Lange Zeit wurde auf die Entscheidungen des EuGH in den deutschen Vorlageverfahren der verbundenen Rechtssachen C-316/07, C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07 gewartet.
Nachdem die Schlussanträge des Generalanwaltes Mengozzi aus Sicht der privaten Glücksspielanbieter eher negativ und auch die jüngsten Entscheidungen des EuGH in Bezug auf die Glücksspielregelungen anderer Mitgliedstaaten eher „monopollastig“ ausgefallen waren, sah man für den gestrigen 08.09.2010 allgemein eher schwarz. Die staatlichen Monopolisten feierten bereits die Schlussanträge euphorisch, der „Showdown“ am gestrigen Tage konnte nur den klaren Sieg des staatlichen Glücksspielmonopols bedeuten, die privaten Glücksspielanbieter galten im „Heads Up“ vor dem EuGH als chancenlos.
Doch der EuGH überrascht alle und „kippt“ in weiten Teilen die deutschen Monopolvorschriften wegen des Verdachts der Inkohärenz. Nun feiern die Außenseiter, der Staat gibt sich verhalten. Aber was genau hat der EuGH geurteilt?
Liest man in diesem Zusammenhang die kurze Stellungnahme von Erwin Horak, seines Zeichens Präsident der Staatlichen Lotterieverwaltung Bayern und Federführer des Deutschen Lotto- und Totoblocks (DLTB), so könnte man meinen, es wäre nicht viel passiert. „Der Europäische Gerichtshof hat klargestellt, dass die EU-Mitgliedsstaaten entscheiden können, ob sie ein Kommerzmodell oder ein am Gemeinwohl orientiertes Staatsvertragsmodell wollen“, wird Horak in einer Pressemitteilung des DTLB zitiert.
Sicherlich, die abstrakte Möglichkeit der Monopolisierung zum Schutze überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter ist durch den EuGH nicht angetastet worden. Doch – dies lässt Herr Horak unerwähnt – hat der EuGH auch zu verstehen gegeben, dass das in Deutschland etablierte staatliche Glückspielmonopol aktuell nicht den hohen Anforderungen an ein solches Monopol genügen könnte. Der EuGH stellt in seinen Urteilen klar, dass die deutschen Verwaltungsgerichte zu Recht angenommen haben, dass die deutsche Glückspielregulierung nicht mit Unionsrecht vereinbar ist.
Dreh- und Angelpunkt der Kritik ist das von vielen Instanzgerichten in den vergangenen zwei Jahren so oft unbeachtet gelassene Kohärenzkriterium. Hiernach kann ein staatliches Glücksspielmonopol nur dann begründet werden, wenn alle rechtlichen Regelungen und tatsächlichen Ausgestaltungen eines Mitgliedsstaates zum gesamten Glücksspielmarkt und nicht nur die dem Sportwetten- und Lotteriemonopol zugrunde liegenden Vorschriften zum Gegenstand der Prüfung einer systematischen und kohärenten Spielbegrenzung gemacht werden. Hieran hatte beispielsweise das Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart Zweifel geäußert, da
- die Bedingungen für den gewerblichen Betrieb von Automatenspielen, für die erwiesen sei, dass sie unter den Glücksspielen das größte Suchtgefährdungspotenzial aufwiesen, durch Änderung der Verordnung über Spielgeräte und andere Spiele mit Gewinnmöglichkeit (BGBl. 2006 I S. 280) erleichtert worden sind (z.B. durch Erhöhung der Zahl zulässiger Geräte in Gaststätten von zwei auf drei, Verringerung der Mindestfläche pro Gerät in Spielhallen, Erhöhung der maximalen Gerätezahl in Spielhallen von 10 auf 12, Heraufsetzung der Verlustgrenze von 60 Euro auf 80 Euro);
- ein Widerspruch zwischen den Zielen, mit denen das staatliche Sportwettenmonopol gerechtfertigt werde, und der expansiven Politik der deutschen Behörden im Bereich der Kasinospiele bestehe, obwohl deren Spielsuchtgefährdungspotential ebenfalls höher sei als das der Sportwetten. Die Zahl der erlaubten Kasinos sei nämlich zwischen 2000 und 2006 von 66 auf 81 gestiegen.
- Wetten auf öffentliche Pferderennen oder andere Leistungsprüfungen für Pferde aus dem Geltungsbereich des GlüStV ausgenommen und Privatunternehmen zulassen sind.
Der EuGH teilt diese Ansicht in erfreulicher Deutlichkeit. Nach Ansicht der Gerichtshofs ist eine Monopolisierung der Sportwetten- und Lotteriemarktes dann europarechtswidrig, wenn – wie aktuell in der Bundesrepublik zu verzeichnen
- andere Arten von Glücksspielen von privaten Veranstaltern, die über eine Erlaubnis verfügen, betrieben werden dürfen
und
- die zuständigen Behörden in Bezug auf solche Glücksspiele eine zur Entwicklung und Stimulation der Spieltätigkeiten geeignete Politik der Angebotserweiterung betreiben, um insbesondere die aus diesen Tätigkeiten fließenden Einnahmen zu maximieren.
Die weitere Rechtfertigung des GlüStV steht damit auf wackligen Beinen. Sicherlich, der EuGH hat den GlüStV nicht außer Kraft gesetzt, dies ist und bleibe Aufgabe der nationalen Gerichte, er hat jedoch die Richtung vorgegeben. In den Urteilsgründen der Rechtssache C-409/06 (Winner Wetten GmbH) heißt es:
„Aufgrund des Vorrangs des unmittelbar geltenden Unionsrechts darf eine nationale Regelung über ein staatliches Sportwettenmonopol, die nach den Feststellungen eines nationalen Gerichts Beschränkungen mit sich bringt, die mit der Niederlassungsfreiheit und dem freien Dienstleistungsverkehr unvereinbar sind, weil sie nicht dazu beitragen, die Wetttätigkeiten in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen, nicht für eine Übergangszeit weiter angewandt werden.“
Insbesondere die restriktiven Zulassungsvoraussetzungen und Werbebeschränkungen (§ 5 GlüStV) des GlüStV dürften damit in den kommenden Monaten kaum weiter verfolgt werden können, dies gilt wohl auch in Bezug auf das Verbot der Werbung im Internet. Nicht so deutlich ist die Rechtslage in Bezug auf das Vermitteln und Veranstalten von Glücksspielen im Internet. Hier stellt der EuGH klar, dass „eine nationale Regelung, die das Veranstalten und das Vermitteln von Glücksspielen im Internet untersagt, um übermäßige Ausgaben für das Spielen zu verhindern, die Spielsucht zu bekämpfen und die Jugend zu schützen, grundsätzlich als zur Verfolgung solcher legitimer Ziele geeignet angesehen werden kann, auch wenn das Anbieten solcher Spiele über herkömmlichere Kanäle zulässig bleibt“ (C-46/08, Rz. 111).
Das Vertriebsverbot über das Internet ist damit grundsätzlich weiterhin anwendbar. Dies bedeutet, vor allem aus Sicht der privaten Pokerveranstalter (und Spieler) eine andauernde Rechtsunsicherheit. Hoffnung bringt da der Vorstoß von Lotto Hessen in Sachen ePost-Brief. Über diesen ist die „Teilnahme“ an den Lotterieveranstaltungen Lotto Hessens auf (verbotenem) elektronischem Wege sogar bundesweit (!) jedem angemeldeten ePost-Brief-Nutzer möglich. Auch hier ist eine kohärente Glücksspielpolitik daher nicht zu erkennen; auch das Internetverbot wackelt damit.
Es bleibt abzuwarten, wie der Staat nunmehr auf die Vorgaben aus Europa reagiert. Eine schnelle Abstimmung zwischen den Länderbehörden – wie sie in Rahmen des Erlasses des GlüStV vollzogen wurde – ist kaum zu erwarten, nachdem der EuGH klargestellt hat, dass „die Behörden des betreffenden Bundeslandes und die Bundesbehörden gleichwohl gemeinsam die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland erfüllen“ müssen, nicht gegen Art. 49 EG zu verstoßen. Soweit die Beachtung dieser Bestimmung es erfordert, müssen diese verschiedenen Behörden dabei folglich die Ausübung ihrer jeweiligen Zuständigkeiten koordinieren. Diese Koordination zwischen Bund und Ländern ist bekanntermaßen schwierig.
Angesichts der durch den EuGH hervorgehobenen Ungereimtheiten mit Blick auf die dem Bund unterstellten Automatenspiele und Pferdewetten wird eine neuerliche Monopolregelung des sonstigen Glücksspielmarktes jedoch nur über eine koordinierte Abstimmung möglich sein. Wie schnell sich die unterschiedlichen Interessen miteinander vereinbaren lassen, ist ungewiss. Gewiss ist jedoch, dass der Staat kaum eine völlige Freigabe des Glücksspielmarktes etablieren, sondern seine Monopolbestrebungen – wenn auch modifiziert – weiter verfolgen wird. Hoffen wir, dass er dabei diesmal ein glücklicheres Händchen zeigt.
Dr. Robert Kazemi
Kazemi & Lennartz Rechtsanwälte PartG, Dr. Robert Kazemi (Rechtsanwalt/Partner), Rheinallee 27, 53173 Bonn, [email protected], Tel: +49 (0)228 – 3500 89-0, www.medi-ip.de
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 09.09.2010.