In unserer neuen Pokerstrategie-Serie wollen wir falsch verstandene Konzepte beleuchten. Den Anfang dabei macht das Konzept der “Protection”, welches No-Limit-Spieler häufig fehlinterpretieren und damit nicht selten äußerst schlechte Züge begründen.
Gerichtet ist diese Serie, ähnlich wie unsere Serie der 10 goldenen Anfänger-Regeln an Spieler mit geringer Spielpraxis.
Protection beim Limit-Hold’em
Den Ursprung hat das Konzept der Protection im Limit-Poker. Das Ziel des Spielzuges ist es, durch eine geschickte Manipulation der Setzfolge zu erreichen, dass schwächere Hände folden, obwohl sie noch eine Menge Equity (Gewinnwahrscheinlichkeit) im Pot haben. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen:
Unser Protagonist sitzt mit A 10 im Big Blind. Drei Spieler limpen und ein aggressiver Spieler am Button raist. Der Protagonist und die vier Limper callen.
Flop: 10 8 5 (5 Spieler, 10 Small Bets)
Hier hat der Protagonist Top-Pair und damit wahrscheinlich die beste Hand. Doch viele Hände haben eine Menge Outs gegen diese Hand. Ein Gegner mit Kx Jx hat sechs Outs, ein Gegner mit 5x 6x fünf oder ein Gegner mit Qx Jx gleich zehn. Der Protagonist will möglichst viele dieser Hände zum Folden bringen, um die eigene Hand gegen diese vielen gegnerischen Outs zu schützen.
Usus ist es in solchen Situationen zu versuchen, einen Checkraise anzubringen. Häufig werden alle Spieler zum Button checken, der sehr häufig eine C-Bet bringen wird. Raist der Protagonist diese nun, sehen sich die Gegner in der Mitte einer doppelten Bet ausgesetzt. Für viele wird dies Grund genug sein, ihre Overcards, Bottom-Pairs oder nackten Gutshots zu folden. Im Idealfall passen alle ursprünglichen Limper und der Protagonist spielt nur noch gegen den Button weiter.
Natürlich besteht das Risiko, dass man mit einem Raise einer besseren Hand in die Karten spielt. Ein Overpair beim ursprünglichen Raiser oder ein gechecktes Set bei einem der Limper ist zum Beispiel durchaus möglich. Doch ist dies in dieser Situation eine untergeordnete Sorge. Der Schutz gegen gegnerische Outs ist mehr wert, als das Risiko, eine bessere Hand über Gebühr auszuzahlen. Im schlimmsten Fall wird der Protagonist bis zum Showdown ohnehin nicht viel mehr als 5 Big Bets gegen eine bessere Hand zahlen und damit nicht mehr als auf dem Flop schon im Pot liegt.
Protection beim No-Limit-Hold’em
Schauen wir uns nun ein Beispiel vom No-Limit-Hold’em an:
An einem Tisch mit 6 Spielern und Stacks in Höhe von 100 Big Blinds setzt unser Protagonist mit A 10 am Button. Alle folden zum aggressiven Cut-Off, der auf 3 Big Blinds raist. Der Protagonist callt und die Blinds folden.
Flop: 10 8 5 (2 Spieler, 7,5 Big Blinds)
Der Cut-Off setzt 6 Big Blinds.
Nicht wenige Spieler reagieren in einer solchen Situation mit einem Raise. Die Begründung für diesen Raise ist Protection – ähnlich dem ersten Beispiel. Schließlich kann es sein, dass der Cut-Off Overcards oder einen Gutshot hat, wogegen das Top-Pair geschützt werden muss.
Doch die Begründung “Protection” läuft in den meisten No-Limit-Fällen ins Leere und in vielen Fällen ist ein Raise in Situationen wie diesem Beispiel ein fataler Zug. Warum?
1. Das Risiko-Gewinn-Verhältnis ist beim No-Limit fundamental anders als beim Limit. Während es bei Limit-Spielen in der Regel nur einen Bruchteil des Pottes kostet, die Hand zu schützen, kann ein derartiger Versuch vom No-Limit schnell den ganzen Stack in Gefahr bringen.
Das Risiko, dass der Cut-Off in dem Beispiel eine starke Hand wie ein Overpair oder Set hat, ist vielleicht nicht sonderlich groß, aber dafür kostet es nicht nur einige Big-Bets, wenn man gegen eine solche Hand läuft, sondern einen signifikanten Anteil des Stacks und ein Vielfaches des Betrags der ursprünglich im Pot lag. Deswegen muss man beim Spielverlauf die an sich eher geringe Wahrscheinlichkeit, dass der Gegner ein Monster hat, wesentlich höher gewichten.
Bei mehr als einem Gegner geht das Konzept der Protection beim No-Limit ebenfalls baden – hier sieht man sich einem noch größeren Risiko ausgesetzt, dass einer der Gegner eine bessere Hand hat, wodurch sich das Risiko-Gewinn-Verhältnis weiter verschlechtert.
2. Die Höhe der Setzgrößen machen Protection beim No-Limit ohnehin fast überfällig. Beim Limit gibt man seinen Gegnern aufgrund der festen Setzgrößen sehr häufig extrem gute Pot-Odds. In einem gereraisten Pot können viele Gegner korrekt mit einem 5-Outer eine Bet auf dem Flop callen. Bei No-Limit fallen diese Überlegungen jedoch weg, da die Setzgrößen in der Regel selten bessere Pot-Odds als 1:3 zulassen. Ein Gegner bräuchte schon einen Straight-Flush-Draw um nur wegen der Pot-Odds einen korrekten Call machen zu können.
3. Beim No-Limit ist es meistens wichtiger seinen Stack als den Pot oder seine Hand zu schützen. Wie auch bei Punkt eins kommt hier das Risiko-Gewinn-Verhältnis ins Spiel. Es ist anders als beim Limit beim No-Limit häufig korrekt, darauf zu verzichten, die absolute Chance auf den Gewinn des Pottes zu maximieren, um das Risiko, seinen Stack zu verlieren klein zu halten. Der Pot ist im Vergleich zu den folgenden Bets schlicht zu klein, um ohne Not seinen Stack zu riskieren.
4. Der Verzicht auf “Protection”-Bets oder -Raises kann zu deutlich höheren Profiten führen. Callt der Protagonist in dem obigen Beispiel die C-Bet nur, gibt er dem Cut-Off wenig Anhaltspunkte über die Stärke seiner Hand. Es kann sein, dass dieser die Hand des Protagonisten deutlich schwächer einschätzt und den Turn oder River blufft oder es kann sein, dass der Cut-Off sich mit einer deutlich schwächeren Hand weiterhin vorne sieht. Hat der Cut-Off zum Beispiel eine Hand wie Jx Tx , ist es sehr wahrscheinlich, dass er bis zum River zumindest noch eine substantielle Bet zahlt oder bringt, aber auf einen Raise auf dem Flop gefoldet hätte.
5. Anders als beim Limit ist eine signifikante Bet oder ein Raise eine substantielle Drohung. Während beim Limit ein Raise den Preis einfach nur um eine Small-Bet oder Big-Bet erhöht, ist dieser beim No-Limit sehr häufig mit der Drohung verbunden, um den gesamten Stack zu spielen. Diese Kulisse sollte bei Überlegungen bezüglich eines Raises auf dem Flop in der Regel an erster Stelle stehen, nicht die Idee, dass der Gegner einen 5-Outer treffen könnte.
Im nächsten Teil der Serie werden wir uns das Konzept des “Raises für Informationen” vorknöpfen.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 24.05.2012.