Scotty Nguyen – Der vietnamesische Patient – Teil 2
Der erste Teil der Scotty Nguyen Geschichte ist erzählt, das Drama der Kindheit und die Dramen des Erwachsenwerdens abgehandelt. Doch er wäre nicht der Prinz, gäbe es nicht noch viel mehr über ihn zu erzählen.
Scotty Nguyen – Der vietnamesische Patient – Teil 2
WSOP 1998. Das Main-Event. Beinahe wäre es sich ausgegangen. Leicht noch dazu! Scotty Nguyen hatte sich wieder aufgebaut. Hatte die Talsohle seiner spielerischen Existenz im aufrechten Gang verlassen. Eine respektable Bankroll und eine Menge guter Vorsätze, die selbstverständlich gebrochen wurden. Kleiner Rückfall in traditionelle Dummheiten der damaligen Highroller. Alles zwar noch in Maßen, aber selbstverständlich mit garantiert negativer Gewinnerwartung.
Dann das verhängnisvolle Konzept, Verluste bei den Sportwetten durch glückliche Würfe beim Craps zu planieren. Mit dem erwarteten Ausgang, den auch Scotty ahnte, aber einfach nicht anders konnte, als stehen zu bleiben, bis wieder alles weg war. Ausgerechnet jetzt kaputt zu sein, wenn es wirklich wichtig wurde. Das Buy-in für das große Turnier war schon damals $10,000. Knapp 75 Dollar davon hatte Scotty ohnedies, nur der Rest würde ein wenig schwierig werden. Doch mit dem guten Namen des Gewinners bekommt man seine Chance. Die letzten Tage der Anmeldung sind die Tage der Investoren. Statt in dröge Aktien und lahme Pferde wird in Spielstärke und Angriffsgeist investiert. Billy Baxter hatte es im Jahr davor erfolgreich demonstriert, indem er seinen chancenlos taumelnden Freund Stu Ungar überreden konnte, den sicheren Weg ins Leichenschauhaus doch noch einmal kurz zu unterbrechen. Stu Ungar hatte sich bei seinem kurzen Comeback mit einem Sieg im Main Event für das Vertrauen und das bezahlte Buy-in bedankt.
Mike Matusow hätte sicher liebend gerne in Stu Ungar investiert, so wie eine Menge anderer Spieler auch. Doch der Ungar war wieder pleite, noch kaputter und fest entschlossen, die letzten paar Monate seines Lebens aktiv, konsequent auf sein Ende hinzuarbeiten und ließ sich nicht überreden zu erscheinen. Selbst das Main Event spielen konnte Mike Matusow, in jenem Jahr 1998 beim besten Willen nicht und das keineswegs, weil er etwas Besseres vorhatte. Doch seinem alten Kumpel Scotty ein Satellite zu finanzieren, dafür reichte es allemal und der nützte seine Chance. Marschierte durch bis zum Finaltisch. Spätestens da wusste Scotty, die temporäre finanzielle Sanierung war in Sicht. Was er keineswegs ahnen konnte, war, dass er jetzt bald einen der legendärsten Sprüche der Pokerhistorie prägen würde.
Irgendwann waren sie nur noch zu dritt, zwei Gegner galt es also noch zu besiegen, die nicht unterschiedlicher sein konnten. T.J.Cloutier, eine Turnierlegende, die schon alles gewonnen hatte bis eben auf das „Big One“ und auch an jenem Tag reichte es nur für Platz drei. Scotty nahm die Chips und gab stattdessen freundlich die Hand. Und dann war da noch ein gewisser Kevin McBride. Nicht zu verwechseln mit dem irischen Schwergewichtler gleichen Namens. – Wobei man den ja in deutschen Landen eigentlich noch kennen sollte. Es gibt nur einen Boxer, der das Kunststück zuwege gebracht hat, sich von Axel Schulz ausknocken zu lassen, um dann später Mike Tyson selbst auf die Bretter zu schicken, die keinesfalls die Welt bedeuten.
Kevin McBrideDer Kevin McBride, der für dieses kleine Dramulett noch wichtig wird, war ein kalifornischer Hobbyspieler, der sich fast unabsichtlich über ein Super-Satellite qualifiziert hatte und selbst nicht wusste, wie ihm geschah. Sicher grundsätzlich von freundlichem Wesen, aber mit dem anstrengenden Mitteilungsbedürfnis des Novizen kein leichtes Gegenüber für Scotty Nguyen. Jede Hand wurde unnötig kommentiert und jede entbehrliche Geschichte wurde ausufernd und pointenfrei erzählt. Scotty nickte und Scotty schwieg, bestellte gleich zwei Päckchen Zigaretten. In der Hosentasche vielleicht zwanzig Dollar und hinter der roten Kordel seinen Freund Mike Matusow und der hatte noch weniger. – Irgendwann war es Scotty fast zuviel und irgendwann schob Kevin McBride am Flop all seine Chips in die Mitte, stand auf und verschwand in den tiefen Fluchten des „Binion Horseshoes“. Niemand wusste, warum und wohin. McBride war einfach verschollen. Das gab es niemals vorher und passierte in dieser Form auch nicht wieder. Kein Gegner für Scotty, die Chips in der Tischmitte und eine verzweifelte Turnierleitung. Noch dazu, wo 1998 erstmals das Fernsehen da war, mit einem Dutzend Kameras und Phil Hellmuth als Kommentator. Ob der sich auch an der Suche beteiligt hat, bleibt ungeklärt. Wie aus dem Nichts war McBride wieder da, Scotty bezahlte, verlor den Pot und musste weiter kämpfen. Scheinbar unbeeindruckt, nur der Takt der Bierbestellungen wurde deutlich und spektakulär verkürzt. So spektakulär, dass Scotty ein paar Wochen später einen Werbevertrag von einer der großen Brauerein angeboten bekam – den er selbstverständlich annahm.
Die vierte Stunde des Zweierduells geht dem Ende zu. Mike Matusow schwitzt hinter der Kordel. Beide Kontrahenten hält es nicht mehr auf den Sesseln. Scotty geht rauchend auf und ab, während Kevin McBride ebenfalls im Stehen die Chancen und Karten studiert. Manchmal sitzt die selbstverständlich blonde Dealerin alleine am Tisch mit all den Dollarpakten, die auch ihr Leben verbessern könnten.
Kevin McBride wird irgendwann ungeduldig, will es wissen und sucht sich dafür den gründlich falschen Moment aus. Scotty trifft mit seiner Hand J-9 am Flop das Set, am Turn das Fullhouse 9-9-8-8. Scotty hat seine Falle gut aufgestellt, überlässt in diesem Pot McBride das Kommando, zahlt nur schleifend nach. Der River bringt die dritte Acht. Fullhouse für beide liegt am Board. Nur Scotty hat das höhere. Springt in der Sekunde auf. Deutet auf die Batterien von Chips und deklariert sich lautstark „all in“. Kevin McBride überlegt für einen dankenswert langen Moment. Dankenswert deshalb, weil er Scotty Nguyen genau die notwendige Zeit gibt, zur Legende zu werden. Der Satz, der ihn für alle Pokerzeiten unsterblich machen wird: „You call, it´s gonna be all over baby“. Und das Baby überlegt und das Baby zahlt, Scotty zeigt seine Siegerhand, jubelt, streckt die Arme zum Casinohimmel, drückt Mike Matusow, drückt seine Familie, küsst seine Freundin und ein kleines Tränchen purzelt ihm aus seinen dicken, dunklen Sonnenbrillen.
Martin Pollak und Scotty NguyenViel Zeit ist seitdem vergangen. Wir Normalsterblichen messen in Jahren. Scotty misst in Dollar-Millionen. Geld, das er hatte und noch mehr Geld, das nach dem gewohnten Muster wieder verarbeitet wurde. Die üblichen Laster, nur die ganz ungesunden wurden scheinbar reduziert. Trotzdem ist Scotty Nguyen ein Prinz. Wenn auch ein Prinz mit einem steten Bier in der Hand – und das nicht, weil er es einem Sponsor versprochen hat. Einen Monat ist es jetzt her, während dem WPT- Turnier in Atlantic City. Da war mein geschätzter Redaktionskollege Martin Pollak das „Baby“, das gerade da war und das gerade zuhören konnte. Wieder weit über eine Million Dollar verloren. Diesmal im Bellagio, wieder bei Craps und wieder war es das vorerst letzte Geld. Was sagt man in so einer Situation, wenn ein Denkmal fällt und dann noch aus dem Turnier ausscheidet? Martin Pollak hat nicht viel gesagt und lieber ein gemeinsames Foto machen lassen. „Thank you Scotty!“ und ein „Your welcome Baby“.Dann ist Scotty Nguyen wieder nach Las Vergas. Dort, wo sein neues Leben anfing und dort, wo es auch immer so weiter gehen wird. Tolle Autos hat er schon oft gehabt und auch schon oft wieder verkaufen müssen, der Schmuck ist ihm geblieben. Eine goldene Kette um den Hals und noch eine und mindestens zwei weitere. Ein dicker Stein dort, ein paar kleinere glitzernde Steine da und viele Bracelets ums Handgelenk. Wenn es Nacht wird über Las Vegas leuchten Millionen an bunten Lämpchen, locken Touristen, Spieler und junge Abenteurer, die es ganz nach oben schaffen wollen. Aber ganz egal, nichts und niemand funkelt so leuchtend wie Scotty Nguyen, wenn er sich wirklich aufputzt. Sollte es einen eigenen vietnamesischen Gott da oben geben, sieht er Scotty sofort. Den vietnamesischen Jungen, der die große Fahrt riskiert und überlebt hat. Und Er weiß, dass das eine gute Idee war, sich damals ein wenig um den Jungen zu kümmern. Weil Scotty Nguyen hat es ganz sicher geschafft in der neuen Heimat. Manchmal war er Millionär und manchmal eben nicht – aber immer war Scotty Nguyen ein Prinz. – Der Prinz von Las Vegas. Und das ist doch wirklich eine Menge.
Götz Schrage
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 16.02.2007.