Zwischen EPT Main Event und dem unvermeidlichen Cashgame vertrieb sich unser Strategie-Gott villains_hero die Zeit mit seinem Bericht von seinen Turniererfahrungen. Den ersten Teil konnten unsere Leser bereits gestern genießen, der zweite folgt hier:
Bald kam ein freundlicher EPT-Mensch zu unserem Tisch und sagte, wir müssten umziehen, wir seien nun der zweite TV-Tisch. Meines Wissens sind die TV-Tische diejenigen mit den Superstars, so dass ich nach dieser Ansage noch einmal fragend in die Runde geschaut habe, denn bis dahin hatte ich an unserem Tisch zwar zweieinhalb schlechte, aber (inklusive mir) keinen besonders guten Spieler ausgemacht. Was sich schnell ändern sollte.
Auf dem ersten freien Platz nahm Vanessa Selbst Platz und baute vor sich einen Riesenhaufen Chips auf. Noch vergangene Woche hatte ich ein paar Stunden mit ihr Cashgame gespielt und den Umstand genossen, dass mir als Freund der Ruhe beim Online-Poker niemand eine Blase ans Ohr quatschen kann. Ansonsten löste ihr Erscheinen gewisse Befürchtungen aus, gar nicht einmal so sehr wegen ihrer Spielstärke.
Ihre Strategie-Beiträge auf 2p2 (unter dem Synonym „fslexcduck“) finde ich oft eher redundant als zielführend, aber ich nehme zur Kenntnis, dass sie a) exzellente Turnierergebnisse vorweist und dass b) viele der besten Spieler ihr mit Hochachtung begegnen. Als langjähriger Deucescracked-Kunde habe ich insofern mehrfach versucht, mich auf ihre Videos/Podcasts einzulassen. Zum Beispiel auf ihre Serie „Tournamentality“, bei der sie mit teils hochinteressanten Gästen über Turnierpoker spricht.
Leider kommen diese Gäste kaum zu Wort. Selbst wenn Nelson Mandela, Leonardo da Vinci und Jesus höchstselbst bei ihr am Mikro säßen, auch diese drei hätten wenig zu melden angesichts des nicht zu stoppenden Redeflusses der „besten Pokerspielerin der Welt“, wie ich jetzt auf PokerOlymp gelesen habe (und was da steht, stimmt bekanntlich). Sie mag die beste sein, aber ihre Videos schaue ich nun nicht mehr, weil ich weiß, dass ich nach einigen Minuten eh genervt abschalte.
Dennoch ist es rührend zu erleben, wie sehr Vanessa Poker liebt und lebt. Welche Freude es ihr bereite, auch den marginalsten Pipispot erschöpfend zu diskutieren. Bei aller Genervtheit („Warum hab‘ ich Blödmann mein iPod im Hotelzimmer gelassen?“) empfinde ich auch ein wenig Neid, denn von dieser Attitüde habe ich nach einigen Jahren in der Poker-Tretmühle wahrscheinlich zu viel verloren.
Vanessa jedenfalls hatte schnell ein Opfer gefunden, denn kaum hatte sie sich gesetzt, sah ich rechts von mir erst eine gewaltige goldene Armbanduhr blinken und dann den dazugehörigen Bigstack Platz nehmen: Olivier Busquet, US-Amerikaner mit französischem Namen und eine weitere ganz große Nummer der Live-Turnier-Szene. Nach den ersten Minuten Selbstscher Dauerbeschallung zeigte Busquet einen strategisch überaus gewitzten Move, mit dem er versuchte, die Kollegin ruhigzustellen: Er finde es bewundernswert, wie sie jede Nuance am Tisch mitbekomme, obwohl sie doch offensichtlich kaum aufpasse, ließ er sie in einer ihrer Atempausen wissen. Schlau ausgedacht, hat aber leider nicht funktioniert. Nun fühlte sie sich erst recht angefeuert, dem guten Olivier eine Hand nach der anderen zu erklären.
Ich war mittlerweile bei gut 20BB angekommen und ein wenig enttäuscht, weil ich mit Position auf diese beiden gerne ein bisschen Live-Poker vor laufenden Kameras gespielt hätte, anstatt nur auf einen Spot zu warten, in dem ich alles reinstelle. Foldequity hatte ich nicht mehr gegen die zwei mit ihren >100BB-Stacks, aber da beide recht weit eröffneten und kaum einmal folden würden, konnte ich recht weit für Value pushen. Zum Beispiel im Level 300/600, als Vanessa in MP2 eröffnete, Olivier am CO coldcallte und ich mit 99 am Button All-in ging. Der SB foldete, und dann hörte ich zu meinem Entsetzen den BB „Call“ sagen. „Hoffentlich hat der AK“, war mein Denkprozess, während ich Vanessa und Olivier folden sah. Der BB deckte dann tatsächlich AK auf, das Board weiß ich nicht mehr, aber ich weiß noch, dass ich gewonnen habe.
Und tatsächlich wieder in Gegend um die 50BB angekommen war, leider nur für einen Orbit. Dann eröffnete der einzig verbliebene schlechte Spieler, der oben erwähnte Russe, aus früher Position, bekam zwei Coldcalls, ich squeeze recht groß mit QQ aus dem SB (der Russe foldet eh nie, also so groß wie möglich 3betten). Russe callt, zwei fold, Board AK7. Kleine cbet, call, Turn check check, River check bet fold. Und schon war ich wieder im Push/Fold-Modus.
Fold Equity hatte ich mit meinen gut 20BB bis dahin wenigstens noch gegen den jungen Skandinavier zwei rechts von mir, der beständig zwischen 40 und 50 BB pendelte. Während ich gegen Vanessa und Olivier ausschließlich, aber dafür recht leicht für Value pushen konnte, eignete sich dieser Villain für Bluffshoves. Was auch einmal funktionierte, als er am CO eröffnete und ich, seit Stunden sehr tight, aus dem SB 65s gepusht habe, was ihn zu einem Turbomuck veranlasste. Nun bustete aber auch dieser Skandinavier, und eine weitere „big gun“ nahm seinen Platz ein, der Schwede Anton Wigg, ebenfalls mit mehr als 100BB bestückt und offensichtlich darauf aus, viel zu eröffnen und den Tisch nach Möglichkeit zu dominieren.
Eine halbe Stunde vor Ende des finalen Levels 500/1k am ersten Tag eröffnete Wigg 2,2k am HJ, ich am BU mit 99 und 29k-Stack. Der weit eröffnende Schwede hatte nicht gesehen, wie ich über Stunden recht tight meinen shorten Stack verwaltete, aber im Orbit zuvor hatte er mich Busquet 3betten sehen. Insofern eine einfache Entscheidung für mich: 3b/call. Wigg wird sich etwas Foldequity ausrechnen und ohnehin leicht 4betpushen, um den kleineren Stacks anzuzeigen, dass er nicht herumzuschubsen ist. 99 dürfte einen ordentlichen Edge gegen seine 4betpush-Range haben, die wahrscheinlich schlechtere Pocketpaare beinhaltet ebenso wie das eine oder andere Ax. Und so kam es wie erwartet: Ich 3bet auf 5,2k, er 4bet-pusht nach kurzem Innehalten, ich call, er hat KTs – und trifft am Turn den K. So viel zu meinem Berliner EPT-Main Event 2012.
Interessant fand ich noch, dass ich mir diese Spots erst neulich von einem exzellenten Turnierspieler aus Sicht des Bigstacks habe erläutern lassen. Wer mag, kann das hier nachlesen, die dritte Antwort von Soepgroente etwas weiter unten im Thread . Interessant fand ich auch die Frage, die mir anschließend Pokerolymp-Chef Arved stellte: „Was machst du in dem Spot mit 22?“ Darauf kann ich meine Lieblingsantwort anbringen: „Keine Ahnung, müsste ich mal ins Forum stellen.“
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 19.04.2012.