„Wer Andern eine Grube gräbt,...“. Unseren Gegnern am Pokertisch graben wir solche regelmäßig. Manche weigern sich, den verhängnisvollen Schritt zu tun, passen einfach und lassen uns mit unserem Monster alleine. Andere, hingegen, übersehen die Zeichen der Gefahr, bewegen sich vorwärts in Richtung Abgrund – und siehe da, wer landet letztendlich im „tiefen Schlund“?
Ich hatte meinen Rückzug bereits angekündigt gehabt; noch ein Orbit, maximal zwei, plante ich, am Tisch zu verbringen. Als mir der Turn meine Neun paarte und gleichzeitig einen Flush-Draw brachte, wollte mich dieser Short-Stack doch wirklich aus dem Pot bluffen. Nix da, dass der nicht mehr als zwei Over-Cards vor sich hatte, war mir völlig klar. Nebenbei konnte ich diesen Kerl, der die Atmosphäre am Tisch durch seinen französischen Gossenakzent regelmäßig lautstark verpestete, grundsätzlich nicht leiden. Und Recht hatte ich. Natürlich. Ich hatte mit meiner Neun das Top-Pair und er konnte bloß darauf hoffen, dass ihm der River ein Ass oder eine Queen bescheren würde – und nicht in Kreuz.
Es war die Queen in Karo, die ihm den Pot einbrachte.
Mein bescheidener Gewinn war dahin. Gut, so beschloss ich, jetzt schau ich mir noch die Karten bis zum Big Blind an. Dann weg von hier. Ich brauchte ohnehin schon lange eine Zigarette.
AK-offsuite lag vor mir, am Cutoff sitzend. Der Spieler rechts von mir brachte ein Raise auf 30 Dollar. Ich callte. Cold Call. Warum ich nicht gleich raiste? Manchmal raise ich mit AK, manchmal limpe ich und warte ab, ob es sich verbessert.
Die beiden Nächsten passten und dann folgte Big-Blind, der mit seinen verbleibenden 150 Dollar all-in ging. Und siehe da, von meinem Nebenmann erfolgte plötzlich ein Re-raise auf 400!
1.800 Dollar lagen noch vor ihm. Ich hatte mehr als 2.500. Warum raiste er so hoch? Offensichtlich wollte er den Small Stack alleine vernaschen. Die Situation deutete auf ein Pocket-Pair. Mit Ass und König in meiner Hand reduzierte sich die Wahrscheinlichkeit von Ax Ax oder Kx Kx entsprechend. Außerdem, warum hätte er mich damit vertreiben wollen? Ich schätzte ihn am ehesten auf ein Paar zwischen Neunen und Queens ein.
Würde er damit passen, falls ich in all-in raiste? Sollte ich überhaupt das Risiko eingehen, meinen ganzen Stack, so kurz vor meinem geplanten Abschied, noch aufs Spiel zu setzen? Wie wäre es mit einem Cold Call, Verbesserung abwartend? Oder doch passen?
Sechs Stunden hatte ich gespielt gehabt. Wie erzählt, so hatte ich meinen mickrigen Gewinn gegen den bluffenden Franko-Kanadier eingebüßt. Jetzt bot sich immerhin eine Möglichkeit, den Tag doch noch positiv abzuschließen. No Guts, no Glory. Call. Mein Gegner schien nicht sonderlich erfreut.
K K 6
Sollte ich daran zweifeln, über das beste Blatt zu verfügen? Auf 6x 6x hätte er kaum 400 Dollar investiert, gar nicht zu reden von Kx 6x . Nachdem ich mir ziemlich sicher war, dass er ein Pocket-Pair vor sich hatte, konnte ich den Flush-Draw praktisch auch ausschließen. Als er checkte, ging es mir somit keinesfalls darum, mein Blatt zu verteidigen, sondern, ihn in eine Falle zu locken. Und so begann ich langsam und vorsichtig, an der Grube zu graben. Nach seinem Check brachte ich einen lächerlichen Einsatz von 150 Dollar. Er callte.
Es folgte die 7 und wieder checkte er.
Nun hob ich mehr Erdreich aus der symbolischen Grube. Nach den 150 Dollar und dem Cold Call, musste jeder höhere Einsatz nun gewaltig nach einem Bluff stinken. Also, 1.000 Dollar wanderten in diesen Pot und mein Gegner antwortete mit einem All-in.
War er mir in die Falle gegangen oder beruhte sein Preflop-Angriff auf weniger als 9x 9x , und ich meine damit 7x 7x Wie auch immer, raus konnte ich aus diesem Pot nicht mehr. Der Gedanke an 7x 7x hielt mich bestenfalls zwei Sekunden auf, bevor ich ihn callte.
Und was hatten meine beiden Gegner vorzuzeigen?
Ass und Sieben lag vor dem Small Stack, der sich nach dem Fall des Turns vermutlich gewissen Hoffnungen hingegeben hatte. Und während mein Nachbar rechts seine beiden Queens offenbarte, entsprang ein kurzes „Oh, Shit!“ seinem Mund.
Ich war völlig zufrieden mit mir. Blieben meine Stunden doch nicht ohne Honorar. War meine Falle, zuerst ein lächerlicher Einsatz am Flop und dann der verdächtige Angriff am Turn, doch gut genug eingefädelt, um die Gier meines Opponenten zu wecken. Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und genoss den Anblick, nicht nur des Boards und meiner Hole-Cards, sondern auch den der ausdrucksvollen Gesichter am Tisch.
Der elektronische Dealer im Montrealer Casino lässt in solchen Situation ein paar Sekunden verstreichen, um den Spielern auch genügend Zeit zu geben, die Spannung so richtig zu genießen, Gedanken aufkommen zu lassen, was da vielleicht doch noch schief gehen könnte. Immerhin befanden sich noch zwei Damen im Restpaket. Wirklich groß war die Gefahr nicht, kaum 5 Prozent, doch man weiß ja nie – oder so ähnlich ging es mir durch den Kopf.
Und dann lag sie da, die Queen.
Ich dachte an Michas Meisterwerk, genannt „Badbeatgebeutelt“, das er seit Kurzem den Lesern unserer Pokerakademie als Lektüre anbietet (nachdem ein bestimmtes Magazin, in dem es einst als Fortsetzungsgeschichte erschienen war, es kategorisch unterlässt, ihren Autoren Honorare zu bezahlen). Ich dachte an Mike Caro, der von seiner Idee erzählt hatte, eine gebührenpflichtige Hotline einzurichten, auf dass jeder geschlagene Pokerspieler sich den Schmerz von der Seele reden kann. So lange er will – für zwei Dollar oder so pro Minute.
Schreibe ich mir jetzt meinen Ärger auch nur von der Pokerseele? Ganz ausschließen kann ich es nicht. Allerdings, je länger ich darüber nachdenke, desto zufriedener bin ich mit meiner Strategie. Schwäche zeigen am Flop, Angriff am Turn – und all das mit fast unschlagbarem Blatt. Hätte ich vor diesem höchst willkommenen Flop all-in geraist, hätte ich einen Coin-Flip provoziert, gepasst hätte er mit Pocker-Queens wahrscheinlich nicht, und dieser Coin-Flip wäre schiefgegangen. Keine besondere Leistung.
Mir ist es aber gelungen, ihn zum All-in zu bewegen, als er 20-zu-1-Außenseiter war. Ein langfristig profitabler Move und, zumindest statistisch gesehen, darf ich mich als Sieger der Konfrontation betrachten. Trotzdem hoffe ich, dass mir derartige Siege für die nächste Zeit erspart bleiben werden.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 10.11.2008.