Von der Einsatzrunde am River abgesehen, verfolgen wir – von einer Made-Hand ausgehend – zwei gegensätzliche Interessen: Einen möglichen Draw verteuern und gleichzeitig so viele Chips wie möglich in den Pot zu bekommen. Und immer wieder passiert es, dass ein Gegner, trotz schlechter Odds, mit seinem Draw callt, sich verbessert, und wir quälen uns mit der Frage, ob es nicht besser gewesen wäre, durch ein All-in einen kleineren Pot, den aber sicher, zu gewinnen.
Einsatzhöhe an spätere All-Ins anpassen
Auf den Penny-Tables im Internet oder in billigen Sit&Gos mag es durchaus sinnvoll sein, auch mit den Nuts den ganzen Stack in den Pot zu schieben, weil dort die Wahrscheinlichkeit doch eher hoch sein mag, dass sich ein Dummer für einen Call findet. Spielen wir aber soliden Poker, dann sollten wir im einzelnen Fall eher die optimale Einsatzhöhe kalkulieren, was ein All-in aber trotzdem nicht immer ausschließt.
Am Flop oder am Turn habe ich ein akzeptables Blatt vor mir liegen, Top-Pair, Over-Pair, Two-Pair, von dem ich ausgehe, dass es das bessere ist. Das Board zeigt aber einen möglichen Draw. Wie hoch sollte nun mein mögliches Bet oder mein Raise ausfallen? Welche Kriterien muss ich berücksichtigen? Was wäre die erste Richtlinie und aus welchen Gründen weiche in von dieser ab?
Nehmen wir zur besseren Veranschaulichung ein Beispiel:
Ich spiele A Q und calle damit vom Button ein Raise auf 20 Dollar aus Middle Position. Der Rest passt. Im Flop fällt:
Q J 6
Im Pot liegen 45 Dollar. Der Raiser setzt 40, zusammen also 85. Beide haben wir Stacks von über 500 Dollar vor uns.
Welche Überlegungen muss ich anstellen?
Hier zu passen, kann ich grundsätzlich einmal ausschließen. Das nächste wäre der Cold Call. In dem Fall gebe ich einen Draw vor und könnte mit einem weiteren Bet am Turn rechnen. Welche Gefahren birgt das in sich?Handelt es sich um einen Gegner, dem ich sein Preflop-Raise mit einem breiten Spektrum von Kartenkombinationen zutraue, etwa auch K-10 oder 10-9, steigt die Zahl der möglichen Draws. Kenne ich ihn jedoch als Spieler, der vorwiegend mit Ass und solidem Kicker oder Pocket-Pairs von 8-8 aufwärts raist, dann gilt es ebenfalls herauszufinden, wie gut ich mit meinem Top-Pair liege.Kurz gesagt, mit zwei möglichen Draws im Board, mit der Möglichkeit, durch ein Over-Pair, einem Set oder Two-Pair bereits geschlagen zu sein, wäre es hier keinesfalls günstig, eine Falle aufzubauen.Die naheliegendste Option wäre also ein Raise. Doch, um wie viel?
Der gegnerische Call sollte so teuer werden, dass sich die Odds für einen möglichen Draw nicht mehr rechnen, und zwar ziemlich deutlich nicht mehr rechnen, weil mögliche Implied Odds im No-Limit-Poker praktisch immer berücksichtigt werden. Nach meinem Call liegen insgesamt 125 Dollar im Pot. Das bedeutet, ein Min-Raise reicht hier keinesfalls aus. Nicht nur, dass ich damit zu günstige Odds für den möglichen Draw lege, auch könnte es als Semi-Bluff verstanden werden und zu einem Reraise mit dem schwächeren Blatt führen.Das Raise müsste um die 100 Dollar betragen, zusätzlich zum Call.
Kommen wir nun auf die ursprüngliche Frage zurück, All-in oder ein kalkuliertes Raise? Nehmen wir an, mein Gegner kümmert sich nicht viel um Odds. Er würde mit zwei Pik ebenso callen wir mit einem Gutshot oder einem kleinen Pocket-Pair. Sollte ich ihn nicht sofort durch ein All-in abschrecken?
Grundsätzlich, nein. Mit Top-Pair und Ass als Kicker verfüge ich zwar über ein durchaus solides Blatt, doch bin ich damit in einigen, durchaus nicht unwahrscheinlichen, Fällen deutlich unterliegen: A-A, K-K, Q-Q, J-J, 6-6, und Q-J. Raise ich hier auf z. B. 150 und werde gereraist, kann ich mir, nach dem Motto: „Don’t go broke with one pair“, den Rest meines Stacks ersparen.
Und wie sieht es aus, einem Bluff zum Opfer zu fallen?
Gegen manche Spieler müsste man darauf gefasst sein. Aber nur gegen ganz bestimmte. In den meisten Fällen, so zeigt die Erfahrung, beruht ein Reraise doch auf einem soliden Blatt.
Was viele Spieler – Gott sei Dank – immer wieder vergessen, ist der Umstand, dass ich mit dem besseren Blatt den schlechten Call des Gegners will. Verbessert sich sein Blatt nach seinem Call mit schlechten Odds, dann ist das eben Pech. Der langfristige Gewinn am Pokertisch setzt sich aus schlechten Calls zusammen. Mit einem 9-Outer bei Odds von 1 zu 2 zu callen, ist ein Fehler, außer gegen Spieler, bei denen ich mir der Implied Odds sicher sein kann.Sitzen sich zwei wirklich gute Spieler, die sich gegenseitig auch als solche kennen, gegenüber, so zeigt sich immer wieder, wie genau die Einsätze kalkuliert werden. Gerade so hoch, dass sich die Odds nicht rechnen, niedrig genug, um doch noch relativ billig aussteigen zu können.
Ein wesentlicher Faktor, der für ein All-in spricht, wäre allerdings Commitment, was dann der Fall ist, wenn die verbleibende Chip-Reserve im Verhältnis zum Pot zu gering ist, um bei einem Gegenangriff noch zu passen. Wenn ich aus einem Pot, auch im Falle eines Raises, ohnehin nicht mehr herauskomme, dann kann es oft ratsam sein, den möglichen Draw sogleich entsprechend zu verteuern, auch weil, im Falle eines All-ins, das nicht zu teuer ist, die Wahrscheinlichkeit eines Calls auch mit dem schwächeren Blatt steigt.
Eine Überlegung, die auch für ein Bet oder Raise am River zutrifft, ist natürlich auch, dass ich den Call mit dem schwächeren Blatt will. Je höher mein Einsatz ausfällt, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass ich das schwächere Blatt verdränge und nur mit dem Call eines besseren Blattes rechnen kann. Das wäre verschenktes Value.
Abschließend möchte ich natürlich auch noch darauf verweisen, dass es im Pokerspiel immer wieder eine ganze Menge von Ausnahmen gibt, die insbesondere auf die Eigenschaften des Gegners abgestimmt sind. Callt ein Gegner praktisch jeden Einsatz, auch wenn er nur über das kleinste Paar verfügt, dann lässt sich dies natürlich nützen. Doch damit wären wir wieder bei den anfangs erwähnten Penny-Tables.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 05.06.2009.