Die Stacks sind groß und schlechte Spieler verschenken Chips zu Beginn eines Turniers. Warum also kommen so viele der besten Spieler immer zu spät?
Ich kam vor einiger Zeit von der World Poker Tour Merit Zypern zurück. Der Terminplan sah 10 Level für Tag 1A und 1B vor mit der Option, bis zum Ende des sechsten Levels einsteigen zu können.
Sam Trickett, Michael Mizrachi, Marvin Rettenmaier und Alexey Rybin meldeten sich allesamt so spät wie möglich an. Was haben all diese Spieler gemeinsam? Keiner muss sich groß Gedanken um das €4.400-Buy-In machen und alle haben schon große Erfolge verbucht.
Alexey Rybin schnitt den Tag tatsächlich als Chipleader ab und gewann am Ende das Ding. Damit zeigte er, dass man sich spät anmelden und trotzdem ein Turnier gewinnen kann.
Aber das heißt nicht notwendig, dass dies eine gescheite Strategie ist. Und wenn es das nicht ist: Warum melden sich so viele Pokerspieler so spät an, wenn es doch ihre Aufgabe ist, +EV-Situationen zu finden und auszunutzen?
Ich glaube, es gibt drei Gründe, warum Spieler Spätregistrierungen wahrnehmen:
1. Sie sind betrunken, haben Jetlag, fühlen sich nicht wohl oder sind müde. In jedem Fall brauchen sie mehr Ruhe.
2. Sie sind sind nicht auf Deep-Stack-Poker eingestellt.
3. Sie haben ein großes Ego und wollen nicht uncool aussehen.
Zu cool, um pünktlich zu sein
Ich glaube, der Hauptgrund, warum sich die meisten Spieler so spät anmelden, ist deren Ego. Es ist eine Art Initiationsritus für Spieler, die nach einigen Siegen erfolgreich geworden sind. Auf einmal wird es uncool für einen professionellen Spieler, pünktlich am Tisch zu sein und darauf zu warten, dass der Turnierdirektor “Shuffle up and deal” verkündet.
“Kannst Du Dir vorstellen, wie Trickett, Rettenmaier oder Mizrachi an einem halbleeren Tisch sitzen und ein Spielerformular ausfüllen?”, sagte John Eames, Ivey Poker Pro. Ich muss Eames zustimmen. In der jetzigen Zeit dürfte wohl kaum einer der Drei sonderlich heiß darauf sein, mit Blinds von 50/100 anzufangen. Aber in einer nicht allzu fernen Vergangenheit wären es zwei von den Dreien gewesen.
Haben sich plötzlich die Strukturen verändert und gibt es auf einmal Vorteile für Zuspätkommer? Natürlich nicht. Das einzige was sich verändert hat, ist der Erfolg der Spieler. Deren Bankroll ist gewachsen und die Egos sind angeschwollen.
Mizrachi kam bei dem eingangs erwähnten Turnier nach der Dinner-Pause an Tag 1A und sein Stack war innerhalb einer Stunde weg. Wir alle haben ihn am Folgetag erwartet, aber die zehn Level von Tag 1B kamen und gingen ohne eine Sichtung des WPT-Champions. Dann versuchte er, sich in Tag 2 einzukaufen, weil ihm seine Berater fälschlich mitgeteilt hatten, dies sei möglich.
Selbst wenn das möglich gewesen wäre, hätte er den Tag mit 30.000 Chips bei 600/1.200 Blinds und 200 Ante begonnen. Jemand, mit dem ihm unterstellten Talent hätte es doch wohl in einer besseren Position in Tag 2 geschafft?
Schlussendlich flog er nach Zypern und verpasste praktisch das Turnier wegen seiner halbherzigen Einstellung und der zu späten Registrierung.
Späte Anmeldungen sind eindeutig -EV
Manig Löser“Ich bin kein großer Freund von Spätregistrierungen. Ich kann es zwar verstehen, wenn man eine lange Nacht hatte, aber in den ersten Levels gibt es so viele Geschenke, dass ich niemals zu spät kommen möchte”, sagte der deutsche Pro Manig Löser.
Diese Mizrachi-Situation betrübte mich irgendwie. Sie hat mir klar gemacht, dass für einige Leute Poker inzwischen eine eher lästige Sache ist. Je schneller es vorbei ist und desto schneller das Geld auf der Bank ist, desto besser.
Leute, denen ihre Arbeit Spaß macht, müssen davon losgeeist werden – warum also vermeiden es so viele Pokerspieler, Poker zu spielen?
“Man kann es so sehen: Sie spielen nur für den Titel und wollen nur schnell einen Stack aufbauen, auch wenn das heißt, Geld zu verlieren, weil man die niedrigen Level verpasst”, so Löser.
“Es hängt davon ab, wie gut jemand ist. Ein Spieler, der nicht auf Deep-Stack-Poker eingestellt ist, könnte Angst haben, in großen Feldern mit großen Stacks ausgespielt zu werden. Entsprechend ergibt es Sinn, wenn sich dieser Spieler später anmeldet”, sagt Eames. “Aber wer gibt denn schon zu, dass er sich spät anmeldet, weil er nicht gut genug ist? Viele machen es einfach, um cool auszusehen.”
Ich glaube, dass viele erfolgreiche Spieler, wenn man ihnen die Wahl ließe, Tag 1 komplett ausfallen ließen und Tag 2 mit 25 Big Blinds anfangen würden.
Das widerspricht vollständig allem was in den Büchern steht, was die Trainigsseiten propagieren und was mir Coaches über Pokerstrategie beigebracht haben. Ich fange an zu glauben, die meisten Pokerspielen fallen in die Kategorie: “Mach, was ich sage, nicht was ich tue”.
Späte Anmeldungen bedeuten meistens einen schweren Tisch
Kelly KimAls ich mit Kelly Kim über das Thema in Zypern sprach sagte er: “Du fängst mit einem riesigen Stack in Level 1 an, aber wenn es gut läuft, gewinnst Du selten mehr als 10 bis 15 Tausend. Wenn es allerdings im vierten oder fünften Level gut läuft, verdoppelst Du Deinen Stack.”
“Das wichtigste bei bei Turnieren ist die Tischzuteilung”, erklärte Kim. “Manchmal melde ich mich spät an, um schwere Tisch zu vermeiden.”
Hier kann ich Kim nicht zustimmen. Die Tischzuteilung ist extrem ausschlaggebend, aber Spätregistrierungen erhöhen nur die Wahrscheinlichkeit, einen schwierigeren Tisch zu bekommen.
Bei der EPT London (März 2013) sah ich Spieler wie Mike McDonald, Martin Jacobson und Dan Smith wie Enten aufgereiht an einem Tisch, weil sie sich spät registrierten.
Während eines Interviews mit Smith sagte mir dieser, dass die Turnierdirektion sich dieses Problems annehmen und etwas dagegen machen sollte. Ich kam nicht umhin, mir zu denken, dass es bereits ein Mittel dagegen gibt: Einfach mal pünktlich kommen.
“Wenn ich mehrere Top-Spieler gemeinsam am selben Spätregistrierten-Tisch sehe, denke ich, dass ist einfach bescheuert”, sagt Eames.
Wenn du zu spät kommst, spielst du gegen Kontrahenten mit größeren Stacks und wenn du ein guter Spieler bist, solltest du nicht die Nase über Deep-Stack-Poker rümpfen und stattdessen lieber flippen. Du wirst keine Reads auf irgendjemanden an deinem Tisch haben und hast all die +EV-Gelegenheiten verpasst, die dir die schlechten Spieler in der Anfangsphase bereitet hätten.
Pokerspieler sind clevere Menschen. Sie alle wissen das, es ist nicht neu und deswegen glaube ich fest daran, dass die Entscheidung, spät in einem Pokerturnier zu erscheinen, nichts anderes ist, als das späte Erscheinen bei der Schuldisco.
Es ist einfach nicht cool, überhaupt nicht cool.
Lee Davy ist ein amerikanischer Pokerspieler und Journalist, der seit geraumer Zeit für PokerListings.com polarisierende Kommentare zu aktuellen Themen verfasst. Dieser Artikel ist auf englisch hier zu finden.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 08.10.2013.