Was passiert da eigentlich bei der US-Wahl? Als Europäer kommt es einem absurd vor, dass sich im Wahlkampf ausgerechnet die Kandidaten durchgesetzt haben, die scheinbar am unbeliebtesten sind.
Und jetzt sieht es so aus, als wolle einer der beiden es noch nicht mal werden. Es könnte sein, dass Trump nur einen größeren TV-Deal aushandeln will. Dazu geht es auch um die Zukunft von Online Poker in den USA.
Im Prinzip gibt es niemanden, der qualifizierter ist, diesen ganzen Wahnsinn zu erklären als Vanessa Selbst.
Ihre juristischen und spielerischen Fähigkeiten sind unerreicht, sie hat einen Jura-Abschluss und fast 12 Millionen Dollar in Live-Turnieren gewonnen. Dirk Oetzmann von PokerListings hat am Rande der EPT Barcelona ein spannendes Interview mit Frau Selbst geführt.
"Realistische Chance, dass die ganze Welt in die Luft fliegt"
PokerListings: Um hier gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, wer wäre für Poker der bessere Präsident, Clinton oder Trump?
Vanessa Selbst: Ich denke, darauf kommt es nicht wirklich an. Poker muss auf der Ebene der Bundesstaaten reguliert werden und damit hat der Präsident wenig zu tun.
Generell ist es so, dass die Demokraten eher für eine Regulierung sind, die Republikaner eher dagegen - zumindest in der Theorie.
In der Praxis sieht es so aus, dass die Kandidaten in den Bundesstaaten das Sagen haben, folglich muss man sich die dortigen Wahlen anschauen.
Wenn ich wählen müsste, würde ich sagen Hillary, hauptsächlich deswegen, weil es mit Trump die realistische Chance gibt, dass die ganze Welt in die Luft fliegt.
"Kapitalismus auf Crack"
PokerListings: Spieler wie Barry Greenstein haben gesagt, dass mehr oder weniger alle Politiker, die gegen Online Poker sind, selber spielen.
Vanessa Selbst: Ich denke, das stimmt. Die Leute sagen alles, nur um wiedergewählt zu werden und machen dann eh etwas anderes.
In einem kaputten System haben Leute wie Sheldon Adelson das Sagen. Er spricht sich gegen Online Poker aus und hat Geld. Der Wahlkampf verschlingt eine Menge Geld - also bestimmt das Geld von Adelson auch die Haltung gegenüber Online Poker. Das ist traurig, aber so ist es.
Ganz offensichtlich geht es Adelson nur um seine eigenen finanziellen Interessen und er denkt, dass Online Poker ihm Geld wegnimmt. Was einem wirklich Angst machen kann, ist, dass Politiker sich hinter ihn stellen und es nicht einmal verbergen.
Wir sind mittlerweile vom System der sozialen Gerechtigkeit abgekommen, was wir jetzt haben, kann nur als Kapitalismus auf Crack bezeichnet werden. Ich weiß nicht, wo das enden soll.
Auf der anderen Seite war die Kampagne von Bernie Sanders erfrischend. Offensichtlich realisieren viele Leute, dass das Wort Sozialismus doch nicht so schrecklich ist. Die Europäer gehen damit besser um.
PokerListings: Auch die Schweden nennen sich sozialistisch, trotzdem denkt niemand, dass mit denen etwas nicht stimmt.
Vanessa Selbst: Genau. Ich denke, dass sozialistische Ideen in einer kapitalistischen Gesellschaft mehr oder weniger unvermeidbar sind. Heutzutage schwindet die Mittelschicht, die Jobs werden weniger. Gleichzeitig gibt es qualifizierte Fachkräfte, denen ein Heer von unqualifizierten Menschen gegenübersteht.
Wir können eine solche Gesellschaft nicht ewig beibehalten. Langfristig muss der Wohlstand umverteilt werden und das ist Aufgabe der Regierung. Auch wenn es immer wieder Korruptionsvorwürfe gibt, sind sind die einzigen, die es machen können.
"Das ist alles aus dem Ruder gelaufen"
PokerListings: Die Europäer wundern sich, dass letztlich die beiden Kandidaten übrig geblieben sind, die anscheinend am unbeliebtesten sind.
Vanessa Selbst: Es ist überraschend, eine Anomalie. Wenn man sich Hillary und Bernie anschaut, hatte Hillary einfach mehr Erfahrung, mehr Ressourcen und Verbindungen in die Politik.
Und wie ich schon sagte, steckt eine Menge Geld in ihrer Kampagne, das von Leuten kommt, die sie wollen, weil sie denken, dass sie besser für die Wall Street ist.
Bernie hat sich gegen die Wall Street und ihr Geld in der Politik ausgesprochen. Das ist prinzipiell richtig, er hat es sich aber mit den Lobbyisten verscherzt. Er war auch nicht der beste Kandidat. Er wirkte eher wie ein alter schreiender Opa mit einem heftigen Brooklyn-Akzent und man hatte Angst, dass er jede Sekunde das Zeitliche segnen könnte.
Das tolle an seiner Kampagne war aber, dass sie gezeigt hat, dass die Leute eine neue Herangehensweise wollen. Ich war auch ein Supporter, letztlich hat aber das Geld, der Bekanntheitsgrad und die möglicherweise betrügerische Democratic National Convention entschieden.
Der einzige Grund, warum Hillary nicht mehr Gegenwind erfährt, ist der andere Kandidat – Donald Trump. Es ist schwer zu sagen, ob er wirklich der Teufel in Person ist oder ob er einfach nur ein Spiel spielt, bei dem es gar nicht darum geht, Präsident zu werden, sondern nur darum, sein Business zu stärken.
Trump ist das Ergebnis der Tea-Party-Bewegung und von Fox News. Die Leute haben vergessen, dass Fox News eine einzige Propagandamaschine ist und kein richtiger Nachrichtensender.
Die Bewegung hat eine unglaubliche Menge an Zeit und Energie darauf verwendet, jeden Fachmann und Experten in Misskredit zu bringen und dadurch können Sie jetzt mit allen möglichen Blödsinn kommen.
Das ist alles aus dem Ruder gelaufen, genau wie Trumps Rhetorik. Er kommt damit durch, weil er einfach so viele blöde Sachen sagt, dass niemand mehr mitkommt. Es ist beängstigend.
Unser Schulsystem ist vor 20 Jahren gescheitert, wir haben Jobs ausgelagert, die Angst vor Immigration geschürt und das macht für einen Staat, der auf Inklusion und Immigration aufbaut, keinen Sinn.
Wie auch immer, es gibt die soziale Ungerechtigkeit, es gibt die Armut. Was es nicht gibt, sind Immigranten, "die unsere Jobs wegnehmen". Die machen doch eh nur Jobs, die sonst keiner machen will.
Der Grund, warum die Leute immer ärmer werden, ist, dass mächtige Menschen die Gewerkschaften zerstören und so den Arbeitern ihre Verhandlungsposition nehmen. Dazu gehen die ganzen Profite der Unternehmen hauptsächlich an die CEOs und deren Günstlinge.
Ich verstehe einfach nicht, dass die Leute das nicht sehen.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 25.08.2016.