Wir saßen im „Plaza 138“, dem größten Pokerclub bei den Indianern von Kahnawake und spielten ein kleines Turnier. Buy-in $ 200 + 25; 29 Teilnehmer, also drei Tische. Zusätzlich zahlte jeder Spieler weitere $ 25 und kriegte dafür ein „All-in-Chip“. Was soll das bedeuten?
Dabei handelt es sich um eine eher seltene, aber nicht unangenehme Gepflogenheit. Wenn immer ein Spieler mit allen seinen Chips all-in ist, legt er diesen speziellen Chip oben drauf. Verliert er, gehören die dafür bezahlten $ 25 dem Gewinner dieses Pots. Sozusagen, eine Bounty auf jeden Gegner. Gelingt es nun jemandem, mehrere Spieler zu eliminieren, sammelt er einige „All-in-Chips“, die er am Ende bei der Kassa gegen Bares einlösen kann. Der Turniersieger kriegt natürlich auch das Geld für den eigenen Chip zurück.
Aber das habe ich nur am Rande erwähnt. Grundsätzlich möchte ich von einer ganz bestimmten Hand erzählen.
Als wir noch zu neunt am Final Table saßen, betrug der durchschnittliche Stack knapp über 15.000. Die Blinds waren auf 500/1.000. UTG+ war der Short-Stack. Er hatte noch rund 4.000 Chips vor sich und brachte ein Raise auf 2.000. Spieler um Spieler passte, dann warf ich einen Blick auf meine Karten. Ich hatte übrigens knapp über 20.000 Chips vor mir liegen.
9x 9x lag vor mir auf dem Tisch. Gar kein schlechtes Blatt. Doch was musste ich von diesem Min-Raise halten?
Der Spieler war kein Stammgast. Er ist auch vor dem Final Table nicht an meinem Tisch gesessen. Ich hatte somit nicht die geringste Ahnung von seiner Spielweise. Ich konnte somit nur von der allgemeinen Logik ausgehen:
Sobald sich ein Spieler, dessen Stack noch gerade vier Big Blinds abdeckt, zu einem Move entschließt, weiß er, dass der ganze Stack am Spiel steht. Es gibt somit wenig Grund, vor dem Flop ums Minimum zu raisen. Er lockt damit Caller. Und das weiß er. Wir müssen also davon ausgehen, dass er gecallt werden will. Und unter welcher Voraussetzung will er das? Mit hohem Pocket-Pair bzw. mit Ax Kx . Bestenfalls mit Ax Qx suited.
Nun, gegen all diese Möglichkeiten konnte ich mit 9x 9x nicht bestehen. Ich war entweder Außenseiter oder es lief auf einen Coin-Flip hinaus. Ich zog die logischen Konsequenzen und passte.
Nicht so Big Blind, dessen Stack etwas größter war als der meine. Bei ihm handelte es sich um einen risikofreudigen Indianer. Ohne zu überlegen, raiste er all-in, hatte aber nur mehr den Short-Stack zum Gegner, der zögernd seine letzten 2.000 Chips über die Einsatzlinie schob.
Das Erbe der einst kriegerischen Mohawks schien Dominanz über den Pokerspieler ergriffen zu haben. Voller Enthusiasmus schleuderte er sein Blatt offen zu Tischmitte: Ax 3x , offsuite. Der etwas jüngere frankophone Montrealer blieb verlegen sitzen und zeigte sein Blatt: 5 4 .
Nun, so kann man sich täuschen. Mit meinen Pocket-Nines wäre ich hier klarer Favorit gewesen. Hätte ich mich über meinen Rückzug ärgern sollen? Keineswegs. Ich werde mich beim nächsten Mal, in einer vergleichbaren Situation, genau so verhalten.
Es gibt Situationen, in denen schlechtes Spiel belohnt wird. Dann schlägt der Zufall aber wieder dramatisch zu und die Situation entwickelt sich noch sonderbarer. Der Call mit Ax 3x war sicher keine gute Entscheidung. Der Move vom jungen Montrealer, ein in die Irre führendes Min-Raise, war entweder ausgeklügelte Taktik oder ein wirrer Kurzschluss. Mein Fold mit 9x 9x war durchaus korrekt. Und was zeigte der Flop?
9 3 A
Zwei Paare gegen Flush-Draw und Gutshot. Und ich hätte mit Trips das beste Blatt gehalten. Kurz fragte ich mich, ob mir der Indianer, wenn ich doch geraist hätte, als Gegner geblieben wäre? Mit ziemlicher Sicherheit konnte ich mir die Frage mit ja beantworten. Ein mutiger Krieger zieht sich nicht zurück, wenn er angegriffen wird. Das wäre eine Verbesserung meines Stacks gewesen, die fast den Turniersieg garantiert hätte. Fast! Und trotzdem fand ich meine Entscheidung noch immer richtig.
Am Turn fiel K
Belohnte der heilige Pokerus nun also doch den Montrealer und gab ihm sein Flush. Eine 15-zu-1-Verbesserungschance, von der Situation vor dem Flop ausgehend. Ein tiefer Atemzug, von freudig strahlendem Blick begleitet, zeigte seine Begeisterung.
Laut erschallte die Stimme des Mohawks: „Give me that ace, dealer! Come on! I know you can do it! Just one more ace
“Or a three!”, fügte irgendjemand leise hinzu.
Der Klang der Stimmen verhallte. Neun Augenpaare verfolgten jede Bewegung des Dealers. Er zog eine Karte vom Paket und legte sie zu den beiden anderen Burn-Cards am Rande des offenen Boards. Er nahm die nächste Karte. Fügte sie verdeckt dem Board hinzu. Verzog sein Gesicht zu mysteriösem Lächeln, wartet noch einmal zwei Sekunden ab, schob den Nagel seines Zeigefingers unter die letzte, noch immer verdeckte Spielkarte, und ließ diese durch eine blitzschnelle Fingerbewegung in die Luft schnellen. Mit dem Bild nach oben kam sie, fast exakt an der richtigen Stelle, zum Liegen:
A
Alea iacta est – oder so ähnlich! Seltsame Laute entsprangen den Mündern der Anwesenden. Der Indianer murmelte etwas vor sich hin und der Montrealer verließ schweigend den Tisch.
Ich war mit meiner Entscheidung, mich von 9x 9x unter den gegebenen Voraussetzungen zurückzuziehen, nun doch wieder völlig zufrieden.
Ausgeschieden bin ich übrigens an dritter Stelle gegen den Indianer, der mein All-in mit Kx 5x gecallt hatte. Vor mir lag Ax Kx suited. Der Flop brachte eine 5x und der River noch eine zweite. Zwar nicht wirklich oft, doch gelegentlich lassen sich Turniere auch durch schlechte Calls und glückliche Draws gewinnen. Es sei ihm vergönnt.
Alex Lauzon
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 17.04.2008.