Auflösung der zweiten Hand unserer interaktiven Strategie-Reihe – der Mythos der Information und ein Plädoyer gegen zu viel Neugierde beim Poker.
Auf dem River in der folgenden Hand war der Protagonist einem Raise ausgesetzt und stand vor der Entscheidung, ob er mit einer schwachen Hand trotz enormer Pot-Odds callen kann.
Die Hand
Das Limit ist NL25 ($0,10 / $0,25 Blinds) an einem 6-max-Tisch.
Protagonist, CO ($34 Stack): A 10
Button ($18,50)
Der Protagonist raist nach zwei Folds auf $0,75. Nur der Button callt.
Flop ($1,85 im Pot): 10 6 4
Der Protagonist setzt $1,50, der Button callt.
Turn ($4,85 im Pot): 4
Der Protagonist setzt $3,50, der Button callt.
River ($11,85 im Pot): 9
Der Protagonist setzt $6, der Button raist auf $12,75 (all-in), der Protagonist … ?
Informationen zum Button: Der Spieler ist eindeutig kein erfahrener Spieler. Er spielt nur einen Tisch, kaufte sich an dieses initial für $14,30 ein und nach knapp 50 Händen hat er einen VPIP-Wert von 40 und einen PFR von 8. In vier von sechs Fällen hat er eine C-Bet gecallt und insgesamt nach dem Flop genau einmal geraist. In zwei Händen hat der Gegner mehrere Bets mit einem Underpair ohne Position gecallt.
So wollten unsere Leser weiterspielen:
Fold | 44% |
Call | 56% |
Unentschieden. Kann ein Call in dieser Situation sinnvoll sein? Ist der Protagonist oft genug vorn? Hat er – falls nicht – anderweitig etwas von dem Call? Vor der Auflösung hier ein paar Anmerkungen.
Ist der Protagonist hier oft genug vorne?
Nach dem All-In muss der Protagonis $6,75 callen und bekommt Pot-Odds von 1:4,5. Er muss in etwa 18% der Fälle die bessere Hand halten, damit sein Call profitabel ist.
Der Gegner in der Hand ist ein passiver Gelegenheitsspieler, hat wahrscheinlich seine gesamte Online-Bankroll auf dem Tisch und hat nach bisherigem Spielverlauf keine merkwürdigen aggressiven Züge gezeigt.
Gegen diesen Spieler ist der Protagonist mit seinem Top-Pair mausetot. Dieser Gegner blufft hier faktisch niemals und value-raist mit Sicherheit keine schlechtere Hand.
Der Protagonist gewinnt die Hand nur falls der Gegner sich verklickt hat oder anderweitig einen spontanen Anfall von fortgeschrittener Umnachtung erlitten hat.
Gibt man dem Verklicken des Gegners eine großzügige Wahrscheinlichkeit von 10%, reicht das immer noch nicht für einen Call. Tatsächlich kostet ein Call auf lange Sicht dann etwa 3 Dollar (10% * $37,35 – $6,75) oder 12 Big Blinds.
Demnach ist ein Fold die wesentlich bessere Alternative.
Call für Info?
Viele Leser schlossen sich der Meinung an, dass ein Call nicht profitabel sei, wollten aber dennoch gerne callen. Hier einige Begründungen:
- Ich würde trotz der verfahrenen Situation callen, damit ich aus der Hand und über Villain etwas lerne, sonst war das investierte Geld für Nix und wieder Nix.
- denke dabei das auch beim call die info über den spieler auch noch bei mir ne rolle spielen würde
- Die $6 würde ich bezahlen, aber nur um zu wissen wie er spielt, eine Chance auf Sieg würde ich mir nicht ausrechnen.
- wäre es ein call für n Read der Gold wert sein kann.
Wie im vorigen Absatz ausgerechnet, kostet ein Call auf lange Sicht 12 Big Blinds. Ist die Information, die man aus den Karten des Gegners erhält, tatsächlich diesen Betrag wert?
Die wahrscheinlichsten Hände, die uns hier schlagen, sind 87 und eventuell T9. Callen wir und dreht der Gegner eine dieser Hände um, haben wir überhaupt nichts neues gelernt. Er hätte diese Hände genauso gespielt, wie wir es ohnehin schon erwartet hätten. Nur wenn der Gegner ein Full House oder ein Overpair umdreht, hätten wir eine halbwegs neue Information bekommen. Aber dass passive Spieler Monster langsam und eventuell komisch spielen, haben wir im Grunde auch schon vorher gewusst. So oder so, werden wir wenig Neues durch unseren Call erfahren.
Nein, tatsächlich ist die Info, die wir hier bekommen können nicht viel wert – unter Garantie keine 3 Dollar. Wir werden sehr wahrscheinlich nie wieder nach dieser Session gegen den Gegner spielen, haben ohnehin ein hinreichend klares Bild von seiner Spielweise und wissen schon, wie wir Geld gegen ihn machen. Dass die Information, die wir durch den Call erhielten, überhaupt in irgendeiner späteren Hand zum Einsatz käme, ist reichlich unwahrscheinlich.
Wer den River-Raise callt, macht dies nicht, um Informationen zu erhalten, sondern schlicht um seine Neugier zu befriedigen.
Diese Neugierde ist eine Tendenz, die auf lange Sicht enorm viel Geld kostet und einer der häufigsten Fehler auf den niedrigen Limits ist. Wenn es offensichtlich ist, dass man geschlagen ist, bringen auch die besten Pot-Odds nicht mehr viel und man verschenkt sein Geld nur, um absolut sicher zu gehen, dass man tatsächlich hinten liegt.
Diese Neugierde ist ein Fehler, der wirklich nicht sein muss, denn es ist ein so offensichtlicher Fehler. Den meisten Spielern ist es im Moment des Callens schon ziemlich klar, dass sie wohl kaum eine Chance auf den Pot haben. Wer hier dem Drang widerstehen kann, trotzdem noch Geld in die Mitte zu werfen, kann seine Gewinne langfristig deutlich erhöhen.
Tatsächlich ist diese Neugierde einer der Hauptantriebe von Gelegenheitsspielern. Sie callen zu viel, um noch eine Karte zu sehen, um zu sehen wie die Hand ausgeht, um zu sehen was der Gegner spielt. Dieses Muster sollte man ausnutzen und nicht ihm selbst verfallen.
Auflösung
Lösen wir die Hand noch auf:
Der Protagonist setzt $6, der Button raist auf $12,75 (all-in), der Protagonist callt.
Der Button dreht 8 7 um und gewinnt den Pot.
Vielen Dank für alle bisherigen Kommentare und Diskussionen. Die nächste Hand der Reihe folgt in Bälde. Solltet Ihr der obigen Argumentation widersprechen, lasst uns gerne weitere Kommentare da!
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 11.04.2016.