Was bedeutet es, wenn man beim Poker von einer “polarisierten Range” spricht und wie nutzt man dieses taktische Konzept zum eigenen Vorteil aus?
Das Konzept von Ranges beim Poker und wie man Gegner auf eine Hand setzt haben wir bereits erklärt. Werfen wir jetzt einen Blick auf einige Feinheiten des Range-Konzeptes.
Was ist eine polarisierte Range
Von einer polarisierten Range spricht man beim Poker, wenn der Gegner (oder man selbst) entweder ein absolutes Monster oder einen reinen Bluff hat, aber niemals eine Hand dazwischen.
Ein Beispiel: Stellen wir uns vor, wir sind beim No-Limit-Texas-Hold’em in einen großen Pot verwickelt und auf dem River sieht das Board wie folgt aus: 8 7 2 3 Q . Nun bringt unser Gegner, nachdem wir gecheckt haben, eine Bet in Pot-Größe.
Mit welchen Händen würde unser Gegner das machen?
Auf dem Board liegen vier Herz-Karten und es ist sehr gut möglich, dass unser Gegner hier einen Flush hat. Bringt er eine große Bet auf dem River, können wir aber fast ausschließen, dass es sich um einen kleinen Flush (etwa mit 10 9 ) handelt. Denn unser Gegner kann nicht erwarten, dass wir ihn mit einer schlechteren Hand callen.
Nein, unser Gegner hat, wenn er eine valide Hand hat, immer(†) eine Hand mit dem A oder ganz selten dem K .
Aber natürlich kann es auch sein, dass unser Gegner blufft. Aber wenn unser Gegner blufft, hat er fast sicher eine wirklich schlechte Hand (wie ein klitzekleines Paar oder nur Highcard). Denn mit seinen mittelmäßigen bis guten Händen (wie Sets oder Two-Pair), würde er aus Angst vor einem Flush bei uns nicht so viel setzen.
Wenn unser Gegner hier blufft, dann hat er immer (†) eine richtig schlechte Hand.
Das ist eine polarisierte Range: Entweder Nuts oder heiße Luft aber nichts dazwischen.
Wie erkennt man, dass der Gegner eine polarisierte Range hat?
Es kommt beim Texas Hold’em recht häufig vor, dass sich das Board so entwickelt, dass es wahrscheinlich scheint, dass einer der Spieler die Nuts hat. Zum Beispiel:
– Das Board zeigt Vier zu einem Flush (etwa K 8 7 4 2 )
– Das Board zeigt Vier zu einer Straße (etwa J 10 9 8 4 )
– Das Board zeigt zwei Paare (etwa A A J J 6 )
In diesen Beispiel reicht eine Karte, um ein Monster zu haben (das A in Beispiel 1, eine Qx in Beispiel 2 und ein Ax in Beispiel 3).
Kommt es auf solchen Boards zu großen Bets, hat der Aggressor fast immer eine polarisierte Range.
Aber auch auf an und für sich normal aussehenden Boards kann ein Gegner eine polarisierte Range haben, insbesondere wenn man seine Tendenzen kennt und viele Karten aufgrund der Setzfolge aus seiner Range eliminieren kann.
Polarisierte Ranges an einem konkreten Beispiel
In folgendem Beispiel (Full Ring) ist der Spieler UTG ein vergleichsweise tighter, recht aggressiver, aber nicht sonderlich kreativer Spieler:
UTG: ($200): ???
BU (Protagonist): ($200) J J
Preflop: UTG raist auf $7, BU callt (alle anderen folden).
Flop ($17): 2 4 4
UTG setzt $12, BU callt.
Turn ($41) 10
UTG setzt $25, BU callt.
River ($91) Q
UTG setzt $70, BU wundert sich, was UTG wohl hat.
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als wäre der Protagonist hier auf eine von zig Arten geschlagen: Der Gegner kann einen Flush, ein Full House, Top-Pair oder ein Overpair haben.
Was hat unser Gegner?
Aber mit dem Wissen, was in dieser Hand bis zum River passiert ist und dem Fakt, dass UTG tight und nicht sonderlich kreativ ist, lässt sich seine Range drastisch eingrenzen. Wie wahrscheinlich ist es, dass er bestimmte Hand-Typen hält?
– Full House / Quads: 22 oder 44 hätte er vor dem Flop wahrscheinlich nicht geraist, Zehnen oder Damen könnte er aber haben. Es gibt insgesamt 6 mögliche Kombinationen von diesen beiden Händen.
– Flush: Tatsächlich sind die einzigen halbwegs realistischen Möglichkeiten, einen Flush zu haben, die Hände A K oder A 10 (A J fällt aus, da wir den Herz-Buben halten) – alle anderen Hände, die jetzt einen Flush haben, hätte der Gegner UTG vor dem Flop nicht geraist: also bestenfalls 2 Möglichkeiten.
– Top-Pair / Overpair: Wenn wir wissen, dass der Gegner nicht besonders kreativ ist, sondern eher gradeaus spielt, können wir diese Möglichkeit faktisch ausschließen. Einem solchen Gegner ist das Board schlicht zu gefährlich und die Wahrscheinlichkeit, dass wir einen Flush haben, ist ihm einfach zu hoch, als dass er hier mit so einer wackeligen Hand eine Value-Bet bringen würde.
Sprich: Wenn unser Gegner hier eine valide Hand hat, hat er entweder ein Full House oder einen Flush. Dafür gibt es bestenfalls 8 realistische Kombinationen – nicht sonderlich viele.
Kann er einen Bluff haben? Je nachdem wie aggressiv unser Gegner ist, kann er sehr wohl bluffen. Mindestens alle Ass-König-Kombinationen bieten sich dafür an – erst bringt er eine normale Continuation-Bet, dann blufft er die Zehn auf dem Turn in der Hoffnung, dass wir alle unsere kleineren Paar folden und der River bringt eine perfekte Angst-Karte, um den Bluff abzuschließen. Es gibt insgesamt 15 verschiedene Ass-König-Kombinationen, die hier keinen Flush haben.
Nach eingehender Betrachtung spricht also Einiges dafür, dass wir mit unserer sehr mäßigen Hand callen sollten – insbesondere wenn wir schon wissen, dass unser Gegner zu Bluffs mit drei Salven fähig ist.
Was hilft es zu wissen, dass der Gegner eine polarisierte Range hat?
Wenn man in einer Situation halbwegs sicher einschätzen kann, dass der Gegner eine polarisierte Range hat, kann man sein Spiel entsprechend anpassen.
In einer solchen Situation ist es zum Beispiel fast unerheblich, ob man eine bombenstarke Hand oder nur einen Bluff-Catcher hat. Nehmen wir obiges Beispiel, bei dem der Gegner drei Salven auf einem 2 4 4 10 Q –Board abfeuert.
Für unsere Überlegung, was zu tun ist, spielt es fast keine Rolle, ob wir einen mittleren Flush (etwa 10 9 ) oder nur ein mäßiges Paar (etwa J J ) haben – beide Hände verlieren gegen den validen Teil der Range des Gegners (Full Houses und Nut-Flushes) und gewinnen gegen die Bluffs (kleine Paare oder High-Card).
Wenn man nicht grade selbst die unschlagbaren Nuts hat, bringt es auch herzlich wenig, gegen eine polarisierte Range zu raisen – der Gegner callt dann genau mit den Händen, die einen schlagen und entsorgt all seine Bluffs.
Grade bei zu aggressiven und unerfahreneren Spielern findet man in einer polarisierten Range oftmals nur sehr wenige valide Hände aber vergleichsweise viele Bluffs. In einem solchen Fall kann man sehr liberal mit Händen callen, die eigentlich hoffnungslos aussehen.
Wenn die Range eines Gegners nur aus dem Nut-Flush und Bluffs besteht, es aber kaum eine realistische Möglichkeit gibt, dass er diesen Flush hat, kann man auch mit einem lausigen mittleren Paar callen. Das sieht dann zwar sehr gewagt aus, ergibt sich aber zwingend daraus, dass der Gegner eine polarisierte Range hat.
Ein kleiner Tipp, damit man selbst nicht zu sehr dem Problem einer polarisierten Range anheim fällt:
Wenn man gegen einen mitdenkenden Spieler blufft, sollte man mindestens 10 valide Hand-Kombinationen repräsentieren können.
Sprich: Wenn ich bluffe, muss mein Gegner mir auch abnehmen können, dass ich eine echte Hand habe. Blind drauf losschießen, nur weil das Board einen Flush oder eine Straße ermöglicht, bringt nichts gegen einen guten Gegner, wenn es a) unwahrscheinlich scheint, dass man die repräsentierte überhaupt Hand hat und b) viele Bluffs in der eigenen Range sind.
Polarisierte Ranges auf den niedrigsten Limits
Unter Anfängern und auf den niedrigen Limits muss man berücksichtigen, dass große Bluffs bei einigen Spielern gar nicht zum Arsenal gehören. Bei solchen Spielern gibt es entsprechend auch keine polarisierten Ranges – wenn ein passiver Spieler plötzlich aufwacht und die großen Bets auspackt, dann hat er praktisch immer die Hand, die er repräsentiert – egal wie unwahrscheinlich es scheint.
Auf der anderen Seite gibt es insbesondere beim Live-Spiel häufig Table-Bullies, die sehr gerne jeden ankommenden Draw für sich beanspruchen und die große Keule rausholen. Liberales Callen gegen diese Spieler ist sehr gewinnbringend – nicht selten ist ihre Range so unausgewogen, dass sie ihre Karten sofort in den Muck werfen, wenn ihre große Bet auf dem River gecallt wird.
(†) Immer heißt nicht immer
In diesem Artikel habe ich die Wörter “immer” und “fast sicher” sehr großzügig verwendet. Aber das Schöne beim Poker ist, dass es zu jedem Konzept ein Gegenkonzept gibt und dass “immer” keineswegs “immer” bedeutet.
Das gilt auch bei polarisierten Ranges. Das Gegenkonzept hier heißt “Range-Merging”. Ein guter Spieler weiß, dass es schlecht ist, wenn seine Range zu polarisiert ist. Er versucht das zu umgehen, indem er auch mit mittelguten Händen setzt. Ein solcher Gegner hat dann eben nicht immer nur den Nut-Flush oder einen Bluff auf einem Board mit vier gleichfarbigen Karten, sondern womöglich auch mal nur Top-Pair.
Das in diesem Artikel verwendete immer und fast sicher gilt also nur für nicht ganz so gute Gegner.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 25.02.2014.