Jeder normale No-Limit-Spieler will Geld gewinnen. Doch nur ein bescheidener Teil der Spieler gewinnt tatsächlich über Monate und Jahre. Welche Faktoren sind ausschlaggebend, wer gewinnt und wer nicht? Man könnte Tausende kleiner Unterschiede zwischen Gewinnern und Verlierern aufzählen. Ich neige jedoch dazu, bildhafter vorzugehen, und werde in diesem Artikel fünf allgemeine Merkmale darlegen, die Gewinner meist vorweisen können, während sie Verlierern häufig abgehen.
Erfahrung
Erfahrung ist die naheliegendste Eigenschaft, die definitiv viel ausmacht. Ich würde auf einen krassen Anfänger bei No-Limit keinen Pfifferling geben, auch wenn er sieben Stanford-Abschlüsse und den Nobelpreis in Wirtschaftwissenschaften hat. Bei No-Limit hängt sehr viel von Dingen ab, die man nur lernen kann, wenn man Tausende von Händen spielt.Aber reine Erfahrung reicht auch nicht aus. Viele Spieler, die schon zehn oder mehr Jahre pokern, sind keine Gewinner. Und viele aktuelle Gewinner spielten erst ein Jahr oder noch weniger, bis sie Plus erzielten. Erfahrung muss mit dem nächsten Merkmal einhergehen, um nützlich zu sein.
Selbsteinschätzung
Eine der vielen Ironien bei Pokerspielern besteht darin, dass die schlechten selbstsicherer sind als die guten. Unzählige Male habe ich erlebt, wie ein Spieler einen anderen schulmeistert. „Wie konntest du so dumm sein? Statt X hättest du Y machen sollen. Das weiß jeder.“ Ungeachtet der Unverschämtheit zeigt die Interpretation des Oberlehrers am Tisch mit wenigen Ausnahmen dessen sehr bescheidenes Spielverständnis.
Gewinner sind selbstkritisch. Im Gegensatz zum Oberlehrer nehmen sie nicht zwangsläufig an, dass ihre Spielweise die beste ist. Nach einer Session rufen sie sich zentrale Hände nochmals ins Gedächtnis und analysieren sie. Sie überprüfen jede Entscheidung und überlegen, ob sie mit einer anderen Spielweise ein durchschnittlich besseres Ergebnis erzielen können.
Erfahrung ist ohne Selbsteinschätzung nahezu wertlos. Man kann eine Million Hände spielen, verbessert sich aber nicht, wenn man wie ein Roboter vorgeht und nie über seine Entscheidungen nachdenkt. Je mehr man sein Gehirn während und nach einer Session anstrengt, desto besser wird man. Dabei muss man sich allerdings auf die wichtigen Dinge konzentrieren, was uns zum dritten Merkmal führt.
Konzentration auf das Wesentliche
Bisher habe ich nichts sonderlich Revolutionäres gesagt. Doch nun ein Punkt, an dem viele Spieler, wenn nicht die meisten, auf Irrwege geraten. Sie spielen viele Hände. Sie denken auch darüber nach – am Tisch und danach. Doch sie grübeln über die falschen Hände und sind auf die falschen Konzepte fixiert. Gute Spieler konzentrieren sich auf das Wesentliche und das in einer Weise, mit der sie die Zeit optimal nutzen. Was aber bedeutet es, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren?
Das Gegenteil ist einfacher zu erklären. Ich bekomme viele Emails von Lesern, die nach meiner Meinung zu einer bestimmten Hand fragen. Weit mehr als die Hälfte der Fragen folgt demselben Strickmuster. Der Leser hat eine sehr starke Hand. Er geht All-In und verliert. Hätte er anders spielen sollen?
In neun von zehn Fällen lautet die Antwort, “Nein, Du hattest eine starke Hand und schobst dein Geld in die Mitte. Du hast richtig gespielt.“ Poker beinhaltet Risiken und man kann immer sein Geld verlieren, wenn man es in die Mitte schiebt. Diese Hände stechen hervor, weil Menschen sehr emotional sind. Große Verluste sind ärgerlich und viele Spieler konzentrieren sich instinktiv darauf, nach Wegen zu suchen, mit denen sie diese negativen Erlebnisse in Zukunft vermeiden können.
Wollen Sie aber ein besserer Pokerspieler werden, sollten Sie sich nicht auf die emotional aufreibendsten Hände konzentrieren. Aufs und Abs gehören zum Spiel und der vergebliche Versuch, diese zu vermeiden, macht Sie nicht zum Gewinner.
Sich auf das Wesentliche konzentrieren heißt, Situationen zu entdecken, die häufiger vorkommen und in denen Sie besser spielen können. Suchen Sie nach Situationen, in denen Sie Pots aufgeben, obwohl ein Bluff aussichtsreich wäre. Suchen Sie nach Situationen, in denen Sie auf dem Flop callen, ohne einen Plan für die restliche Hand zu haben. Suchen Sie nach Situationen, in denen Sie zu geradlinig und durchsichtig spielen. Die interessanten Dinge entdecken Sie meist in den kleinen und mittleren Pots.Konzentrieren Sie sich einfach auf die offensichtlichen Hände, verpufft ein Großteil Ihrer Anstrengungen. Konzentration auf das Wesentliche bedeutet, die scheinbar banalen Pots zu überprüfen. Selbst gute Spieler können aber nicht den emotionalen Aspekt vernachlässigen, womit wir zum vierten Merkmal kommen.
Wahrnehmung der eigenen Gefühle
Praktisch jeder Pokerspieler reagiert emotional auf wichtige Ereignisse wie den Gewinn oder Verlust eines großen Pots oder den Verlust mehrerer Hände in Folge usw. Die Kunst des guten Spielers besteht darin, diese natürlichen emotionalen Reaktionen nicht aufzustauen. Stattdessen nimmt er sie wahr und reagiert darauf positiv.
Spieler, die ihre Gefühle nicht wahrnehmen, werden frustiert und reagieren, indem sie looser und verrückter als sonst spielen. Dieser Zustand wird mit dem bekannten Begriff „Tilt“ beschrieben. Viele Spieler versuchen diesen aktiv zu vermeiden, indem sie sich dagegen wehren, loose und verrückt zu spielen, wenn sie frustriert sind. Doch diese Reaktion hat ebenfalls Nachteile. Häufig spielen diese Akteure dann so, als hätten sie den Pot schon verloren, bevor er überhaupt begonnen hat. Sie raisen nicht mehr mit Assen. Sie setzen nicht mehr mit guten Händen auf dem Flop. Sie folden zu oft unter Druck.
In einem stark emotionalen Zustand fällt es immer schwer, gut zu spielen. Anstatt die Emotionen zu bekämpfen oder zu vertuschen, hören Spieler, die auf ihre Gefühle achten, auf und spielen erst wieder, wenn sie sich erholt und optimistisch fühlen.Nach einem besonders schlechten Lauf kann es jedoch passieren, dass man für eine längere Zeit nicht mehr an Poker denken und schon gar nicht spielen will. Wie lange, wird vom fünften Merkmal beeinflusst.
Leidenschaft
Sehr gute Spieler empfinden diese Leidenschaft. Sie leben, essen und atmen Poker. Sie wollen dauernd über Hände reden. Sitzen sie allein zu Hause, lesen sie Bücher und schauen sich Videos an. Sie arbeiten mit PokerStove. Sie stöbern in Foren. Sie bekommen nie genug. Am schönsten ist es für sie, an ihrem Spiel zu arbeiten. Man kann ohne unerschütterliche Leidenschaft ein Gewinner werden, aber wenn man Millionen einfahren will, braucht man diese auf jeden Fall.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 19.08.2010.