Das Leben ist wie ein Turnier. Man darf nie aufgeben. Ich dachte etwa bis gestern, die Zeit der wunderbar subjektiven Reportagen sei vorbei. Die Art Texte, die kaum etwas über das scheinbar Wesentliche, aber umso mehr über die Befindlichkeit und Gedankenwelt des Autors verraten. – Dieser Stil scheint heute nicht mehr sehr gefragt zu sein. Vielleicht war er früher auch nicht gefragt? Aber damals wurde diese Art Texte gedruckt. Regelmäßig und noch dazu in Farbe. Die Zeitschrift hieß TEMPO. Heute kennt sie keine Sau mehr und ich fühle mich irgendwie einsam und irgendwie alt. Die einstigen Idole in alle Redaktionswinde zerstreut. Helge Timmeberg sitzt bei Stefan Raab auf der Couch. Maxim Biller ist inzwischen unerträglich gescheit und doppelt so eitel. Was wurde eigentlich aus diesem Gonzo?
Arbeit kann manchmal nett ablenken vom eigenen Schicksal. Aussuchen kann ich mir meine Geschichten nicht. Die weisen Oberbosse von PokerOlymp werfen mir gnädig einen rohen Brocken zu: „Mach was draus Schrage und bitte maximal 3000 Zeichen“. – BLOG. Was für ein hässliches Unwort? Und in der verschärften Form „Pokerblog“. Ein tragisches Thema ohne jede Chance. Pokerspieler und ihr virtuelles Tagebuch? Wie sollen Pokerspieler schreiben können? Ich kenne kaum einen, der im Casinorestaurant ein Abendessen bestellen kann, ohne mindestens zwei schwere Grammatikfehler zu machen.
Gut dann schauen wir mal ins Netz. Und gleich fündig geworden. „Deutscher Pokerblog“.Fängt schon langweilig an. Schlechte Pointen in schlechten Sätzen. Traurig. – Nächster Klick – Triefendes Selbstmitleid in „Times New Roman“. Hat ein Paar Asse verloren. Das gibt’s ja gar nicht! Schauen wir mal in sein „Profil“. Als Lieblingsfilm tatsächlich „Titanic“. War Poker nicht einmal ein richtiger Männersport?- Nächster Klick – Apropos männlich, jetzt auch noch ein weiblicher Pokerblog. Eine Frau! Jetzt schreiben auch schon Frauen über Poker?! Zu welchen Themen bitte? Ausgewogene Ernährung während der Turnierwoche? Oder bitte nicht dem Dealer Angst machen, der gibt doch nur die Karten! – Pfui Teufel. Selbstverständlich wollte ich sofort weiterklicken. Soviel verdiene ich nicht bei PokerOlymp, dass ich jeden Mist lesen muss. Aber eine blonde hübsche Frau auf der Startseite, da übernimmt das Stammhirn die Herrschaft über meinen Zeigefinger. – Klick – und drinnen sind wir. Mal einen Blog-Eintrag quer gelesen. Selbstverständlich nicht ordentlich von Beginn. Mitten rein ins Geschehen. – Was lese ich da? „ Es riecht nach gelebtem Leben, nach salzigem Meer und die Autos fahren auf der falschen Seite“. Das ist einmal ein Satz. Ein bombastisch guter Satz. Ich will mehr davon. Und ich bekomme mehr davon.
Katja Thater heißt die Autorin. Ihren Poker-Blog finden Sie unter www.katja-thater.de. Da gibt es mehr von spannend geschraubten Sätzen. Alles habe ich gelesen. Jede kleine Zeile.Geschichten mit fantastischen Titeln wie „Handküsse und ungeduschte Schweden“, oder „Ist das ein Kommunist?“ Wunderbare Einträge, gewagte Einleitungen, die viel versprechen und Texte, die dann die Erwartungen noch übertreffen.Übrigens jeder in der PokerOlymp Redaktion kennt Katja Thater als renommierte Turnierspielerin. Sogar die Jungs von Pokerstars haben sie in ihr exklusives Pokerstars-Team aufgenommen. Die ganze Welt also weiß von Katja Thater, nur mir hat wieder keiner was gesagt! Dafür weiß ich ganz andere wichtige Dinge. Zum Beispiel, dass Maxim Gorki eigentlich gar kein Schiff ist – und doppelt eigentlich nicht wirklich niemals wirklich Maxim Gorki hieß. Oder, dass Bruce Chatwin leider ganz sicher niemals mehr ein Buch schreiben wird. Das sind halt die Dinge, die ich so weiß.Ach ja und eines weiß ich noch. Die Auszeichnung zum „Blog des Monats Oktober 2006“ gewinnt mit schier uneinholbarem Vorsprung Katja Thater mit www.katja-thater.de. Sie hat ihn verdient. Sie hat uns und mir wirklich Freude gemacht mit ihrer Arbeit. Wir gratulieren und wollen mehr davon. Also liebe unbekannte Katja. Tempo, Tempo und möge Gonzo mit dir sein.
Götz Schrage
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 02.10.2006.