Ein aggressiver Stil bringt Sie beim Hold’em auf dem Turn oft in eine schwierige Situation. Sollen Sie weiterbluffen wenn der Gegner Ihren Bluff auf dem Flop schon gecallt hat? Sollen Sie die Second Bullet, die berüchtigte zweite Patrone, feuern? Oder nur checken? Oder den Bluff für den River aufsparen, wenn der andere auch checkt? Eine wichtige Entscheidung.
Das Problem ist, dass es hier schon extrem teuer wird. Sie wollen immerhin einen Gegner aus einem fetten Pot vertreiben, der schon etwas investiert hat. Das geht leider nur mit einem relativ großen Einsatz. Hier die Second Bullet, manche sagen auch Second Barrel, zu feuern, erfordert Mut. Viel Mut. Vor allem, weil ein Call des Gegners auf dem Flop in der Regel keine schwache Hand indiziert. Wenn Sie auf den Turn gecallt oder geraist werden, haben Sie ein Problem. Und dann kommt ja auch noch der River.
Nehmen wir an, Sie haben in einem Full-Ring-Game mit 5/ 10 Euro Blinds mit A 8 auf dem Button auf die dreifache Big Blind erhöht. Der Small-Blind geht mit. Der Flop kommt 9 5 10 . Der Small-Blind checkt. Sie machen eine Conti-Bet und setzen 45 Euro. Der Gegner callt – Mist. Der Turn bringt eine Q . Der Gegner checkt zu Ihnen hin.
Jetzt sind Sie in der Bredouille. Weiterfeuern oder checken? Lange dürfen Sie hier nicht zögern, denn sonst haben Sie in den meisten Fällen Ihre „Hand aus der Hand gegeben“. Im Pot sind jetzt schon 165 Euro. Um den Gegner rauszudrängen, müssen Sie in der Regel schon Half-Pot-Size setzen, also mindestens 80 Euro. Wenn Sie checken, gibt es den River. Aber was kommt dann?
Die größte Bedeutung bei der Entscheidungsfindung hat neben dem Board und speziellen Reads das Betting-Pattern Ihres Gegners. Neigt er dazu, mit schwachen Händen auf dem Flop zu callen? Dann sollten Sie auf dem Turn feuern, denn der Flop ist hier „dünn“ und bietet kaum Möglichkeiten. Die Dame auf dem Turn ist eine Scare-Card und prinzipiell geeignet, den Gegner zu bluffen. Und jetzt könnte es ihm zu teuer werden, während er auf dem Flop gerade noch bezahlt hat.
Ist er ein Typ, der in späteren Wettrunden nur mit wirklich guten Blättern weiterspielt? Wenn ja, können Sie ihn durch die Second Bullet dazu bringen, einen schlechten Lay-Down zu machen. Er könnte Ihre Flop-Bet noch korrekterweise für einen typischen Conti-Bet-Bluff aus der besseren Position heraus gehalten haben. Auf dem Turn schwankt er zu: „Er scheint ja doch was zu haben, ich geh mal besser raus.“ Passen Sie aber auf, dass Sie es nicht mit einer Calling-Station zu tun haben, die auch mit Händen wie Bottom-Pair zum Mitgehen neigt.
Ihr eigenes Image ist natürlich auch nicht ganz unwichtig. Wenn der Gegner weiß, dass Sie gerne Conti-Bets machen, sollten Sie sich in Acht nehmen. Der Flop schreit ja geradezu nach einer solchen Wette. Wenn Sie ständig den Finger am Abzug haben, werden die anderen das schnell mitbekommen. Sie werden dann auch Ihre Second Barrels oft mit Bluff-Catcher Händen wie Middle- oder Bottom-Pair callen – sehr schlecht.
Letztlich gibt es hier leider – wie so oft im Poker – kein Patentrezept. Die Sache mit der zweiten Barrel hat viel mit Erfahrung und einem guten Gespür für die Situation zu tun. Wir sind nicht mehr in der Wettrunde vor dem Flop, wo relativ starre Strategieregeln gelten. Je tiefer wir in der Hand sind, desto komplexer wird es. Es gibt viele Informationen und es geht darum, den anderen auszumanövrieren. Vielleicht slowplayed Sie der Gegner mit einem Set? Oder er spielt einfach schlecht, weil er auf Tilt ist. Das müssen Sie „fühlen“. Wichtig sind vor allem die Textur des Flops und die Turn-Card. Hat sie den Gegner getroffen? Denkt der Gegner, dass sie Sie getroffen hat? Hier geht es oft zu wie in einem Spionageroman von Len Deighton. Manche sagen dazu auch Multiple-Level-Thinking.
Willkommen in der typischen Post-Flop-Misere. Wichtig ist, dass Sie sich der Problematik bewusst sind. Wenn Ihnen zwei oder mehr solcher Bluffs in die Hose gehen, sehen Sie chiptechnisch meist alt aus. Gelingen sie, können Sie mit Recht stolz auf sich sein.
Sie befinden sich mit der Second Bullet immer auf dünnem Eis. Die Frage ist nur, wie dünn es tatsächlich ist.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 14.10.2008.