Vorab ein Dankeschön an die Leser: Der Aufruf neulich im Editorial, mir Themen vorzuschlagen und Strat-Fragen zu stellen, hat zu einiger Resonanz geführt. Heute will ich auf die erste Leser-Anregung von Chosen One alias Michael Fleischmann eingehen – und ich möchte jeden ermutigen, weiterhin nachzufragen oder andere Themen anzuregen.
Was sind gute Spots für ein Squeeze Play, will Chosen One wissen. Die Frage werde ich heute zu beantworten versuchen – und noch drei weitere dazu: Wie verteidigen wir uns gegen Squeezes und, vielleicht am wichtigsten, was ist das überhaupt, ein Squeeze, und was bringt uns das?
Wie squeezen geht, lassen wir am besten Dan Harrington vorführen. Bekannt ist Harrington vor allem wegen seiner drei Turnierbücher „Harrington on Holdem“. Speziell Band I ist zwar mittlerweile etwas angejahrt und mit Vorsicht zu genießen, aber allemal immer noch lesenswert und eine prima Grundlagenlektüre. Harrington ist auch eine Art Vater des Squeeze Plays.
Zwar hat er den Move nicht erfunden, aber er hat ihn 2004 am Final Table des WSOP-Main-Events vor laufenden Kameras effektvoll ausgeführt. Seitdem wollen alle Leute ständig squeezen – auch in Spots, die dafür eher nicht geeignet sind. Schauen wir uns an, was Harrington seinerzeit gemacht hat, nachdem er am Button vor sich einen Opener und einen Coldcaller gesehen, seine Karten umgedreht und 62o gefunden hat („Those are rags, Dan!“):
Die berühmte Squeeze-Hand von Dan Harrington
Tja, da kann Greg Raymer noch so lange durch seine Fossilman-Brille in Richtung „Crazy Dan“ starren, am Ende bleibt ihm nichts anderes übrig als zu folden. Und damit hatte Dan Harrington sein Ziel erreicht, preflop einen Haufen totes Geld einzusammeln, denn darum geht es beim Squeezen: Wir registrieren, dass vor uns schon einige Spieler investiert und den Pot gefüllt haben, halten keinen der Beteiligten für übermäßig stark, und dann bedienen wir uns.
In der Harrington-Hand standen die Blinds bei 40.000/80.000 mit 10.000 Ante, 7 Spieler am Tisch. Nach Josh Ariehs Opener auf 225.000 und Greg Raymers Coldcall waren folglich 640.000 im Pot. Arieh verwaltete 2,9 Millionen Chips, Raymer 7,9 Millionen, und Harrington war short mit 2,4 Millionen. Noch keine bedrohliche Lage für den Altmeister, aber mit einem Stack von etwa 30BB und, so würde Harrington selbst den Spot beschreiben, mit einem M von knapp 13 war er bereits ein wenig in Chipnot. (Die von Harrington geprägte Variable „M“ steht für die Anzahl von Orbits, die dem Spieler bis zur Pleite blieben, ließe er sich von nun an herunterblinden.) Andererseits hat er aber noch genügend Chips, um Druck auf die größeren Stacks auszuüben, was ihm in Spots wie diesem Fold Equity sichert – noch. Und deswegen hat er die Chance beim Schopf gepackt.
Einige günstige Umstände dürften Harrington aufgefallen sein, bevor er sich zu seinem Move entschloss:
-Josh Arieh eröffnete UTG relativ loose, bei weitem nicht nur mit Premium-Händen, so dass ein Großteil seiner Opening-Range gegen eine 3bet nicht weiterspielen kann.-Josh Arieh ist ebenfalls recht short mit 2,9 Millionen Chips, so dass Harrington fast den kompletten Stack seines Kontrahenten bedrohte. Hätte Arieh mit 10 Millionen Chips dahinter eröffnet, wären Harringtons 62o wahrscheinlich in den Muck gegangen. Wäre er deutlich shorter gewesen und hätte zb mit seinem Opener 20% seines Stacks investiert, dann hätte Harrington ebenfalls nicht gesqueezt, weil Arieh mit solchen Stacks kaum einmal eröffnen würde, um dann noch zu folden.-Greg Raymer als Chipleader und Tablecaptain coldcallt den Opener von Arieh mit einer weiten Range-Harrington dürfte zuvor halbwegs tight gewesen sein, so dass sein Image passte.
Wenn wir im Cashgame squeezen, dann sind wie seinerzeit bei der WSOP diese Faktoren entscheidend: Wir brauchen, das ist am wichtigsten, a) jemanden, der loose eröffnet, wir brauchen b) effektive Stacks, die den Gegnern das Folden ermöglichen, und c) sollte unser Image intakt sein. Und doch gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen Harringtons WSOP-Squeeze und jenen, wie wir sie in der Regel ausführen – Harrington committet sich preflop, zumindest aus Sicht seiner Gegenspieler, indem er preflop die Hälfte seines Stacks investiert. Niemand investiert preflop die Hälfte seines Stacks, um dann noch zu folden – zu Recht.
Nehmen wir einmal an, Arieh hätte nach Harringtons 3bet per 4bet seinen Stack in die Mitte gestellt und Raymer gefoldet. In den Fall wären fast 4 Millionen Chips im Pot gewesen und noch 1,2 zu zahlen für Harrington. Bei Odds von 1,2:4 benötigt seine Hand gut 23% Equity gegen die 4bet-Range von Arieh. Geben wir Arieh mal eine supertighte 4bet-Range (AK, AKs, QQ+) und fragen Pokerstove, wie dagegen die Equity von 62o aussieht:
Hand X | equity | win | tie | pots won | pots tied | range |
Hand 0 | 77.214% | 76.98% | 00.24% | 537782760 | 1646532.00 | QQ+, AKs, AKo |
Hand 1 | 22.786% | 22.55% | 00.24% | 157544208 | 1646532.00 | 62o |
Huch, das ist aber knapp, 22,8%. Unter sehr speziellen Umständen hätte Harrington also trotz 1,2:4 (oder 1:3,3) tatsächlich noch folden können, aber davon konnten weder Arieh noch Raymer ausgehen. Eine nicht nur diesen beiden Cracks bekannte Faustregel beim No-Limit Holdem lautet, dass preflop 1:2 Odds meistens zum Callen verpflichten, weil kaum einmal eine Hand gegen eine Range so schlecht dasteht, dass sie nicht wenigstens gut 30% Equity hat.
Ich schweife ab? Stimmt.
In Cashgames oder früh im Turnier ergeben sich immer mal wieder ähnliche Spots: Ein looser Spieler eröffnet, einer oder mehrere loose Spieler coldcallen, und dann sind wir an der Reihe, und es steht die Frage im Raum, ob ein Squeeze gut ist. Der Unterschied sollten jeweils die effektiven Stacks sein, denn wer ernsthaft postflop Poker spielen will, der sitzt mit 100BB oder mehr am Tisch. Und wenn wir von 100BB effektiven Stacks ausgehen, dann spielt die Postflop-Perspektive eine wichtige Rolle bei der Frage, mit welchen Kombos wir squeezen sollen oder nicht.
Setzen wir uns in ein 5/10 mit 100BB effektiven Stacks. Ein loose-kompetenter CO eröffnet auf 30, der Button callt, der SB callt ebenfalls, wir im BB-mit 87s. Haben wir uns in den Orbits zuvor ruhig verhalten, dann mag ein Squeeze, eine 3bet auf z.B. 140 mit any two cards unmittelbar Profit zeigen, natürlich auch mit 87s. Aber diese Kombo hat so viel Postflop-Potenzial und ist so prima multiwaytauglich, dass ich in diesem Szenario fast immer callen würde. Call gewinnt natürlich den Pot nicht so oft wie eine 3bet, aber voraussichtlich gewinnen wir per Call gelegentlich einen sehr großen Pot, so dass unterm Strich selbst mit tightem Image Coldcall die bessere Lösung sein dürfte.
-Mit AJs. Hier riskieren wir per Squeeze, uns gegen bessere Kombos zu isolieren, also alle schlechteren Ax und Jx-Kombos des Cutoffs zum Folden zu bringen, wohingegen alle besseren tendenziell weiterspielen, so dass mit tightem Image ein Squeeze auch hier profitabel sein mag, ein Coldcall aber die bessere Variante. Anders sähe es aus, wenn unser Image wild ist und wir bekannt sind als jemand, der kaum einmal einen Spot zum Squeezen auslässt und schon gar nicht diesen, der mit einem loosen CO-Opener und zwei Coldcallern offensichtlich ideal ist. Müsste der Cutoff davon ausgehen, dass wir in einem solchen Spot allermeistens einen Squeeze ansetzen, dann würde er entsprechend leicht zurückspielen, so dass wir uns eben nicht mehr gegen bessere Hände isolieren, sondern recht bequem um Stacks spielen könnten. Je looser unser Image ist, desto leichter können wir in einem solchen Spot für Value und um Stacks squeezen.
-Mit K4o bräuchten wir nicht lange nachzudenken, einfache 3bet für uns. Coldcall ist mit so einer Hand bedenklich, wir bekommen preflop zwar einen sensationellen Preis von 1:5, haben aber eine Hand, mit der nicht viel zu gewinnen ist, mit der wir aber gegen uns dominierende Ks immer mal eine Menge verlieren werden („reverse implied odds“). Ebenso wie bei normalen 3bets die Faustregel hilft, die 3bet anzusetzen mit Händen, die für einen Coldcall gerade nicht gut genug sind, so hilft sie beim Squeezen auch. Sind mit unserer Hand postflop Probleme zu erwarten, und unser Image ist in Ordnung, dann versuchen wir halt, die Sache preflop zu entscheiden. So lange die anderen folden, macht es ja keinen Unterschied, ob wir AA oder A2o (oder 62o) halten.
-Mit K9o oder QJo hätten wir einen Spot, über den die Gelehrten streiten. Beides ist möglich, abhängig davon, wie wir gesehen werden, und wie sich die Gegenspieler in dem einen oder anderen Szenario wahrscheinlich verhalten werden.
Squeeze-Spots sind sehr individuell, weil sich verschiedene Villains gerade dabei sehr unterschiedlich verhalten. Der eine squeezt wie wild, der andere eher nicht. Gegen die wilden Squeezer müssen wir entsprechend wild zurückspielen und, wie oben skizziert, entsprechend leicht unseren Stack reinstellen (sie tun es auch). Gegen tighte Squeezer ist eher Vorsicht angezeigt. In diesen Spots drohen grobe Fehler, wenn wir, sei es als Squeezer oder als Opener, der mit einem Squeeze konfrontiert ist, die gegnerische Range falsch einschätzen. Mit AQo den Stack reinzustellen gegen jemanden, der nur mit JJ+, AK squeezt, ist teuer. Mit AQo nicht den Stack reinzustellen gegen jemanden, der 20% oder mehr squeezt, ist ebenfalls teuer.
Apropos Stack reinstellen. Das ist aus Sicht des Spielers, der mit 100BB eröffnet und dann mit einem (in der Regel etwa) 15BB-Squeeze konfrontiert ist, schwierig zu handeln, weil einerseits ein Call des Squeezes problematisch ist mit den Villains dahinter und dem bereits erheblich gewachsenen Pot, aber andererseits kaum Raum bleibt für 4bet-Bluffs. Das hängt zusammen mit der beim Squeezen ungewöhnlichen Höhe der 3bet, mit der wir konfrontiert sind. Eine 4bet wäre meistens auf 30 oder mehr Big Blinds, so dass wir damit brereits 30 oder mehr Prozent unseres Stacks investiert haben. Und eine 4bet auf mehr als 30% des Stacks und dann noch ein Fold ist rechnerisch oft ein Fehler, abhängig von der gegnerischen 5bet-Range.
Weil es oftmals kaum eine geeignet 4bet-Größe gibt (von der der Squeezer annehmen kann, dass es ein Bluff sein könnte) bietet es sich vielfach an, bei 100BB eff. Stacks gegen Squeezes von wilden Spielern direkt den Stack reinzustellen, sowohl mit Valuehänden wie AK als auch mit den Bluff-Händen, allerdings in diesem Fall mit solchen Bluff-Händen, die brauchbare Equity haben gegen die Callingrange des Villains, suited Asse etwa bieten sich dafür an.
Nicht nur für den Opener sind Squeezes schwierig zu behandeln, auch für den Coldcaller sind sie vielfach problematisch. Eröffnet ein looser Cutoff, wir sitzen am Button und haben wilde Spieler in den Blinds hinter uns, dann ist es in diesem Spot schwierig für uns, profitabel zu coldcallen, weil so oft ein Squeeze aus den Blinds zu erwarten ist. Deswegen müssen wir in solchen Spots unserer Coldcall-Range einen Value-Part hinzufügen, der unsere gesamte Coldcall-Range beschützt und gegen Squeezes aus den Blinds gerne um Stacks spielen will. Zum einen können wir preflop Hände wie AK/AQ oder auch 88/99 langsam spielen, indem wir sie coldcallen. Wenn dann ein Blind 3bettet und der CO foldet, dann stellen wir unseren Stack rein. Eine andere Herangehensweise ist, mit wilden Blinds in diesen Spots am Button weniger zu coldcallen und die 3bet-Frequenz heraufzufahren – was allerdings bald zu vermehrten 4bets aus den Blinds führen wird, woran dann wieder wir uns anpassen müssen.