Nehmen wir einmal an: Ich bin im Rio Casino in Las Vegas und spiele die WSOP. Ich wurde grade bei einem $1.500-Event eliminiert und setze mich an einen $1 / $3 PLO-Tisch, denn für die No-Limit-Tische sind die Wartelisten zu lang.
Ich habe 300 Dollar vor mir und sollte ich diese 300 Dollar verlieren, gehe ich nach Hause, denn das habe ich meiner Frau so versprochen. Denn sie weiß, dass ich mich bei Cash-Games in eine Art Hulk verwandeln kann, wenn ich verliere.
Ich mache aus meinem Stack 1.200 Dollar und alles läuft rund. Dann verliere ich eine Hand in der ich meilenweit vorne war. Das passiert dann noch einmal und gleich noch einmal und schon ist mein Stack dahin. Ich packe einen Dollarschein aus und lege ihn auf den Tisch.
„Ich bin gleich zurück,“ sage ich mit einem Lächeln. Das Lächeln ist aber nur äußerlich. Der Hulk hat sich meines Gehirns schon bemächtigt und rüttelt mich kräftig durch.
„Warum kannst du nie gewinnen?“
„Warum kannst du nicht das Glück haben und eine Million gewinnen?“
„Warum fängt deine WSOP immer so mies an? Mit einem besseren Start könntest du eine tolle Serie spielen!“
„Warum passiert so etwas immer mir?“
Ich bin zurück an meinem Platz. An den Weg zum Geldautomaten erinnere ich mich schon gar nicht mehr, aber ich habe jetzt 600 Dollar vor mir. Gleich mit der ersten Hand bin ich all-in.
Wir lassen zweimal geben, ich verliere beide Läufe. Ich stehe auf und verziehe mich vom Tisch und es fühlt sich so an, als würden über mir die Geier kreisen und mich auslachen.
Ich fühle mich schuldig, schlecht und bemitleidenswert. Ich konnte es mir nicht leisten, dieses Geld zu verlieren. Ich habe ein Versprechen meiner Frau gegenüber gebrochen. Ich bin ein Trottel. Mal wieder.
Verhaltenstherapie als Pokerstrategie
Stephen Pfleiderer ist ein Spezialist für Suchtkrankheiten. Er hat kognitive Verhaltenstherapie studiert und ist Autor des Buches „Feeling Good: The New Mood Therapy“. Von diesem Buch wurden über 5 Millionen Exemplare verkauft und er war Gast bei meinem Alkohol- und Abhängigkeitspodcast.
Obige Geschichte erzählte ich Stephen und ich erzählte ihm auch, dass ich, wann immer ich eine Wette verliere, sofort den Instinkt verspüre, das Geld so schnell wie möglich zurückgewinnen zu müssen.
Es reicht mir nicht, auf den sicheren Gewinn am nächsten Tag zu warten. Ich brauche sofortige Genugtuung!
Zu diesem Problem wollte ich Stephens Einschätzung zu diesem Problem, das unter Freizeitspielern beim Poker sicherlich ein sehr verbreitetes ist.
„Da läuft sehr viel unter dem Radar“, sagt Pfleiderer. „Das passiert alles sehr schnell und es ist eine Art Spirale von Null auf Hundert und man fragt sich am Ende, wie man da eigentlich hingelangt ist.“
Es passiert tatsächlich sehr schnell. Es ist, als hätte ich gar keine Zeit, die langfristigen Auswirkungen meiner Handlungen einzuschätzen, als hätte jemand meinen Körper übernommen und hätte mich zum Geldautomaten gelotst und auf einen All-In-Knopf gedrückt.
„Beim Spiel läuft etwas anders als du es möchtest. Deine Fanatsie, dass du diesmal ganz groß abräumst, dass damit all deine Probleme gelöst sein könnten, wird abrupt zerstört.“
„Das ist in etwa so wie bei Leuten, die es kaum erwarten können, sich abends zu betrinken, weil es sich so gut anfühlt. Es ist eine vorfreudige Erwartung. Du hast die Erwartung, zu gewinnen und wenn es nicht klappt, bist du verärgert und frustriert.“
„Die Leute spielen Poker und Casino-Spiele, weil sie von den möglichen Gewinnen fasziniert sind. Auf einmal passiert etwas, es läuft nicht wie geplant und genau dann kommen diese negativen Gedanken: Warum passiert mir das? Warum kann ich keinen guten Start haben?“
Negative Erwartungen benennen und umwandeln
Ich habe inzwischen mit genügend Profi-Spielern gesprochen, um zu wissen, dass man seine Erwartungen als Pokerspieler im Griff haben muss.
Auf der einen Seite sollte man Vertrauen in seine Fähigkeiten haben, auf der anderen Seite muss man in der Lage sein, bei jeder Situation zu sehen und zu verstehen, dass man verlieren kann.
Wie kann man dieses Wissen umsetzen?
„Negative Gedanken sind kognitive Verzerrungen,“ sagt Pfleiderer. „Man muss diese Verzerrungen erkennen und benennen. Am besten gelingt dies, wenn man sie aufschreibt.“
Tipp 1: Schreibe in der Nachbewertung deines Spiels alle negativen Gedanken, die du während des Spiels hattest, auf und versuche sie in Aussagen umzuwandeln. Es handelt sich fast sicher um kognitive Verzerrungen.
Beispiele:
- Ich erwische nie einen guten Start
- Ich gewinne nie
- Ich habe einfach kein Glück
Es gibt von David D. Burns eine Liste von 10 kognitiven Verzerrungen und hier sollte man schauen, welche zutreffend sind.
Nehmen wir das erste Beispiel: „Ich erwische nie einen guten Start.“
Die kognitiven Verzerrungen hier sind:
- Alles-oder-Nichts-Denken
- Übermäßige Verallgemeinerung
- Wahrsagerei
- Überhöhung
- Schuldzuweisung
Hieraus kann man jetzt eine akkuratere, positive Aussage ziehen: „Manchmal habe ich einen guten Start, manchmal einen schlechten. Wenn ich an meinem Spiel insesondere an meiner Einstellung arbeite, habe ich häufiger einen guten Start. Ich muss daran arbeiten, diese negativen Gedanken als kognitive Verzerrungen abzutun.“
Auszeit nehmen
Tipp 2: Warte nicht bis zu deiner Nachbewertung, um diese Arbeit zu leisten. Sobald du merkst, dass du die Kontrolle verlieren könntest, nimm dir eine kurze Auszeit und gehe die Punkte in deinem Kopf in Ruhe durch. Papier und Bleistift oder ein Smartphone helfen, die Probleme kurz aufzuschreiben und zu umreißen.
„Wenn du mitten im Auge des Sturms nicht auf den Pause-Knopf drückst, findest du dich sehr wahrscheinlich in einer Abwärtsspirale wieder,“ so Pfleiderer. „Der Gedanke, man müsse sein Geld zurückgewinnen, ist sehr mächtig. Um uns von dieser Kraft zu befreien, müssen wir diese Gedanken aufschreiben.“
„Man braucht einen realistischen Ansatz für das Spiel und muss in der Lage sein, es losgelöst von den Ergebnissen zu betrachten.“
„Diese Aussage: ‚Ich muss gewinnen,‘ ist krux an der Sache. Wenn ich ein Bedürfnis habe, das durch das Spiel erfüllt werden muss, bin ich verletzlich. Wenn ich mich von den Ergebnissen mental trennen kann, verschwindet diese Anspannung.“
Wie macht man das?
„Das ist eine Fähigkeit, die man trainieren kann. Man muss sich auf ebensolche Situationen vorbereiten, bevor sie einen ereilen. Der Ausdruck hier heißt: Gleichmut. Gleichmütigkeit, egal ob man gewinnt oder verliert.“
„Egal ob man gewinnt oder verliert, man sollte in sich ruhen. Man muss befähigt sein, sich an den Tisch zu setzen, positive Ergebnisse zu erleben und negative wegstecken können, ohne dass es einen in die eine oder andere Richtung zerreißt. “
Und plötzlich sehe ich es. Ich akzeptiere die Realität der Situation nicht. Ich bin stets im La La Land, wo es keine negativen Ergebnisse, sondern nur positive gibt. Wenn dies meine Realität ist, dann gäbe es beim Poker langfristig keine Gewinner. Daniel Negreanu zum Beispiel hat in Turnieren über 33 Millionen Dollar gewonnen. Er ist befähigt, Verluste wegzustecken und er dreht nicht frei, wenn er gewinnt.
„Es gibt Pokerspieler, die von solchen Gedanken nicht geplagt werden und andere sind sehr angreifbar. Das schöne ist, dass man hier sehr einfache Möglichkeiten hat, Änderungen vorzunehmen.“
„So wird eine Sache, die eben noch sehr störend war weniger störend."
Ich persönlich weiß durch meine Arbeit mit Menschen, die unter Alkoholsucht litten, dass es wichtig ist, dass sie lernen zu leiden. Es ist erstaunlich, dass ich dieses Wissen nicht auf mein Pokerspiel anwenden konnte.
Auf die richtige Weise lernen
Tipp 3: Erstelle dir eine eigenen Bestärkungs-Aufnahme oder höre dir Aufnahmen vom Pokermindcoach Elliott Roe an, bevor du spielst oder wenn du dich schlecht fühlst. Passe deine Erwartungen an.
Ich habe mir jüngst einen kurzen VLOG von Daniel Negreanu angehört. Er hat über David Sklansky und dessen Ansichten zum Mentalspiel beim Poker gesprochen.
Negreanu hatte gesagt, dass die Verbesserung des Mentalspiels sehr mit dem Studium des Spiels einhergeht. Wenn man alle Aspekte seines Spiels verbessern möchte, auch die eigene Einstellung, muss man dies auf die richtige Art und Weise tun.
Man muss mit den klügsten Köpfen sprechen, sowohl was den technischen Aspekt, als auch das Mentalspiel angeht. Man muss die besten Videos schauen und die besten Pokerbücher lesen.
Das meine ich mit der richtigen Art und Weise. Es ist eine Wahl.
„Dies sind die Muster und Gepflogenheiten und wenn wir für eine längere Zeit auf gewisse Sachen reagiert haben, dauert es länger, sich zu ändern.“
„Wenn man sich ärgert, dann will man seine Gedanken nicht aufschreiben. Man will sich schlecht fühlen und aufregen. Man muss, wenn man ruhig ist, üben, mit seinen Emotionen umzugehen, so dass man vorbereitet ist, wenn es einmal Knall auf Fall kommt.“
Um ein erfolgreicher Pokerspieler zu werden, muss man lernen, das Verlangen nach sofortiger Genugtuung abzustellen und sich auf langfristigen Erfolg konzentrieren. Nur so kann man in diesem wunderbaren Spiel gewinnen. Mit diesem Wissen kommt Geduld und ohne Geduld gibt es kein Poker. Diese Lektion sollten wir nicht nur beim Poker anwenden, sondern in unserem gesamten Leben.
» Mehr Informationen über Stephen Pfleiderer und seine Arbeit
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 09.06.2017.