/ Man muss nicht unbedingt die besten Karten haben, um beim Pokern den Pot zu gewinnen. Darin liegt ja eine der Faszinationen des Spiels. Manchmal reicht es einfach, die richtige Summe anzuspielen. Wenn dann niemand bezahlt hat man gewonnen. Welche Karten man tatsächlich auf der Hand hatte, spielt dann keine Rolle. Damit sind wir beim Thema Bluffen, also dem Versuch, den Pot zu gewinnen, ohne die beste Hand zu haben.
Bluffen ist Kalkül und Kunst zugleich. Man braucht einen guten Instinkt, spielerische Vernunft, ein Kämpferherz und eiskalte Nerven, um einen erfolgreichen Bluff durchzuziehen. Aber für einen richtigen Spieler gibt es nichts, was mehr Spaß macht, als so eine gelungene Aktion. Gut fürs Selbstvertrauen ist es obendrein. Auch die Topspieler haben eine höllische Freude, wenn es ihnen gelingt einen Pot zu „stehlen“ (mit der schlechteren Hand zu gewinnen).
Der Begriff „spielerische Vernunft“ ist eigentlich ziemlich selbsterklärend. Unvernünftig – und somit gegen die spielerische Vernunft – wäre es, bei einem 100$ Pot bei 2/4$ Limit Holdem gegen vier weitere Gegner am River einen Bluffversuch zu starten. Einer zahlt sicher den Big Bet! Die spielerische Vernunft bewahrt einen weiters davor, gegen die klassische „Calling Station“ irgendwelche Manöver zu starten. Das ist in der Regel sinnlos und auf lange Sicht garantiert unvernünftig.
Die wichtigste Grundübung ist, versuchen Sie in jedem Pot – auch wenn Sie vielleicht längst gepasst haben – jedem der aktiven Spieler eine mögliche Hand zuzuordnen. Einfach so als kleines nützliches Gedankenspiel. Legen Sie sich noch vor dem Showdown fest und schätzen Sie die Hand der Spieler möglichst exakt ein. Üben Sie das konsequent bei jeder Gelegenheit. Je besser Sie diese Kunst beherrschen, desto besser werden Sie insgesamt als Pokerspieler. – Dem Gegner eine Hand zuzuordnen, gehört wohl zu den wichtigsten Fertigkeiten im Pokersport. Diese Kunst zu beherrschen, macht den entscheidenden Unterschied aus und trennt die Weltklasse von der Kreisklasse.
Am Golfplatz gibt es den Spruch: Vertraue deinem Schwung! Die Entsprechung am Pokertisch wäre: Vertraue deinem Instinkt! Je öfters Sie sich diesem kleinen, oben beschriebenen, Gedankenspiel stellen, desto besser werden Sie dabei. Ihre Instinkte werden sich spürbar schärfen und das bringt dann auch das so wichtige Selbstvertrauen. Mehr und mehr wird es Ihnen gelingen, die Hand Ihres Gegners zu ahnen und vor allen Dingen die Stärke seines Blattes. Wenn Sie Ihren Gegner während eines Pots auf einen Draw gesetzt haben, bleiben Sie auch dabei. Wenn Sie glauben, dass ihr Gegner lediglich einen Draw hat und am River anspielt, dann folgen Sie Ihrem Instinkt und zahlen Sie.
Einen Pot druckvoll durchzuspielen, auch wenn einem das Board absolut nicht hilft, dafür braucht man ein Kämpferherz und eiskalte Nerven. Besonders in den hohen Limits ist man ohne diese Charaktereigenschaften absolut verloren. Natürlich muss man seinem Gefühl für die Situation folgen, den entscheidenden Moment finden und dann den Bluff ansetzen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, mit nichts auf der Hand das Gaspedal voll durchzutreten und einen großen Bluff zu initiieren, ist leichter gesagt als getan. – Aber diese eiskalten Nerven und das entsprechende Kämpferherz finden Sie bei allen ganz großen Spielern.
Dazu fällt mir eine Pokerstory ein, die ich immer noch gerne erzähle, obwohl das Ganze schon ein Weilchen her ist .Anlässlich des von Bob Stupak veranstalteten „America’s Cup of Poker“, zur damaligen Zeit ein hochkarätig und prominent besetztes Turnier, sah ich die Pokerlegende Stu Ungar beim $100/$200 Blind NL Holdem Cashgame sitzen. So im Vorbeigehen winkte er mir zu und lud mich ein, ihm ein wenig Gesellschaft zu leisten. Und natürlich nahm ich die Einladung an, weil die Gelegenheit, Stu Ungar beim Poker spielen zuzusehen, wollte ich mir nicht entgehen lassen. Das war immer großes Kino.
Nach vielleicht einer halben Stunde passierte folgendes. Stu Ungar am Big Blind mit 8 6 und vielleicht 28 000$ vor sich liegen. Der Spieler am Button, sicher auch 20 000$ am Tisch, macht ein Raise auf 700$. Alle schmeißen weg und nur Stuey zahlt. Der Flop geht auf J-10-4 dreifärbig. Sofort setzt Stuey 1200$ ohne irgendwie vom Flop getroffen zu sein. Sein Gegner zahlt. Am Turn die 2 . Wieder keine Hilfe und Stuey feuert sofort weitere 2500$ in den Pot. Weiterhin ohne Treffer und ohne Draw und sein Gegner zahlt wieder. Am River ein weiterer 4er. Stuey zieht sein Manöver durch und schiebt sofort 8000$ in den Pot. Sein Gegner zeigt A 10 und wirft offen weg.
Während Stu Ungar sein Chips aufschlichtete, wandte er sich flüsternd zu mir: „Es gibt viele Jungs, die mal ein Bluff starten und es gibt manche, die während eines Pots auch zweimal abdrücken. Aber es gibt nur wenige Spieler, die den Mut haben, dreimal mit absolut Nichts aufs Gas zu steigen“. Dreimal während eines einzigen Pots einen Bluff anzusetzen, dazu braucht man wirklich eiskalte Nerven und ein Kämpferherz. Unter allen Pokerspielern der Welt hatte niemand jemals davor oder danach, so ein ausgeprägtes Kämpferherz wie mein Freund Stu Ungar.
Also, ich fasse meine Gedanken nochmals zusammen und geben Ihnen noch ein paar abschließende Ratschläge. Wenn Sie in den kleinen Limits spielen, würde ich mich eher nicht zu sehr aufs Bluffen verlassen. Dieser Spielzug greift besser bei Turnieren oder High Limit Poker. Außerdem vermeiden Sie besser, schlechte Spieler zu bluffen. Da werden Sie eher scheitern, weil ja gerade die schlechten Spieler dazu neigen, alles zu bezahlen. Suchen Sie sich bewusst den besten Spieler am Tisch als Gegner aus, wenn Sie Ihre großen Bluffs abfeuern. Einen guten Spieler kann man nämlich eher aus dem Pot „schießen“. Und noch ein wichtiger Ratschlag. Wenn Sie merken, dass man Sie praktisch niemals am River auszahlt, dann ist das ein Zeichen dafür, dass Sie zuwenig bluffen. Allerdings sollten Sie am River praktisch automatisch ausbezahlt werden, dürften Sie es mit dem bluffen wohl ein wenig übertreiben.
Man kann nicht immer nur auf starke Karten warten. Manchmal muss man sich den Pot erkämpfen. Versuchen Sie es mal mit einem guten Bluff.
Take care. Mike Sexton
Mike Sexton ist Repräsentant von PartyPoker, Kommentator der World Poker Tour (die im Travel Channel gezeigt wird) und der Autor des Buches “Shuffle Up and Deal” (welches in der NY Times Bestsellerliste geführt wurde und unter www.cardplayer.com bestellt werden kann).
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 03.04.2007.