Das 26.000 Dollar teure Highroller-Event der WCOOP auf PokerStars zog gestern die derzeit besten Online-Pokerspieler an und diese spielten um 3,6 Millionen Dollar.
Dabei ereignete sich im 18. Level eine wahnwitzige Hand. Im Kampf Blind gegen Blind stießen Adrian Mateos und der Schweizer Linus Loeliger aufeinander und beide lieferten ein hochwertiges Beispiel für Bluffs zwischen zwei ausgefuchsten Profis und die Hand endete mit einem aberwitzigen Hero-Call mit 10-hoch:
Hero-Call mit 10-hoch
Stefan „I'am_Sound“ Huber (UTG): 258.979 (65 bb)
Nick „caecilius“ Petrangelo (MP): 364.272 (91 bb)
myzikant (CO): 163.474 (41 bb)
Stephen „stevie444“ Chidwick (BU): 252.607 (63 bb)
Adrian „Amadi_017“ Mateos (SB): 158.338 (40 bb)
Linus „LlinusLLove“ Loeliger (BB): 724.818 (181 bb)
Pre-Flop: (9.000)
4 players fold, Amadi_017 (SB) calls 2.000, LLinusLLove (BB) checks
Flop: (11.000) A 8 6
Amadi_017 (SB) checks, LLinusLLove (BB) checks
Turn: (11.000) 6
Amadi_017 (SB) bets 8.000, LLinusLLove (BB) raises to 26.090, Amadi_017 (SB) calls 18.090
River: (63.180) Q
Amadi_017 (SB) bets 16.000, LLinusLLove (BB) calls 16.000
Pot: 95.180
Showdown:
Amadi_017 (SB) zeigt 7 5 (7-hoch)
LLinusLLove (BB) zeigt 10 2 (10-hoch)
LLinusLLove (BB) gewinnt 95.180
Was ist hier passiert? Spielen die beiden Jungs ein $26k-Turnier oder haben sie sich auf einer Kirmes-Veranstaltung an einen Daddelautomaten verirrt?
Nun handelt es sich bei den Protagonisten um Linus Loeliger und Adrian Mateos. Der eine ist ein Schweizer Online-Pro, der seit Jahren die ganz hohen Stakes auf PokerStars spielt und der andere hat unter anderem drei WSOP-Bracelets und einen EPT-Titel in seiner Sammlung. Wir können die Option Kirmes-Poker wohl ausschließen.
Schauen wir uns das Spiel Setzrunde für Setzrunde an und schauen, ob wir aus den Zügen schlau werden.
Lahmes Blind-vs-Blind vor dem Flop
Die Preflop-Action ist noch sehr zurückhaltend. Adrian Mateos hat mit 7-5-off eine irgendwie spielbare Hand im Small Blind, aber mehr auch nicht. Mit einem Stack von nur 40 Big Blinds muss er vorsichtig sein und will nicht unnötig Chips mit einer bestenfalls marginalen Hand investieren. Deswegen ist sein Limp völlig nachvollziehbar – er ist stark genug, um nach dem Flop gegen eine weite Range seines Gegners zu spielen.
Linus Loeliger hat mit T-2-suited einen einfachen Check. Seine Hand ist ebenfalls irgendwie marginal noch als spielbar erkennbar, er hat Position und kann seinen Gegner postflop ausspielen.
Zwei Treffer und zwei Checks auf dem Flop
Beide Spieler treffen einen Draw auf dem Flop, doch beide Spieler entschließen sich, diesen nicht zu setzen. Warum?
Der Grund für die Passivität ist das Ass auf dem Flop. Keiner der beiden Spieler kann glaubwürdig ein Ass repräsentieren, denn keiner der Spieler hätte mit einem Ass auf der Hand vor dem Flop nicht geraist. Beide Spieler wissen, dass ihr Gegner das jeweils weiß. Spielte Mateos hier an, müsste er befürchten, dass Loeliger diese Bet als Bluff interpretiert und raist. Allerdings hält Mateos' Straight-Draw einen Raise kaum aus und er will mit seiner Hand hier sicherlich nicht broke gehen. Ähnliche Beweggründe dürfte Loeliger haben, den Flop nicht zu setzen. Er weiß, er kann das Ass nicht repräsentieren, er will seinen Flush-Draw nicht unnötiger Gefahr aussetzen und er kann bequem einen Turn in Position spielen.
Katze und Katze auf dem Turn
Das Belauern endet jedoch auf dem Turn. Die unterste Karte paart sich und damit ändert sich an den Ranges der beiden Spieler erst einmal gar nichts. Dank der beiden Checks auf dem Flop haben Mateos und Loeliger jedoch ein recht gutes Bild von der Hand ihres Gegners. Beide wissen, dass ihr Gegner sehr wahrscheinlich keine starke Hand hat, beide wissen, dass ihr Gegner eine Hand hat, die irgendwie den River sehen will und beide können sich denken, dass die Hand des Gegners nicht sehr viel Hitze aushalten wird.
Adrian Mateos hat mit 7-hoch eine Hand, die ohne Verbesserung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Showdown verlieren wird. Er weiß also, dass er – wenn der River seine Hand nicht verbessert – irgendwann bluffen muss. Nachdem Loeliger zweimal gecheckt hat, ist der Turn ein guter Punkt, zu versuchen, den Pot zu gewinnen. Mit einer Bet von gut drei Vierteln des Pots kann er immerhin eine Hand wie ein Paar mit 8-x oder ein dank des Turns zu Trips verbessertes 6-x repräsentieren.
Allerdings sind dies beiden einzigen glaubhaften Value-Kombinationen, die Mateos auf der Hand haben kann. Dazu kommt jede Menge wertloses Zeug, das jetzt anfängt zu bluffen. Loeliger weiß das und deswegen bringt er einen Raise. Der Schweizer erhöht gleich recht deutlich um zwei Drittel des Pots und macht das Weiterspielen für Mateos so sehr teuer. Loeliger selbst hat nur 10-hoch und auch wenn Mateos bluffen sollte, sind die meisten Bluff-Hände besser als 10-hoch. Deswegen versucht Loeliger, möglichst viele dieser Hände mit einem Raise aus dem Pot zu entfernen.
Mateos weiderum weiß, dass Loeliger weiß, dass Mateos keine starke Range repräsentiert. Mateos weiß ferne, dass Loeliger wahrscheinlich selbst keine starke Hand hat. Und Mateos kann nach dem Raise ausschließen, dass Loeliger eine mäßige Hand mit Showdown-Value hat. Eine solcher Hand hätte gecallt und Mateos auf dem River erneut bluffen lassen. Der Plan von Mateos ist nun folgender: Er callt und blufft den River erneut, wenn er sich nicht verbessert. Gegen die von Loeliger repräsentierte Range ist dies kein völlig abwegiger Plan, weswegen sein Call zwar verwegen aussieht, aber durchaus System hat.
Absurder Call auf dem River?
Auf dem River verwirklicht Mateos seinen Bluff-Plan. Die Q ist eine fast bedeutungslose Karte. Sie vervollständigt keinen Draw und nur zufällig hätte ein Spieler mit einem Flush-Draw diese nun treffen können.
Mateos spielt einen vergleichsweise kleinen Betrag an und gibt seinem Gegner gute Odds mit jeder halbwegs showdown-würdigen Hand auch zu zahlen. Ziel dieses Bluffs ist es, möglichst alle geplatzten Draws von Loeliger zur Aufgabe zu bringen. Mateos erwartet, dass Loeliger gegen die ungewöhnliche Spielweise Hände wie Bube- bis Neun-hoch und vielleicht sogar König-hoch entsorgt – Hände die einen großen Teil von Loeligers Range ausmachen.
Loeliger jedoch befriedigt Mateos Wunsch überhaupt nicht. Der Schweizer entschlüsselt Mateos Spielweise und schätzt korrekt ein, dass Mateos auf dem River fast niemals eine Value-Bet bringt und fast immer blufft. Das Problem ist, dass Loeligers Hand selbst so schwach ist, dass sie auch nur gegen sehr wenige Bluffs eine Chance hat. Doch der Schweizer wird damit rechnen, dass Mateos eine Hand wie König-hoch auf dem River zum Showdown bringen und nicht bluffen wird. Das lässt als potentielle Bluffs nur Bube-hoch, Zehn-hoch, Neun-hoch oder Sieben-hoch zu. Nur gegen Bube-hoch verliert Loeliger, gegen Zehn-hoch ist es ein Split Pot und ansonsten gewinnt er gegen einen Bluff.
Da Mateos ihm so gute Odds bietet, ist der Call nach diesen Überlegungen mit Zehn-hoch sogar mathematisch korrekt. Loeliger macht den Call mit dem Wissen, dass er durchaus zurückliegen kann. Mateos hätte bis zum River geblufft, dann jedoch aus Versehen eine Dame getroffen und damit eine nachvollziehbarre Value-Bet gebracht haben können. Mateos hätte vor dem Flop unorthodox spielen und mit einem Ass limpen können. Mateos hätte 6-x haben und auf dem River auf einen Bluff-Raise spekulieren können.
Es sind viele Unwägbarkeiten, die Loeligers Call auf dem River begleiten. Doch das ist das schöne beim Poker: Man muss nicht immer richtig liegen, nur oft genug. Und wenn der Gegner einem Odds von 16.000 zu 63.000 bietet (wie Mateos in dieser Hand), muss man nur in rund 17 Prozent der Fälle gewinnen. Und diese Chancen wird Linus Loeliger seinem Zehn-hoch nach den Aktionen in dieser Hand gegeben haben.
Ein Anmerkung am Rande: Mateos hätte diese Hand eventuell gewinnen können, hätte er den River nicht gesetzt. Nach einem Check hätte Loeliger möglicherweise mehr Showdown-Value bei Mateos vermutet und mit Zehn-hoch selbst geblufft. Darauf hätte Mateos mit einem Checkraise die „Falle“ zuschnappen lassen können, denn einen Wahnsinnscall gegen diesen Checkraise hätte wohl auch Linus Loeliger nicht im Repertoire gehabt. Aber das wäre des Bluffs vielleicht eine Spur zu viel gewesen, oder?
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 22.09.2017.