Sonntag vor einer Woche verstarb die Pokerlegende Amarillo Slim, und sein Tod löste in den Pokermedien gespaltene Reaktionen aus. Zwar werden ihm viele Verdienste für das Pokerspiel attestiert, doch seine Verurteilung wegen Kindesmissbrauchs und antisemitische Äußerungen erschütterten seinen Ruf zurecht stark.
In seinem jüngsten Blog hat sich nun Doyle Brunson noch einmal des Themas Amarillo Slim angenommen. Wohl kaum jemand kannte Slim so gut wie er, daher bringen wir diesen Text hier komplett in deutscher Übersetzung.
Nachdem ich erfahren hatte, dass Amarillo Slim sich im Krankenhaus befand, fand ich die Nummer heraus und rief ihn an. Seine Stimme war so schwach, dass ich ihn kaum verstand, aber sein Humor war ungebrochen. Wir unterhielten uns einige Minuten und als wir uns einige gemeinsame Höhepunkte unserer Zeit als Pokerspieler ins Gedächtnis riefen, war uns beiden klar, dass er nicht mehr lang am Leben sein würde. Slim meinte, soweit er sich erinnere, hätte es zwischen uns nie ein böses Wort gegeben, und ich stimmte ihm zu. Wir verabschiedeten uns und Slim meinte, „Pass auf Dich auf, wir sehen uns.“ In einem traurigen Versuch von Humor antwortete ich, „Hoffentlich nicht so bald.“ Slim lachte so heftig, dass er fast aus dem Bett fiel, als wir auflegten. Ich aber muss zugeben, dass ich Tränen in den Augen hatte.
Slim wurde vor 83 Jahren in Arkansas geboren, zog aber schon in seinem ersten Lebensjahr nach Texas. Er entwickelte sich zu einem jungen Mann mit einem Lockenkopf, der schnell einer der besten Poolspieler von Texas wurde. Das Leben in der Kleinstadt war ihm zu langweilig, daher ging er zur Marine, wo er das Pokerspiel erlernte. Auf seinem Schiff im Pazifik erspielte er sich ein kleines Vermögen. Dabei befand er sich ganz in der Nähe des ersten Atombombenunterwassertests.
Schließlich kam er nach Amarillo, Texas zurück und nahm seinen Spitznamen Amarillo Slim an, den er nie wieder abgab. Sein Lieblingsspruch war: „Amarillo hat immer die gleiche Bevölkerung. Immer wenn eine Frau schwanger wird, verlässt ein Mann die Stadt.“ Der junge Zocker brauchte nur ein paar Monate, um sein Spielkapital gegen die besten Pokerspieler von Texas oder bei Pferdewetten zu verlieren.
Slim beschloss, zum Militär zu gehen und sich wieder eine Bankroll aufzubauen. Er ging nach Deutschland und verbrachte dort die meiste Zeit damit, sein Geld auf dem Schwarzmarkt zu verdienen. Er verdiente Zehntausende Dollars, indem er Micky-Maus-Uhren und andere Merchandise-Artikel an russische Soldaten verkaufte. Er hatte sich wieder eine große Bankroll aufgebaut, als er von der Armee entlassen wurde. Nach seiner Rückkehr nach Amarillo fing er an, herumzureisen, krumme Wetten anzubieten und Poker zu spielen.
Das erste Mal traf ich ihn bei einer Pokerpartie in der Nähe von Houston. Nach einem Gespräch mit ihm und Sailor Roberts wurden wir gleichberechtigte Glücksspieler, die alle Gewinne und Verluste teilten. Hintergrund hierfür war die Gefahr, ausgeraubt und eingesperrt zu werden. Slim wusste viel über die Methoden der Betrüger und sorgte dafür, dass wir nicht beschissen wurden.
Unsere Partnerschaft hielt sieben Jahre, in denen wir die gesamten Südstaaten bereisten. Wir spielten hauptsächlich Poker, doch spielten wir auch Pool-Billard mit mir und Slim als Team. Ich war nicht besonders gut beim Pool, aber mit Slim als Coach gewannen wir meist. Wir bestritten auch viele Golfrunden und gewannen dort viel Geld, doch kamen wir immer wieder auf Poker zurück.
Unsere Partnerschaft war in der Pokerwelt unübertroffen. Sailor Roberts hielt ich immer für gleich gut wie mich und sein ruhiges Gemüt gab uns Sicherheit. Obwohl wir die besten Spieler unserer Zeit waren, verbrachten wir unzählige Stunden damit, Hände zu geben, um die Gewinnchancen zu ermitteln. Heute ist dies mit einem Computer möglich, doch wir mussten Bleistift und Papier benutzen. Das ist der Grund, warum wir die Pokerszene so beherrschten. Wir wussten viel und keiner der anderen Spieler hatte so viel Zeit dafür aufgewendet wie wir.
Man fragt mich immer, ob Slim ein guter Spieler war und so gut pokern konnte wie ich und Sailor. Meine Antwort lautet zwar „Nein“, doch er war besser als der Durchschnitt. Slims Hauptbeitrag zu unserer Partnerschaft bestand darin, Runden zusammen zu trommeln und die Leute dazu zu bringen, mit uns zu spielen. Er hatte ein Mundwerk, wie ich es nie mehr erlebt habe. Er war absolut furchtlos und ihm war nichts peinlich. Leider war er groß und dünn und daher nicht zu gebrauchen, wenn es Ärger gab. Da Sailor zu nett war, musste immer ich mich prügeln, wenn die Dinge aus dem Ruder liefen.
Meine Augenbrauen sind voller Narben, da wir viele Abenteuer erlebten und eine Menge Spaß hatten. Wir wurden viermal Opfer eines bewaffneten Raubüberfalls, wurden mehrmals eingesperrt und schwebten oft in Gefahr. Und warum machten wir sieben Jahre damit weiter? Weil wir das Pokerspiel einfach liebten.
Slim schloss unglaubliche Wetten ab. Er schlug Minnesota Fats beim Pool, als er statt eines Queues einen Besen benutzte. Champion Bobby Riggs schlug er beim Tischtennis unter der Bedingung, dass er die Schläger aussuchen könnte. Er wählte Bratpfannen, übte monatelang und gewann leicht. Er wettete, dass er auf einer Strecke von 100 Yards schneller als ein Rennpferd wäre. Er rannte 50 Yards in die eine Richtung, drehte um und rannte die 50 Yards in die andere Richtung. Wieder gewann er leicht. Ging es um einen ernsthaften Betrag, hat er nie eine Wette verloren.
Dass er vier WSOP-Bracelets gewonnen hat und in fünf Hall of Fames aufgenommen wurde, unterstreicht seine Fähigkeiten. Das Pokerspiel hat ihm viel zu verdanken. Nachdem er 1972 die Weltmeisterschaft gewann, verschaffte er dem Spiel viel Respekt, indem er in Fernsehshows ging und seine Geschichten erzählte.
Diesen Spruch von ihm habe ich immer geliebt: „Ich suche nie nach einem Trottel, den ich besiegen kann. Ich suche nach einem Meister, den ich zum Trottel machen kann.“
Ruhe in Frieden, Amarillo Slim!
Möge der Flop Euch gewogen sein,Doyle Brunson
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 08.05.2012.