Ein wesentliches Instrument im No-Limit-Poker ist die Möglichkeit, dem Gegner die Odds für seinen Call zu legen, und dadurch die weitere Entwicklung des Spiels wesentlich zu beeinflussen. Kalkulieren wir selbst mit Implied Odds beim Call, so sollten wir uns gründlich mit der Frage auseinander setzen, ob der Gegner, wenn wir uns verbessern, auch wirklich entsprechend bezahlen wird. In den Fällen jedoch, in denen wir annehmen, dass der Gegner mit Implied Odds spekuliert, sollten wir ihm genau diese verwehren.
Falls es nicht deutlich ist, was ich mit dem „Legen der Odds“ meine, so vergleiche man mit Limit-Poker. Wenn dort der Einsatz 10 Dollar beträgt, dann ergeben sich die Odds für den Call durch die Geldmenge, die bereits im Pot liegt. Der Bettor kann daran nicht das Geringste ändern. Anders jedoch im No-Limit. Setze ich den halben Pot, kriegt der Gegner Odds von 3 zu 1, bei Potsize-Bet 2 zu 1 usw.
Verteidige ich nun meine Made-Hand gegen eine mögliche Draw-Hand, dann ist es mein erstes Interesse, dem Gegner den Call so sehr zu verteuern, dass er entweder auf den Draw verzichtet und mir den Pot überlässt, oder aber auch, dass er zuviel für seinen Draw bezahlt. Bringe ich etwa einen Einsatz in Pot-Höhe und, trotz schlechter Odds von 2 zu 1, erfolgt der Call, so ist dieser immer willkommen, auch wenn die für den Gegner passende Karte fallen sollte. Langfristig betrachtet, sind derartige gegnerische Calls profitabel. Das Pech, im Falle der Verbesserung, ist nicht der Call, sondern der unwahrscheinliche Fall der nächsten Karte.
Was ist nun der Anlass, für eine Verbesserungschance von 4 zu 1 einen Einsatz zu leisten, dessen Odds nicht besser sind als 2 zu 1? Abgesehen von Unüberlegtheiten, die glücklicherweise so manche Calls bewirken, sind es die Implied Odds, also das Verhältnis des Einsatzes zur Geldmenge, die in zukünftigen Einsatzrunden in den Pot fallen wird. Und würden wir im No-Limit Poker die Implied Odds nicht regelmäßig berücksichtigen, so würde fast jedes Spiel schon am Flop enden.
Insbesondere in kleineren Turnieren, gelegentlich aber auch an Cash-Tischen, lässt sich oft beobachten, dass manche Spieler ihr dominantes Blatt zu massiv verteidigen, oft sogar durch ein All-in in mehrfacher Pot-Höhe. Nachdem es im Pokerspiel darum geht, so viele Chips wie möglich zu gewinnen, und nicht die Zahl der gewonnen Pots, ist der schlechte Call eigentlich das Erste, worauf wir hoffen. Ein Fold ist nur dann wirklich willkommen, wenn es sich um einen Bluff handelt.
Besprechen wir zuerst aber den eigenen Call, also wenn wir selbst mit den Implied Odds spekulieren. Es gibt dabei einige Grundvoraussetzungen. Wir können nämlich keinesfalls immer davon ausgehen, dass entsprechend viele Chips nachfolgen werden. Folgende Punkte wären dabei zu berücksichtigen:
· Die Höhe der verbleibenden Stacks· Die Aggressivität des Gegners· Die Bereitwilligkeit des Gegners zum Call· Die Offensichtlichkeit der eigenen Verbesserung
Aggressivität und Bereitwilligkeit zum Call habe ich deswegen als getrennte Punkte angeführt, weil sie auf verschiedenen Motivationen beruhen. Manche Spieler lassen sich durch die Entwicklung des Boards selten von weiteren Angriffen abhalten, was immer auch die Gründe dafür sein mögen. Andere Spieler hingegen werden eher checken, wenn das Board gefährlich aussieht, zeigen aber trotzdem eine starke Tendenz zu Calls.
Ein kurzes Rechenbeispiel:
Wir spielen J 10 . Im Pot liegen 100 Dollar. Der Flop: A 2 7 . Der Gegner setzt 100 Dollar. Einen Bluff schließen wir grundsätzlich aus. Die Chance auf ein Karo am Turn beträgt rund 4 zu 1, die Odds für den Call 2 zu 1. Wie viel Geld müsste also später noch in den Pot fallen, dass sich der Call rechnet?Grundsätzlich wären es 200 Dollar. Betrachte ich in diesem Fall 200 Dollar jedoch als Obergrenze, würden sich die Implied Odds trotzdem nicht rechnen.
Dass die Möglichkeit, maximal 200 weitere Dollar zu gewinnen, den Call nicht rechtfertigt, beruht auf zwei Gründen. Wir können uns nicht sicher sein, dass der Gegner mehr Geld in den Pot investieren wird, sobald ein Karo am Turn fällt, und außerdem können wir mit unserem Jack-High-Flush schießlich immer noch verlieren.Auf die jeweilige Situation abgestimmt, brauchen wir also ein entsprechend höheres Gewinnpotential. Und wie hoch? Im gegebenen Beispiel würde ich den Wert von 200 Dollar etwa verdoppeln. Damit meine ich, dass nicht nur die Stacks entsprechend hoch sein sollten, sondern auch, dass ich den Gegner dazu fähig erachte, trotz eines möglichen Flushs, noch zumindest 400 Dollar auf sein Ass zu investieren. (In speziellen Situationen, insbesondere die Eigenschaften des Gegners berücksichtigend, könnte dieser Wert auch höher liegen.)
Besonderes Augenmerk verdient hier natürlich auch die Offensichtlichkeit des Draws. Wie so oft erwähnt, bewirken drei gleiche Kartenfarben im Board meist wesentlich größere Vorsicht als eine mögliche Straight. Oder, bleiben wir beim gleichen Flop von A 2 7 und geben wir uns Suited Connectors in die Hand, 8 7 . Dass, durch die nun niedrigeren Kartenwerte, das mögliche Flush noch schwächer wird, übt, auf Grund der Unwahrscheinlichkeit von ebenfalls zwei Karo in der gegnerischen Hand, relativ wenig Einfluss aus. Dafür gibt es aber einige Karten im Restpaket, deren Fall unsere Verbesserung keineswegs so offensichtlich erscheinen lässt. Ich spreche von den Siebenen und Achten.
Ein ebenfalls günstiges Beispiel wäre jenes, wenn sowohl ein Flush- als auch ein Straight-Draw im Board liegen, etwa: J 10 6
Kriegen wir etwa mit Kx Qx unsere Straight, könnte der Gegner glauben, dass wir den Flush-Draw verpasst haben. Fällt die passende Karte zum Flush, könnte er sich von der Hoffnung motivieren lassen, dass wir mit Kx Qx auf die Straight gewartet haben. Entsprechend steigt die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Engagements.
Zwar habe ich soeben erwähnt, dass mögliche Straights keinesfalls so abschreckend wirken wie eine Flush-Gefahr, doch ändert sich dieser Punkt natürlich, wenn ich nur eine passende Karte zur Straight in der Hand halte. Spiele ich etwa Ax Tx und im Flop fällt 9x 8x 7x, dann reduziert dies natürlich die Wahrscheinlichkeit eines Calls entsprechend, wenn vier Karten zur Straight einmal im Board liegen.
Verbleiben uns mehrere Gegner, so steigt die Wahrscheinlichkeit eines Calls entsprechend. In diesem Fall ist natürlich der möglichen Gefahr, das zweitbeste Blatt zu kaufen, auch mehr Beachtung zu schenken.
Und nun behandeln wir das gleiche Thema von der anderen Seite, wenn wir unsere Made-Hand verteidigen und der Gegner zu viel für seinen Draw bezahlt. Wie gesagt, der teure Call ist willkommen. Profitabel ist er aber nur dann, wenn wir dem Gegner aber, sobald er sich verbessert, keine weiteren Chips mehr überlassen. Aber, hier sind wir mit einem nicht einfach zu lösendem Problem konfrontiert. Wie können wir wissen, ob es wirklich ein Draw ist, auf den der Gegner spekuliert, bzw. welcher Draw?
Es gibt Spieler, die den Flop kategorisch callen und am Turn auf ein Schwächezeichen des Gegners warten. Insbesondere, wenn wir in der schwächeren Position sitzen, sind wir dadurch zum Handeln gezwungen. Geben wir den Pot regelmäßig auf, sobald eine gefährlich aussehende Karte am Turn fällt, werden unsere Gegner sehr rasch erkennen, dass sie uns eine Menge Pots klauen können.
Nehmen wir wieder das vorige Beispiel mit dem Flush-Draw am Flop: A 2 7
100 Dollar im Pot. Ein Bet von 70 oder 80 Dollar würde hier ausreichen, um die Odds für einen Flush-Draw zu teuer zu gestalten. Trotzdem, beinahe jeder Spieler würde, die Implied Odds berücksichtigend, ohne weiteres bis zu 100 Dollar dafür bezahlen, manche sogar mehr.Bringe ich nun ein Bet von 70 Dollar, so rechnet sich der Call für den Gegner mit Flush-Draw, wenn er mit einem Gewinn von 280 Dollar kalkuliert. 170 Dollar liegen bereits im Pot, was bedeutet, dass ihm, im Verbesserungsfall, nur mehr 110 Dollar fehlen. Erhöht er diesen Erwartungswert ums Doppelte, aus den Gründen, die wir vorher schon besprochen haben, müsste er von der Möglichkeit ausgehen, dass ich noch weitere 220 Dollar investieren werde. Mir aber ist daran gelegen, ihm, falls er sich verbessert, nicht mehr als 110 Dollar zu bezahlen, am besten jedoch weniger oder überhaupt nichts.
Als Erstes, bevor ich die Höhe meines Bets am Flop festlege, sollte ich mir Gedanken zu den Eigenschaften des Gegners machen. Ist er ein Spieler, der eine Made-Hand durch Raise verteidigt bzw. versucht, durch ein Raise Informationen einzuholen? Wie oft callt er den Flop im Allgemeinen? Ist er oft bereit, den Flop zu callen, gibt am Turn aber auf? Wie oft variiert er sein Spiel?
Handelt es sich um einen Gegner, der sich strikt an rechnerische Konzepte hält, mit einem Ass in der Hand raist und für einen Draw cold callt, wäre die Situation recht einfach. Nachdem ich bei diesem Spieler auch davon ausgehen kann, dass er sich mit 4x 3x schon vor dem Flop verabschiedet hätte, kann ich, wenn er callt, mit gewisser Wahrscheinlichkeit von einem Flush-Draw ausgehen. Andere Möglichkeiten darf ich natürlich keinesfalls ignorieren: Connectors, ein höheres Pocket-Pair oder ein slow gespieltes Set sind niemals auszuschließen. Trotzdem, fällt ein Karo am Turn, werde ich kaum weiter investieren.
Je trickreicher ich den Gegner jedoch einschätze desto mehr sollte ich ihm die Odds verschlechtern. Setze ich 100 Dollar und er callt, fehlen ihm 200 Dollar im Pot, dass sich das Verhältnis, im Falle eines Flush-Draws, rechnet. Fällt nun ein Karo am Turn, so würde ein weiterer Einsatz von 200 Dollar mit rund 70 Prozent der Pot-Höhe korrespondieren.In diesem Fall würde ich ihm zwar die für ihn notwendigen Implied Odds bezahlen, trotzdem wäre das Spiel aber für mich profitabel; und zwar aus dem Grund, weil ich auch mit einer gewissen Fold-Equity rechnen kann. Schließlich ist ein Flush-Draw in diesem Fall nicht der einzig mögliche Anlass zum Call.Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gegner zwei passende Karten für den Flush-Draw vor sich liegen hat, beträgt rund 5 Prozent. Somit können wir bei einem regelmäßigen Flop-Caller davon ausgehen, dass er das Flush genauso wenig sehen möchte, wie wir selbst. Insbesondere gegen diese Gruppe von Spielern zeigt die Erfahrung, dass ein Bet in der Mehrzahl der Fälle zum Passen führt, wenn sich die dritte Karte in der gleichen Farbe zeigt.
Sowohl die Zahl der beteiligten Spieler, die eigene Position als auch die möglichen Zusammensetzungen des Boards führen zu einer enorm großen Zahl verschiedener Konstellationen. In jeder einzelnen Situation treten somit unterschiedliche Voraussetzungen auf. Die beiden Grundprinzipien, die wir, die Implied Odds betreffend, aber immer berücksichtigen sollten, sind folgende:
· Rechnen sich für mich als Caller die Implied Odds wirklich?· Wie verhindere ich, dass ich den Gegner nach seiner Verbesserung bezahle, ohne zu oft mit dem besseren Blatt zu passen?
Ich glaube, der erstgenannte Punkt ist relativ leicht zu behandeln, sobald die Spielweise der Gegner auch nur halbwegs bekannt ist. Beim zweiten Punkt hilft am besten, zwischen geradlinigen und trickreichen Spielern zu unterscheiden.
Im Falle des geradlinigen Spielers kann ich immerhin, wie zuvor beschrieben,einfache Berechnungen anstellen. Was aber, wenn mein Protection-Bet vom Gegner geraist wird, ich mir bei diesem Spieler aber keinesfalls sicher sein kann, dass mein Top-Pair auch wirklich geschlagen ist? Fehlt es am entsprechenden Read, könnte ein Rereraise letztendlich doch sehr kostspielig werden.
Gegen derartige Gegner sollten wir uns allgemein zurückhalten. Gewiss, in manchen Fällen kann ein Rereraise helfen, sich für die Zukunft Respekt zu verschaffen, doch ist es gewiss nicht einfach, den richtigen Zeitpunkt dafür zu finden.Ein weiterer Weg, der allerdings entsprechende Geduld erfordert, ist das Warten auf das passende Blatt, was schon mit der Auswahl der Anfangskarten beginnt. Doch, darauf möchte ich jetzt keineswegs im Detail eingehen, handelt es sich dabei schließlich um ein neues Thema.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 17.01.2009.
Autor: Alex Lauzon.