Das Thema ist so alt wie das Pokerspiel. Irgendwann erwischt die Varianz praktisch jeden und am Ende einer langen Verlustserie stehen Fragen wie, ob man zu schlecht ist, warum das Schicksal es übel mit einem meint oder ob Poker wirklich das richtige Spiel für einen ist.
Anlässlich eines Beitrags von „Saxophone“ im 2+2-Forum, der bei seinem Angriff auf die Nosebleed-Partien seine Bankroll von 500.000 Dollar verlor, hat sich Pokerprofi Alec Torelli des Themas angenommen und einen interessanten Beitrag verfasst. Torelli spielt seit sechs Jahren professionell Poker und wurde unter anderem bei der WSOP 2008 Zweiter im Heads-Up-Event.
Hier sein Beitrag:
Einleitung: Eine persönliche Erfahrung
Im Bellagio sehe ich bei einem Rundgang, wie sich um eine Gruppe schreiender Leute eine große Horde Menschen schart. Ich bleibe stehen, um den Grund der Aufregung zu erfahren. „Was ist los?“, frage ich einen Mann.
„Kevin Garnett und Paul Pierce (Anm. d. Ü.: zwei berühmte Basketballspieler) spielen Blackjack.“ Ich arbeite mich nach vorne. Die Gruppe bricht in Freude aus und wirft die Arme in die Höhe. Ein betrunkener Mann schüttet mir fast sein Bier auf den Kopf. Sie müssen ein Vermögen gewonnen haben.
Als ich die Hände der beiden sehe, nehme ich zunächst nicht ihre Einsätze wahr, sondern Garnetts Uhr. Selbst im schwachen Licht des Casinos glänzt sie mit ihren großen Diamanten. Meine Augen wandern die Hand zu den Fingern hinunter und ich kann es nicht glauben. Ich versichere mich noch einmal, und tatsächlich, die roten Chips sind unmissverständlich. Sie spielen um 10 Dollar pro Hand.
Der Grund: Stimulation
Obwohl die beiden um kaum etwas spielten, sorgte ihr Auftritt für eine Menge Aufregung. Dagegen kann ein Highstakes-Profi mit einem viel niedrigeren Nettoeinkommen einen Betrag mit drei Nullen mehr gewinnen, ohne mit der Wimper zu zucken. Wie kann das sein? Beim Spielen entwickeln unsere Gehirne eine Stimulationstoleranz, die sich nicht von einem Alkoholiker unterscheidet, der sich zehn Getränke reinpfeift. Der Exzess ist normal.
Wir können mit der Fluktuation nur so lange umgehen, bis das Geld real wird. Sobald diese Schwelle überschritten wird, kommen die Emotionen zurück.
Wenn wir gewinnen, sind dies Freude und Euphorie, wenn wir verlieren, Angst und Panik. Verluste sind immer schlimmer als Gewinne. Sie sind für unseren Gemütszustand so verheerend, dass ich den Wendepunkt als „AS“ für Angstschwelle bezeichne. Die AS differiert je nachdem, wie oft jemand spielt. Für zwei Sportler, die kaum Geld riskieren, ist die kleinste Volatilität aufregend.
Das Problem: Innerer Zwang
Entscheidet sich jemand für Glücksspiele, ist das Überschreiten der AS unvermeidlich. Durch die Einführung von Verlustmaxima oder Pausen nach längeren Verlustserien könnte es vermieden werden, doch sind diese Tipps zwar gut, funktionieren aber nicht immer.
Zunächst müssen wir sie überschreiten, um sie überhaupt bestimmen zu können. Außerdem ist eine sehr lukrative, aber teure Partie selbst für den konservativsten Pokerspieler zu unwiderstehlich, um nicht daran teilzunehmen. Seien wir ehrlich, wir zocken gern. Das eigentliche Problem besteht dann aber darin, wie wir uns erholen, wenn das Unvermeidliche geschieht.
Die Lösung: Maßnahmen ergreifen
Ein Pokerspieler wird für Geld unempfindlich. Für mich ist das ein ständiger Kampf, da ich nicht annähernd so reich bin, um mir eine solche Geisteshaltung leisten zu können. Die teuerste Hand, die ich verlor, ging um 475.000 Dollar, und mein größter Downswing belief sich auf 1 Million Dollar. Als Folge erlebte ich ein Gefühl von Verlust und Verzweiflung und eine Leere, wie man sie von einer schmerzlichen Trennung kennt. Nach meiner Erfahrung ist die beste Methode, sich von einem solch traumatischen Erlebnis zu erholen, Poker und Leben als zwei Realitäten voneinander zu trennen.
Ich weiß, dass meine AS bei dem Betrag liegt, den ich verlieren kann, ohne den Durchblick zu verlieren. Das Gegenteil ist die Gewinnobergrenze. Überschreite ich eine der beiden Grenzen, nehme ich mir einen Tag frei, um etwas Kreatives und Neues zu tun. Der Besuch eines neuen Restaurants, ein Spaziergang in einer unbekannten Gegend oder Sport kann zum Beispiel den Unterschied ausmachen, ob man wieder bei Null anfangen kann oder belastet ist. Als weitere Therapie schaffe ich mir als Belohnung oder zur Erholung etwas Neues an. Damit mache ich mir wieder einmal klar, dass das beim Poker gewonnene Geld in der realen Welt einen Wert hat, und motiviere mich, noch besser zu spielen.
Manchmal habe ich nicht die Freiheit, mir einen Tag frei zu nehmen. Ein lukratives Cashgame zwingt mich zum Spielen oder ich überschreite die AS während einer Session und will weiterspielen. Die schnellste Methode, sich neu zu konzentrieren, ist ein wenig beunruhigend, aber sie funktioniert. Ich zerreiße Geld.
Es stimmt. Ich stehe vom Tisch auf, nehme einen 1-Dollar-Schein, zerreiße ihn in Stücke und werfe ihn weg. Glauben Sie mir, das ist gut und erinnert einen daran, dass die Verzweiflung nicht vom Geld kommt, sondern das Gehirn süchtig nach Stimulation ist.
Um wieder in Schwung zu kommen, müssen wir mehr Abwechslung schaffen. Dieser lächerliche Dollar kann einem Tausende von Dollar am Tisch sparen.
Als letzten Punkt müssen wir an etwas denken, dass wichtiger als alles andere ist: Freude. Bei der Frage, ob man Poker spielen sollte, geht es nicht darum, seine Entscheidungen auf Basis des EV in Geld zu treffen, sondern wie diese unseren HEV (happiness expected value) beeinflussen.
Körperliche Erholung ist kurzfristig wichtig, bei Verlustsessions und erfolglosen Tagen. Langfristig jedoch, also bei Monaten mit Verlust und verlorenen Bankrolls, braucht man eine mentale Veränderung.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 19.03.2012.