Twitch.tv begann vor vielen Jahren als eine Livestream-Seite namens justin.tv, von Hardcore-Zockern für Hardcore-Zocker. Inzwischen ist Twitch die wichtigste Gamer-Plattform im Netz und eine der meistbesuchten Webseiten weltweit.
Auf Twitch streamen Spieler ihr eigenes Spiel und geben so Zuschauern die Möglichkeit, daran teilzuhaben. Zahlreiche bekannte Profi-Spieler werden tagtäglich von hunderttausenden Zuschauer bei Spielen wie League of Legends, DOTA, Hearthstone, CS:GO oder auch Poker verfolgt.
Bevor Online-Poker jedoch auf den Geschmack von Twitch kam, mussten einige Jahre ins Land ziehen. Der Durchbruch kam vor zwei Jahren mit Jason Somerville, der als der Pionier von Poker auf Twitch gilt und nach wie vor der erfolgreichste Poker-Streamer ist.
Auf den Bahamas sprachen fünf Streamer in einer Podiumsdiskussion im Rahmen des PokerStars-Championship-Events über den derzeitigen Zustand und die Zukunft von Poker auf Twitch.
Kevin Martin, Jamie Staples, Randy Lew, Bertrand Grospellier und Jason Somerville tauschten sich aus.
Randy Lew: Als ich anfing, Poker zu spielen, kannte ich keinen anderen Spieler, hatte aber natürlich eine Menge Fragen. Twitch macht es einem sehr einfach, sich mit Gleichgesinnten kurzzuschließen und hilft einem, das Spiel zu erlernen.
Man kann einfach anderen Spielern zu schauen und Fragen stellen. Viele Grundlagen lernt man so sehr einfach.
Jason Somerville: Twitch begann als ein Gaming-Portal und der große Vorteil ist die Interaktivität auf dieser Plattform. Jetzt, da Poker auf Twitch etabliert ist, bringt es neue Spieler zum Spiel. Sie sehen Poker bei den Top-Spielen und schalten einfach einmal rein.
Erst sehen sie einfach nur Leute beim Kartenspielen und dann merken sie, dass es dabei ja um Geld geht. Das macht einen großen Teil des Reizes aus. Jeder kann zuschauen, wie wir hunderte oder sogar tausende Dollar gewinnen oder verlieren – hoffentlich gewinnen.
Wir hatten dieses Live-Event namens RunItUp Reno , welches bislang drei Mal stattfand. Da kamen Spieler aus Norwegen, Schweden, Deutschland, Großbritannien – praktisch überall her. Sie alle hatten davon gehört, weil sie meinen Stream schauten.
Die Diversität der Pokerspieler auf Twitch macht es auch so interessant. Als Zuschauer kann man immer jemanden finden, den man gerade spannend findet.
Grospellier: Turniere machen auf Twitch unglaublich viel Spaß, denn der Zuschauer ist so viel dichter am Streamer dran. Es ist ein beeindruckendes Erlebnis, wenn einem bis nachts um vier Leute zuschauen. So baut man eine Gemeinschaft auf.
Kevin Martin: mit Twitch erreicht man Leute, die nie zuvor Poker gespielt haben. Hier beim PokerStars-Event auf den Bahamas gibt es einen Typen, der hat wegen Twitch mit Poker angefangen und jetzt hat er ein Paket zum Main-Event gewonnen.
Wie baut man sich sein Publikum auf?
Jamie Staples: Als ich die ersten Male online streamte war ich sehr nervös und irgendwie unbeholfen. Der Punkt ist aber, jeder kann streamen, es ist wirklich einfach. Man lädt sich die Software runter, legt sich einen Account an und los geht's.
Lew: Insbesondere am Anfang muss man unbedingt konsistent sein. Macht man zu lange Pausen, kommen die Zuschauer nicht wieder. Hat man zum Beispiel gerade etwas Großes gewonnen, kann man am Anfang 5000 Zuschauer haben.
Man sollte aber nicht erwarten, dass man ein halbes Jahr lang Pause machen kann und es dann genauso weitergeht. Das wird es nicht.
Somerville: Als ich anfing, habe ich 77 Tage in Folge mindestens sieben Stunden pro Tag gestreamt. Das mag verrückt klingen, aber es gibt Typen die sind noch mehr online. Man muss eine Menge leisten, um sich ein loyales Publikum aufzubauen und man muss auf eine gewisse Art und Weise einzigartig sein.
Martin: Bei mir war mein erster Stream auch gleichzeitig mein erstes Online-Spiel. Ich hatte eine Menge Live-Erfahrung, aber eben nicht online. Das hat man auch gemerkt.
Ich spielte fürchterlich und verlor. Dann habe ich gesagt, ich konzentriere mich auf die $5-Turniere, bis ich diese schlage und genau das habe ich gemacht. Diesem Fortschritt zuzusehen, war für viele Zuschauer sehr spannend.
Schadet Twitch dem eigenen Spiel?
Martin: Ich spiele auf niedrigen Limits mit einem sehr kurzen Delay (3 Minuten). Das ist lang genug, damit niemand meine aktuellen Karten sehen kann und so bleibe ich sehr dicht am Geschehen im Kanal dran.
Staples: Daniel Negreanu hat einmal gesagt, man muss sich vor allem dessen bewusst sein, was man tut und preisgibt. Natürlich sagt man den Leuten, was man weiß. Aber dann weiß man eben auch, was sie wissen und solange man sich dessen bewusst ist, schadet dies nicht.
Wie lang der Delay ist, macht tatsächlich einen Unterschied. Kürzer ist immer besser. Es ist einfach merkwürdig, wenn man die Kommentare zu einer Hand bekommt, die man vor sechs Minuten gespielt hat.
Somerville: Glaub mir, mit Witzen ist es noch merkwürdiger. Auf einmal steht da überall "haha" im Chat und ich habe keine Ahnung, worum es eigentlich geht.
Lew: Streamen ist definitiv kein Vorteil für uns, glaub mir. Aber das macht uns auch stärker, denn wir müssen uns daran anpassen, gegen Leute zu spielen, die von uns Lernen.
Wie man mit Trollen umgeht
Grospellier: Manchmal geht man darauf ein, wenn jemand anmerkt, dass eine Hand merkwürdig oder falsch gespielt wurde. Manchmal macht es aber einfach keinen Sinn.
Lew: Man füttere die Trolle einfach nicht, denn Argumente helfen bei denen nicht.
Staples: Wenn man sich einen Namen gemacht hat und die Leute einen als Menschen wahrnehmen, gehen die Zahlen hoch. Aber Dinge können auch immer ins Negative umschlagen. Man muss ein Gleichgewicht finden – Erfolg haben, aber keine Zielscheibe werden.
Somerville: Daniel Negreanu hat mir einmal gesagt, ich solle nicht ernst nehmen, denn niemand kennt mich. Und das stimmt – egal ob positiv oder negativ.
Man braucht aber Moderatoren, die den größten Unsinn entfernen. Ansonsten plappern die Leute einfach dummes Zeug nach. Einer sagt „das war fürchterlich! Oben und der nächste antwortet mit Anführungszeichen unten du hast doch keine Ahnung“ und schon geht alles drunter und drüber. Ich habe zwei Jungs, die sind voll Zeit damit beschäftigt, Twitch-Kommentare zu lesen und den gröbsten Unfug aufzuräumen.
Wie man sich motiviert
Lew: Bei Turnieren passiert es einfach, dass man ausscheidet und ausscheidet und ausscheidet. Das Gefüjhl von Downswings wird dadurch, dass man öffentlich ist, noch verstärkt, aber ich versuche stets, aus negativen Energien etwas Gutes zu schaffen.
Grospellier: Wenn man ausscheidet, scheidet man mit den Zuschauern zusammen aus. Das motiviert auch. Denn ich kann ja die Leute, die mir so lange treu geblieben sind, nicht einfach hängen lassen. Deswegen muss ich immer mein Bestes geben, auch wenn ich eigentlich schon wirklich müde bin.
Staples: Ich hatte ein wirklich schlechtes Jahr 2016. Anfang des Jahres versuchte ich etwas höhere Stakes zu spielen und wurde von besseren Spielern komplett zerstört. Das war sicherlich ein Fehler und ich habe davon gelernt. Jeder hat seinen eigenen Ansatz. Während sich Kevin konstant verbessert, ist es bei mir ein Auf und Ab.
Somerville: Poker hat sehr viel mit Verlieren zu tun. Daran muss man sich gewöhnen. Von 100 Versuchen verlieren wir 80 – vielleicht etwas weniger, wenn es richtig gut läuft. Selbst Phil Ivey würde bei 75 von 100 Turnieren ohne Geld ausscheiden.
Aber es stimmt schon – wenn man einen Deep-Run hinlegt, es zum Beispiel an die letzten beiden Tische als Chipleader schafft und dann plötzlich als 15. ausscheidet und 5000 Zuschauer was zu lachen haben – das tut weh.
Ich kann garantieren, dass wir alle eine dickere Haut haben als jemals zuvor. Wir stehen quasi auf der Spitze des Sich-Nicht-Um-Meinungen-Anderer-Kümmerns.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 11.01.2017.