In unserer aktuellen Pokerbrainstorm-Reihe widmeten wir uns der Frage, wie man Könige so spielt. Dabei wurden die Entscheidungen mit jeder neuen Karte schwieriger und am Ende zwang uns ein unbequemer Gegner einen massiven Pot gegen einen möglichen Flush auf.
Wie üblich in dieser Reihe luden wir zunächst unsere Leser ein, ihre Meinung kundzutun und lösten dann auf, wie wir diese Hand sehen. Dabei wurden alle Entscheidungen Preflop bis River besprochen.
In der konkreten Situation sind wir in der frühen Phase eines €500-Live-Turniers. Das Spiel ist vergleichsweise loose, die Tische scheinen soft und wir sind noch dabei, im Turnier anzukommen. In diesem Moment bekommen wir Könige und ein großer Pot braut sich zusammen:
Blinds: t50 / t100
Average: t21.000
Wir sind im zweiten Level des Turniers und haben an diesem Tisch grade mal 20 Minuten gespielt.
UTG+2, Hero: t20.050 (K♣ K♠ )
MP: t19.500
CO: t42.000
BU: t16.800
SB: t18.200
BB: t20.250
Der Spieler im Small Blind ist Ende 20 und spielte drei der letzten vier Hände am Tisch. Davon verlor er eine und gewann zwei jeweils ohne Showdown. Ansonsten wissen wir nichts über die Spieler am Tisch.
Nach zwei Folds raisen wir auf t300. Alle folden und der Small Blind raist auf t1.150. Nachdem Big Blind passt, sind wir gefragt:
Wir reagieren wir auf den Reraise mit Königen und effektiven Stacks von 180 Big Blinds?
So geht die Hand weiter:
MP (Hero) callt den Re-Raise.
Flop (t2.400): Q♥ T♥ 7♣
SB setzt t1.600
Was machen wir?
So geht die Hand weiter:
MP (Hero) callt die Bet.
Turn (t5.600): Q♥ T♥ 7♣ 2♦
SB setzt t3.700.
Der SB hat noch 11.750 Chips übrig und wir sind dran. Was nun?
Das wollen unsere Leser hier machen:
Aktion | Stimmenanteil |
---|---|
Fold | 2% |
Call | 60% |
Raise auf t7.400 | 8% |
Raise auf t15.450 (all-in) | 30% |
Wieder liegt hier die Masse richtig: Call ist von allen Optionen die beste. Schauen wir uns den Turn aber etwas genauer an.
Fragen wir zuerst: Was unser Gegner da eigentlich?
Bei unserer Überlegung zum Flop (weiter oben) fanden wir heraus, dass – ja nachdem welche Range wir unserem Gegner geben – wir auf dem Flop mit einer Wahrscheinlichkeit zwischen 15 und 22,5 Prozent geschlagen sind.
Das ist die Wahrscheinlichkeit, bevor unser Gegner überhaupt setzt. Dadurch dass unser Gegner hier nun zweimal gesetzt hat, können wir davon ausgehen, dass wir noch etwas häufiger hinten liegen. Denn wir können davon ausgehen, dass unser Gegner immer setzt, wenn er ein einfaches Overpair schlagen kann, jedoch sicherlich nicht immer, wenn er eine schlechtere Hand hat.
Sprich: Wir müssen uns in dieser Situation bewusst sein, dass wir hier gut und gerne die zweitbeste Hand haben können. Nicht immer und nicht einmal in der Mehrheit aller Fälle, aber wir haben keinen Grund überrascht zu sein, wenn unser Gegner am Ende Damen oder Zehnen umdreht und uns die Chips wegnimmt.
Aber.
In der Range unseres Gegners gibt es zahlreiche Hände, die wir schlagen und mit denen er zwei Barrels abfeuert. Allein Ass-Dame macht 12 Kombinationen aus und dazu kommen dann und wann andere Top-Pairs, die unser Gegner in der (falschen) Annahme durchfeuert, er müsse sich gegen unsere Draws schützen.
Außerdem deutete die bisherige Spielweise des Gegners darauf hin, dass er zu aggressiven Bluffs befähigt sein kann und eine zweite Salve als Bluff auf diesem Board ist keineswegs auszuschließen.
Die 2♦ auf dem Turn war eine totale Blank, aber wir sollten die Möglichkeit nicht völlig ausschließen, dass unser Gegner versucht, uns von einer Hand wie Buben wegzubluffen.
Auch wenn das Board ziemlich draw-lastig aussieht, hat unser Gegner hier jedoch vergleichsweise selten einen Draw. Es gibt eben nicht all zu viele Kombinationen mit zwei Herz-Karten, die vor dem Flop reraisen, wenn zwei hohe Herzkarten bereits auf dem Board liegen und Straight-Draws gibt es auch nicht zu viele.
Da unser Gegner hier selten einen Draw hat, macht ein Raise auf dem Turn nur wenig Sinn. In den meisten Fällen liegen wir entweder meilenweit vorne oder meilenweit hinten. Dass unser Gegner hier acht oder mehr Outs hat, kommt bestenfalls in 10% der Fälle vor.
Ein paar wenige Leser empfanden hier Fold als beste Option. Gegen einen tighten Spieler wäre dies ein sehr valider Zug. Wir spielen immerhin in einem gereraisten Pot, Asse oder Damen sind bei unserem Gegner definitiv möglich und beide Hände schlagen uns. Allerdings dürfen wir in diesem Fall davon ausgehen, dass die Range unseres Gegner hier so weit ist, dass Könige oft genug die beste Hand sind. Außerdem haben wir weiterhin Position und können vergleichsweise entspannt einen River spielen.
MP (Hero) callt die Bet.
Turn (t13.000): Q♥ T♥ 7♣ 2♦ 5♥
SB schiebt sofort all-in: 11.750 Chips. So viel zu “vergleichsweise entspannt einen River spielen”.
Was tun, sprach Zeus, die Götter sind besoffen?
Das wollten unsere Leser machen:
Aktion | Stimmen |
---|---|
Call | 62% |
Fold | 38% |
Unsere Meinung:
Der Small Blind will es nun wirklich wissen und zwingt uns, einen riesigen Pot zu spielen, wobei unsere vormals bärenstarke Hand nun nur noch ein marginaler Bluff-Catcher ist.
Aber wir sollten uns deswegen nicht zu schlecht fühlen, denn solche Situationen kommen beim Poker vor, insbesondere wenn man gegen starke Gegner spielt und wir können immer noch logisch deduzieren, welche Aktion (Call oder Fold) für uns die beste ist.
Tun wir das doch einfach.
Dafür schauen wir uns zunächst einmal die Odds an. Wir müssen 11.750 Chips zahlen und können einen Pot von 13.000 Chips gewinnen. Das heißt, wir müssen hier zu rund 32% die bessere Hand halten, um mit positivem Erwartungswert callen zu können. Wir sprechen hier vom Chip-Erwartungswert, nicht von ICM. Aber so früh im Turnier sind die beiden fast identisch und wir können festhalten: Wenn wir in einem von drei Fällen die beste Hand haben, ist ein Call profitabel.
Haben wir in einem Drittel der Fälle die beste Hand?
Überlegen wir uns doch einfach einmal, welche Hände unser Gegner hier als Value-Hände spielt und all-in geht: Alle Flushes in seiner Range und womöglich manchmal seine Sets. Mehr nicht. Der wird hier sehr wahrscheinlich nicht mit Ass-Dame all-in gehen und fast sicher auch nicht mit Dame-Zehn oder ähnlichen wackeligen Two-Pair-Händen. Auch wird er nicht mit allen Sets all-in schieben, dafür ist die Gefahr, dass wir selbst den Flush haben einfach zu groß.
Aber welche Flushes sind denn da so in der Range unseres Gegners?
Spielt er etwas wilder (“Range 1” bei den Flop-Überlegungen), hat er 76, 87, 98, KJ, AJ oder AK in Herz in seiner Range. Das sind 6 Kombinationen.
Spielt er etwas zurückhaltender (“Range 2” bei den Flop-Überlegungen), hat er nur KJ, AJ oder AK in Herz als mögliche Flushes. Das sind nur 3 Kombinationen.
Dazu können wir davon ausgehen, dass er dann und wann mit einem Set auf diesem River all-in stellt, geben wir ihm also mal 3 Set-Kombinationen davon noch dazu.
Das heißt in Summe hat unser Gegner zwischen 6 und 9 Kombinationen, die uns geschlagen haben und mit denen er all-in stellt.
Und kann unser Gegner bluffen?
Klar kann unser Gegner bluffen. Wir wollen nun erst einmal wissen, wie oft er bluffen muss, damit wir callen können.
Damit wir zu mindestens 33% vorne liegen, muss unser Gegner nur zwischen 3 und 5 Kombinationen bluffen.
Sprich: Wenn er mit all seinen Flushes und einem Teil seiner Sets auf diesem River all-in schiebt, muss er nur zwischen 3 und 5 Kombinationen bluffen, damit wir profitabel callen können.
Scheint es nicht möglich, dass unser Gegner mit einem verpassten Straight-Draw, nackten Overcards oder einem kleinen (wertlos scheinenden) Paar die Flush-Gefahr ausnutzt und blufft?
Aber ja!
Was blufft unser Gegner denn so?
Wenn unser Gegner etwas wilder spielt (was ob der bisher beobachteten Hände auch wahrscheinlich scheint), dann ist es plausibel, dass er hier ab und zu mal die sich bietende Bluff-Option nutzt und mit heißer Luft all-in schiebt. Er muss es ja gar nicht andauernd und wie ein Maniac tun. Es reichte schon aus, wenn er zum Beispiel mit Ass-Bube-offsuit eben auch als Bluff all-in stellte. Das wären schon 12 Kombinationen und weit mehr als die 5, die wir brauchen.
Und spielt unser Gegner etwas tighter, hat er auch weniger plausible Flushes in seiner Range und muss nur mit 3 Kombinationen bluffen. Es kann sein, dass er dann und wann mit 99 eine gute Bluff-Option sieht, oder mit Ass-König oder mit König-Bube in Karo. Es gibt auf jeden Fall einige realistische Kombinationen, die auch ein tighter (aber guter, aggressiver) Spieler hier bluffen kann.
Wir reden nicht davon, dass wir hier häufig geblufft werden oder hoffen, gegen einen Maniac zu spielen. Für einen profitablen Call brauchen wir nur ein paar Bluffs in der Range unseres Gegners. Diese finden wir – vielleicht nicht ganz viele, aber fast sicher genug, um in einem Drittel der Fälle mit Königen noch vorne zu liegen.
Deswegen ist ein Call hier besser als ein Fold. Die Entscheidung ist nicht einfach und sicherlich knapper als viele andere Entscheidungen, die man beim Poker treffen muss. Aber nichtsdestominder gibt es hier keinen Grund, auf dem River zu verzagen oder den Kopf in den Sand zu stecken.
Der Pot mag groß sein, unsere Hand der Größe des Pottes nicht angemessen und unser Gefühl mag schlecht sein. Aber am Ende ist die Entscheidung eine recht einfache:
Kann unser Gegner uns geschlagen haben? Klar. Könnte er auch bluffen? Klar. Blufft er oft genug? Scheint wahrscheinlich. Schlagen wir die Bluffs? Klar. Also: Rein mit den Chips und ab zum Showdown.
Warum der Flush nun doch wichtig ist
In den Entscheidungen auf Flop und Turn schrieb ich immer, dass wir keine Angst vor einem Flush-Draw beim Gegner haben müssen, denn der ist sehr unwahrscheinlich.
Nun kam der potentielle Draw auf dem River an und auf einmal wird hier so viel Aufhebens um den Flush gemacht, dass man meinen könnte, man hätte gut daran getan, schon im Vorfeld mehr Bedacht darauf zu richten.
Nein.
Der River gepaart mit dem All-In schränkt die Range unseres Gegners nur extrem ein. Er hatte auch vorher nur 3 bis 6 Flush-Draw-Kombinationen, nur sind diese jetzt eben höchstrelevant. Wir können alle möglichen Hände aus seiner Range streichen – etwa Top- oder Two-Pair. Dadurch wird dieser kleine, vormals fast irrelevante Teil der Range auf einmal zentraler Bestandteil unserer Überlegungen.
Zu dieser mentalen Dynamik muss man beim Poker bereit sein. Denn einzelne Karten gepaart mit großen Bets zwingen einen dann und wann dazu, Situationen neu oder sogar ganz anders zu bewerten.
Es hätte aber wenig geholfen, schon im Vorfeld den Flush-Draw in den Vordergrund zu stellen, wenn unser Gegner nur zu 6 bis 11 Prozent überhaupt einen relevanten Draw hat (siehe Flop-Überlegungen) und so ein Herz eben auch nur in einem Drittel aller Fälle auf Turn oder River ankommt.
Auflösung
Auch diese Hand wird nicht aufgelöst. Wir haben unsere Entscheidung getroffen, diese (hoffentlich) gut überlegt und damit unsere Schuldigkeit getan. Mehr können wir am Pokertisch nicht machen. Unsere Entscheidung wird nicht dadurch richtiger, dass wir den Pot gewinnen oder notwendig falsch, wenn wir verlieren.
Wir können davon ausgehen, dass wir diesen Pot recht oft verlieren – so lange es aber weniger als 66% sind (wir also zu einem Drittel gewinnen), ist alles gut und richtig.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 11.04.2016.