Vor einigen Monaten spielte ich die Unibet UK Poker Tour in Brighton. Es ist Tag 1A, ich spiele ganz ordentlich und baue mir einen guten Stack auf. Dann werde ich an einen neuen Tisch gesetzt und finde mich neben dem Unibet-Markenbotschafter Espen Uhlen Jørstad wieder.
Ich hatte ihn noch nie getroffen und er wusste nicht wer ich war. Allerdings wusste ich von einer Pressemitteilung, dass er Partner des schwedischen Poker-Anbieters ist. Er sorgte für eine sehr angenehme Atmosphäre am Tisch, sprach über sein Leben und stellte mir zahlreiche Fragen. Es dauerte nicht lange und meine Konzentration dahin und ich spielte wie ein völliger Idiot, denn ich fand Espen auf einmal interessanter als das Spiel.
Dann wunderte ich mich – war er einfach nur freundlich oder war sein Verhalten ein strategischer Schachzug? Ich fragte ihn genau das und dies antwortete er darauf:
Espen Uhlen Jørstad: Das war keine Strategie. Es tut mir leid, wenn ich dich von deinem Spiel abgebracht habe. Ich verpasse auch sehr viele Spielinformationen, weil ich so viel rede – die Straße geht also in beide Richtungen. Ich mag zwar auch Informationen von dir erhalten, aber ich gebe auch Informationen preis, weil ich so ehrlich und authentisch bin.
LD: Du warst sehr einladend. Wie viel in dieser Rolle stammt von deiner Funktion als Markenbotschafter für Unibet?
EUJ: Gar nichts. Ich war schon so, bevor ich diesen Job hatte. Am Pokertisch war ich schon immer sehr gesprächig.
LD: Warum unterhalten sich nicht mehr Spieler, um einen Vorteil im Spiel zu erhalten?
EUJ: Poker ist auf einem absteigenden Ast und wenn jeder hier nur mit Kopfhörern, Hoodies und Sonnenbrillen sitzt, wird dieser Abwärtstrend weitergehen, denn so macht Poker viel weniger Spaß. Es fühlt sich so an, als würden viele professionelle Spieler sich nur hinsetzen und grinden, als wäre es ihr Job. Sie verpassen dabei aber den Teil des Spiels, der ihren Job unterhaltsam macht.
LD: Wenn man dich jetzt so ansieht, bist du sehr adrett, schick gekleidet und ansehnlich. Auf deinem Blog jedoch kann man lesen, dass du früher ein fetter Lümmel warst, und der 24/7 World of Warcraft gezockt hat. Was ist passiert?
EUJ: Als Kind habe ich Computerspiele gespielt, um der Realität zu entfliehen. Ich war 14, unattraktiv, dick, hatte keine Sozialkompetenz und war nicht gerade das beliebteste Kind auf dem Schulhof. Das einzige was damals zählte, war von den coolen Jungs akzeptiert zu werden. Inzwischen weiß ich, dass es ganz normal ist, für Leute Ausflüchte zu suchen, wenn sie Probleme im richtigen Leben haben. Da bin ich ganz froh, dass es bei mir nur 15 Stunden pro Tag WoW war und keine Drogen oder Alkohol. Wenn man mich heute hört, möchte man meinen, dass ich ein selbstbewusster Mensch bin, doch ein Teil von mir ist immer noch dieses, ängstliche und schüchterne Kind. Ich arbeite quasi immer noch daran.
LD: Es scheint, als wärst du sehr offen und selbstbewusst am Pokertisch, doch abseits des selbigen deutlich zurückhaltender. Warum?
EUJ: Als ich jünger war, fühlte ich mich nur bei LAN-Parties wirklich wohl, denn meine einzigen Fähigkeiten lagen in Videospielen. Wenn ich da war, fühlte ich mich respektiert. Abseits dieser Szene hatte ich jedoch überhaupt kein Selbstbewusstsein. Ich glaube, beim Pokerspiel ist das heute noch ein wenig ähnlich, doch glücklicherweise weiß ich, dass meine Pokerfähigkeiten nicht das einzige sind, was ich in die Waagschale werfen kann.
LD: Wie wurde aus dem WoW-abhängigen „dicken, ängstlichen Lümmel“ der selbstbewusste Unibet-Markenbotschafter, den ich hier heute sehen?
EUJ: Das war ein schwerer Prozess. Ich meldete mich mit 18 zur Armee und diese änderte eine Menge in meinem Leben. Ich war zwangsweise von lauter fremden Menschen umgeben und musste mit ihnen umgehen. Ich habe 18 Kilogramm Gewicht verloren und das gab mir eine gute Portion Selbstbewusstsein. Die Struktur und Disziplin haben mir auch sehr geholfen.
LD: Wie kam es zu der Entscheidung, zur Armee zu gehen?
EUJ: Das war mehr oder weniger zufällig. Ich hatte damals ohnehin nicht viel gemacht, hatte gerade die Schule abgebrochen, hatte eigentlich nur Warcraft gezockt und gammelte rum. Ich bekam einen Anruf und man fragte mich, ob ich zur Armee gehen wollte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass mir dies helfen könnte und so sagte ich zu.
LD: Wer hat dich denn da angerufen?
EUJ: Das muss ein Typ von der Kommunikation bei der Armee gewesen sein. In Nordnorwegen hatte man nicht genug Leute bei der Luftwaffe und da sollte ich hin. Anfangs hielt ich diesen Anruf für ganz schön unprofessionell. Es war in etwa so: „Hey, kannst du für ein Jahr zur Armee kommen? Es geht in zehn Tagen los.“
Ich hielt das anfangs für einen Spaßvogel aus dem Internet und meine Freunde sagten, ich sollte den Quatsch vergessen. Aber es stellte sich heraus, dass es ein ernst gemeintes Angebot war. Die meisten Jungs in meiner Truppe waren zwischen 21 und 22 Jahren alt und wir sechs neuen Rekruten – allesamt 18 – wurden nur "die Kinder" genannt.
LD: Hattest du gar keine Angst ... vorm Sterben?
EUJ: Ich habe ein ein Jahr da und man hätte uns nicht etwa nach Afghanistan geschickt. Das einzige, was mich da hätte umbringen können, wäre die eisige Kälte gewesen.
LD: Was hast du gemacht, also aus der Armee zurück gekommen bist?
EUJ: Ich fing wieder mit dem Gammeln an. Ich zog in eine größere Stadt in Norwegen, fing an, Poker zu spielen, nahm das ganze aber nicht sonderlich ernst. Ich wusste nicht, was ich mit meinem Leben anstellen sollte. Ich hatte keine Wertevorstellungen, ich war jung, unreif und wollte eigentlich nur das machen, worauf ich Lust hatte. Ich hatte keine Ambitionen oder Ziele. Ich verbrachte viel Zeit im Fitnessstudio, ging ins Solarium, kümmerte mich um meine Frisur und darum wie ich aussah und was die Leute von mir dachten. Ich hatte das Gefühl, ich müsste jemand sein, der ich gar nicht war. Außerdem habe ich immer noch sehr viele Videospiele gespielt und hing auf Partys ab. Mein Leben ging nicht unbedingt in eine gute Richtung.
LD: Habe ich nicht auch irgendetwas von Arbeit in einer Brauerei gehört?
EUJ: Ja, das war nach dem Schwarzen Freitag. Ich habe nicht mit Poker aufgehört, sondern habe weiter gespielt – zwar nicht jeden Monat, doch dann und wann, quasi als Nebeneinkunft. Irgendwie war ich vom Pokerspiel ausgelaugt. Ich war einmal jemand, der alle Bücher gelesen hat, alle Strategievideos geschaut hat und jedes Jahr alle Liveübertragungen von Turnieren verfolgt hat. Doch dann war ich irgendwie ausgebrannt und hab nur noch dann und wann Heads Up gegen Fische gespielt.
Dann hat meine Familie Druck gemacht. Die waren nicht gerade begeistert von meinem Lebensstil – Poker, Partys und keine Perspektive. Ich ging zurück zu Schule, denn das mal davor waren meine Noten katastrophal und ich war fast nie da.
Man kann quasi Blizzard für mein Fehlen in der Schule verantwortlich machen. World of Warcraft ist eine ziemlich heftige Droge.
Diesmal wollte ich das mit der Schule richtig machen. Wenn ich mir etwas vornehme, kann ich auch gute Leistungen abliefern. Ich habe keine Stunde geschwänzt und meine Noten waren drastisch besser als zuvor. Ich stellte fest, dass mir Mathematik, Chemie und Biologie wirklich Spaß machten und am Ende verbrachte ich insgesamt fünf Jahren in Bildungseinrichtungen und schloss am Ende mit einem Master in Brauwissenschaften ab. Das ist quasi Nahrungsmitteltechnologie spezialisiert auf das Brauen von Bier.
Auf Bier kam ich, als ich meinen Bachelor in Nahrungsmitteltechnologie machte. Da kam ich darauf, dass ich das Zeug nicht nur gerne trinke, sondern dass mich die Chemie, Mikrobiologie und Wissenschaft dahinter sehr interessiert. Für einen guten Humpen Bier müssen wirklich viele Sachen zusammenkommen.
Nach Abschluss meines Masters bekam ich einen Job als Techniker in einer norwegischen Brauerei. Da habe ich eine Menge gelernt und die Arbeit hat mir viel Spaß gemacht. Doch irgendwie konnte ich mich mit dem Gedanken nicht so richtig anfreunden, für jemand anderen zu arbeiten. Ich wollte irgendetwas selbst machen. Nach einem Jahr kündigte ich den Job, flog mit meiner damaligen Freundin nach Budapest und wir machten ein kleines Craft-Bier-Geschäft dort auf. Für das Projekt hatte ich einen Partner und die Idee war es, nebenbei Poker zu spielen, um so das Projekt zu finanzieren.
Dann sind ein paar Dinge passiert. Das Pokerspiel lief wirklich gut und es macht mir auf einmal wieder Spaß. Dann hat mir Unibet diesen Deal angeboten und den konnte ich einfach nicht ignorieren. Jetzt haben wir das Bier-Projekt erst einmal pausiert. Ich verließ Budapest, zog nach Malta und konzentrierte mich auf Poker, Twitch und meine Rolle bei Unibet. Das war im Februar 2017.
LD: Ich weiß, dass dein Vater Alkoholprobleme hatte und sehr jung gestorben ist. Eine Brauerei ist doch wohl der letzte Ort, an dem er dich gerne gesehen hätte.
EUJ: Ja, mein Vater war 42 als er starb. Er hatte viele Probleme mit Drogen und Alkohol und wir hatten kaum ein richtiges, gesundes Vater-Sohn-Verhältnis. Den Großteil meiner Kindheit war er im Gefängnis und in meinen jungen Jahren verbrachte ich nicht sehr viel Zeit mit ihm. Erst als ich ein älterer Teenager war begann ich ein Verhältnis zu ihm aufzubauen. Er war sehr clever und immer sehr gut zu mir. Doch leider haben ihn seine Abhängigkeiten überwältigt und mit seiner Gesundheit ging es rapide bergab.
Als ich den Job in der Brauerei hatte, dachte ich an meinen Vater. Meine Geschichte lehrt, mich fern von dem Zeug zu halten, oder zumindest vorsichtig zu sein. Brauereien und Craft-Bier hat für mich jedoch nichts damit zu tun, Unmengen Bier zu trinken und besoffen zu sein. Es geht um die Kultur, die Leute und die Erfahrung. Es geht darum, verschiedene Geschmacksrichtungen, Aromen und Genusserfahrungen zu erforschen, nicht darum sich mit zwölf Heineken abzuschießen.
LD: Denkst du manchmal darüber nach, wie du als Vater sein wirst?
EUJ: Ehrlich gesagt bin ich mir gar nicht so sicher, dass ich überhaupt Vater werden will. Ich habe darüber viel nachgedacht, denn ich bin inzwischen 29 und die meisten Leute in meinem Alter haben schon Kinder oder denken zumindest darüber nach. Zumindest heiraten sie und werden erwachsen. Ich habe gerade eine Beziehung beendet, denn ich will all diese Dinge nicht. Wenn ich sie jetzt nicht will, vielleicht ist das nicht der richtige Weg für mich. Das mag für andere Menschen vielleicht traurig und merkwürdig klingen, aber das ist wirklich kein Ziel, welches ich verfolge.
LD: Zurück zu deiner Zeit in Budapest. Sagtest, dein Pokerspiel hatte sich verbessert. Warum?
EUJ: Ich habe nicht wirklich etwas anders gemacht, nur mehr gespielt. Als ich noch gearbeitet hatte, gewann ich mit der selben Rate, spielte jedoch viel weniger. Nachdem ich längere Zeit auf Twitch Streams von Videospielen – etwa Dota 2, Hearthstone oder auch Poker – verfolgt hatte, entschied ich mich, auch selbst zu streamen.
Anfangs war ich noch nervös und dachte mir: „Was, wenn es keinem gefällt, wenn keiner zuschaut?“ Aber es dauerte nicht lange, bis ich einen Rhythmus gefunden hatte und es schien den Leuten zu gefallen. Ich erinnere mich, dass die Zuschauerzahl Woche für Woche stieg. Nach dem ersten Monat hatte ich mehr Poker denn je gespielt, denn das Streamen hatte mir so viel Spaß gemacht. Dies gab mir die Motivation, wieder zu grinden und ich hatte auch einen Grund, wieder Zeit mit dem Training des Spiels zu verbringen. Ich wollte schließlich nicht vor all den Zuschauern wie ein Idiot aussehen.
LD: Für jemanden, der als Kind sozial inkompetent war, scheint es eine ungewöhnliche Wahl zu sein, auf Twitch zu streamen. Bist du manchmal verwirrt, wie du eigentlich bist?
EUJ: Ich muss mich jeden Tag neu finden. Vor Twitch hatte ich überhaupt nichts mit sozialen Medien gemacht, doch jetzt mache ich sogar VLOGs für Unibet. Du kannst dir vorstellen, wie unwohl ich mich fühle, wenn ich mit einem Selfie-Stick rumlaufe. Ich fühle mich auch unwohl, wenn ich fotografiert werde. Aber ich springe einfach kopfüber in das Abenteuer rein. Für mich ist das eine Möglichkeit zu wachsen, nicht zu scheitern.
LD: Wie kam es überhaupt zu diesem Deal mit Unibet?
EUJ: Ich habe die Jungs von Unibet selbst kontaktiert. Ich habe ihm gesagt, dass ich auf Twitch streame und Vollzeit auf Unibet spiele. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen sich den Stream anschauen und mich wissen lassen, ob sie in der Zukunft mit mir zusammenarbeiten wollen. Ich habe nie geglaubt, das würde passieren, aber sie haben zugeschaut, es gefiel ihnen und nun bin ich hier.
» Espen Uhlen Jørstad auf Twitch
Dieser Artikel erschien im Original auf unserer Schwesterseite PokerListings.com: » Espen Uhlen Jørstad: From WoW 'Slob' to Poker Stream Star
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 08.08.2017.