwei Flush Draws etwa Kx Qx , sollten Sie in einer Live-Partie mit niedrigen Einsätzen eher setzen als im Internet. In beiden Situationen callen Gegner zwar mit schlechteren Händen, aber im Internet hätte ich mehr Angst davor, dass ein Gegner mit einem Draw raist.
In den meisten Live-Partien geht es so zahm zu, dass ich in obiger Situation setze und nach einem Raise folde. Manche Gegner sind aber so verrückt, dass ich mein Geld unterbringe. In beiden Fällen versuche ich, meinen Gewinn zu steigern.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 18.10.2011.