Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einer schönen Pokerrunde. Die Gegner sind schlagbar, Sie fühlen sich wohl, der Rubel rollt. Auf einmal gesellt sich Chip Reese (oder noch gefährlicher – ein PokerOlymp-Mitglied) zum Spiel hinzu. Sollte man sich als guter Pokerspieler nun umgehend einen neuen Tisch suchen? PokerOlymp ist dieser Frage auf den Grund gegangen.
Häufig höre oder lese ich Sätze wie “Ooh, da sitzt schon der superstarke Spieler X am Tisch, da sollte ich lieber nicht mitspielen.”, “Da kommt Profi Y, dann setze ich mich lieber weg.” usw. Sollte man es vermeiden, mit sehr guten Spielern am Tisch zu sitzen?Natürlich ist es umso besser, je schwächer die Spieler am Tisch sind, aber wegen eines einzigen sehr guten Manns muss man nicht unbedingt in Panik geraten. Viel interessanter als die guten sind nämlich die schlechten Spieler, die Fische.
Nehmen wir ein übliches SitnGo-Turnier mit 10 Spielern. 8 Leute sitzen schon am Tisch und in einem Fall gesellen sich zwei weitere gute Spieler mit einem ROI (Return on investment) von 10% dazu, im anderen Fall ein Weltklasse-Pro (20% ROI) und ein Durchschnittsmann. Wir haben einen ROI von 10%. Es hängt vom Limit ab, wie viele Prozent des gesamten Buy-ins als Fee vom Pokerraum eingesammelt werden, aber nehmen wir für dieses Beispiel der Einfachheit halber an, dass es 8% seien. Ein Durchschnittsspieler hat also einen ROI von –8%. Ist es nun besser, zwei Leute am Tisch zu haben, die 10% ROI haben oder einen mit 20% und einen mit durchschnittlich -8%?Es sollte einleuchtend sein, dass der mittelmäßige Spieler auf lange Sicht mehr Geld an einen verliert, als einem ein grandioser Spieler abnehmen kann.
Klarer wird das Bild, wenn wir die zugegebenermaßen übertrieben mutige, aber nicht zu weit hergeholte Annahme machen, dass man ein SitnGo perfekt spielen kann. Als sehr guter Spieler machen wir in einem 109er-SitnGo nur Fehler von ca. 12$ pro Turnier, ein Weltklassespieler aber macht nur Fehler von, sagen wir, 3$. (Das ist eine äußerst kleine Zahl, vor allem, da Weltklassespieler tendenziell mehr Tische spielen und dann gewisse Feinheiten nicht beachten können, die im Einzelfall nicht besonders teuer sind, sich aber aufaddieren.)Wir verlieren 9$/9 = 1$ an den Pro, während wir vom Durchschnittsmann ca. 26$/9 = ca. 3$ Equity gewinnen, dieses Szenario ist also gegenüber einem Nullsummenspiel zu bevorzugen.Und wenn Fische 70-80$ an Equity pro Turnier verlieren, wird es interessant.
Ähnlich stellt es sich im Ringgame dar. Wir seien ein knapper Gewinner mit 1BB/100 Hände. Ein fantastischer Spieler mag auf 3BB/100 kommen, der Rake betrage 1BB/100. 4 mittelmäßige Spieler verlieren also zusammen 10BB alle 100 Hände, im Schnitt 2,5BB. Da wir nur 2BB/6 auf den Pro verlieren, aber 3,5BB/6 auf den Otto Normalringgamer gutmachen, müssen wir die Anwesenheit eines einzelnen Pros nicht fürchten. Und dann gibt es ja noch die Spezis, die mit J6o preflop cappen und ihre Chips gar nicht schnell genug loswerden können.
Bei No Limit machen sich die Spielstärkeunterschiede noch deutlicher bemerkbar, da ein Fehler im Gegensatz zum Limit-Spiel gleich mehrere Big Bets kosten kann.
Ich finde es interessant, dass es schon lukrativer ist, einen mittelmäßigen Mitspieler am 6max-Tisch zu haben, selbst wenn Phil Ivey dabei ist, als wenn man sich stattdessen mit zwei guten, aber eben nicht superguten Leuten misst. Keine Angst also vor Topleuten. Auch wenn ein paar Haie in den Pokergewässern herumschwimmen, bleibt für einen kleinere Raubfisch noch genug übrig, solange genügend Futter da ist.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 10.11.2006.