Im März 2002 konnte ich beim Spring Festival des Victoria Casinos, innerhalb von 11 Tagen, 2 Hold’em Turniere gewinnen und einen 8ten Platz erzielen. Die Gründe für diese herausragenden Ergebnisse waren gute Kenntnis der Gegnerschaft, allumfassendes Wissen, transzendenter Klarblick, Gespür für richtiges situationsbezogenes Handeln und, wenn ich bei der Wahrheit bleibe, eigentlich nur ein Mörderlauf. Der Internet-Boom hatte noch nicht eingesetzt und das Cashgame der Wahl war damals Omaha Potlimit. Kurz danach spielten wir an einem vollen Omaha £500 Buy-in Tisch, 3 Spieler auf der Warteliste. 3 Spieler sind nicht genug um einen 2ten Tisch aufzumachen, aber reichlich, um am Nebentisch lautstarke Diskussionen abzuhalten. Das Thema waren Odds beim Hold’em und da ich ja gerade eine überzeugende Vorstellung abgeliefert hatte, versuchte man, mich in die Diskussion einzubeziehen. Nun, wenn Sie keinen Unterricht bei mir gebucht haben, kenne ich genau 3 unterschiedliche Quoten:
1. 50:50 Entweder es kommt oder es kommt nicht
2. Bei klaren Longshots: Ein Drittel eines Viertels eines Siebtels von nicht sehr
viel.
3. Kommt darauf an
Die Nervensägen wollten von mir wissen, welche Pot-Odds man braucht, um am Flop einen Flushdraw beim Hold’em gegen einen Drilling spielen zu dürfen. Die richtige Antwort ist hier Nr.3: Kommt darauf an. Die Herren gaben sich mit dieser Antwort nicht gleich zufrieden und hakten nach. Es müsste doch eine klare Linie geben, wie viel Geld im Pot zu sein habe, um den Flushdraw korrekterweise weiterzuspielen. Ich würde es nur nicht sagen, weil ich’s nicht wüsste, ob ich sie mit meiner Antwort beleidigen will, meine Mutter hätte Schweißfüsse usw. Ausnahmsweise hatte ich hier niemanden veräppelt, denn es kommt wirklich darauf an. Hier die Fallunterscheidung:
1.Spieler: 2h3hGegner: 8c-8sBoard: Ks-Dh-8hSiegchance: 24,64 %2.Spieler: 2h3hGegner: 8s-9dBoard: Dh-8h-8cSiegchance: 24,79 %3.Spieler: 2hKhGegner: 8s-9dBoard: Dh-8h-8cSiegchance: 25,10 %4.Spieler: AhKhGegner: 8s-9dBoard: Dh-8h-8cSiegchance: 26,31%
Man kann weitere Fälle dazunehmen, die aber Zusatzchancen wie Backdoorstraßen oder Overpair beinhalten und deshalb trivial sind. Nur zum Beispiel:
Spieler: Kh-JhGegner: 8c-8sBoard: Dh-8h 3sSiegchance: 26,46 %Spieler: Kh-JhGegner: 8c-8sBoard: Ks-8h-3hSiegchance: 29,79 %
Also: Es kommt darauf an!!
Im Jahre 1987 arbeitete ich mich durch das Gesamtwerk von Danny Kleinman, einem Backgammonautor, durch.
Eine anspruchsvolle Aufgabe, da Kleinman sich am Grat zwischen Genie und Wahnsinn bewegt und man deswegen viele seiner Artikel nachrechnen, zumindest aber logisch überprüfen muss. Das hat mir aber nicht geschadet, denn obwohl es viel Arbeit war, wurde dadurch mein Urteilsvermögen so geschärft, dass ich im Folgejahr Weltmeister wurde. Eines seiner Bücher hat den Titel „Vision laughs at counting“ was auf Deutsch in etwa „Übersicht schlägt Erbsenzählerei“ bedeutet. Darin wird postuliert, dass es zwar gut ist, sich die mathematischen Grundlagen zu erwerben, aber dann, um die Übersicht zu behalten, nur darauf zuzugreifen, wenn es wirklich nötig ist. Wie viel Weisheit in diesem kurzen Ausspruch liegt wird einem klar, wenn man sich die frühen Arbeiten abstrakter oder surrealer Maler ansieht. Picasso, Dali, Miro usw. haben alle ihr Handwerk solide gelernt und können sehr wohl gegenständlich malen, nur danach war es ihnen wichtiger, die Visionen frei umzusetzen.
Gut, wenn Sie wissen, wie die Quoten aussehen, aber gewinnen werden Sie nur, wenn der Gegner auch die Hand hat, die Sie ihm zuordnen. Klammern Sie sich nicht an Prozentwerten fest. Bewahren Sie lieber den Gesamtüberblick. Lernen Sie, um zu vergessen, denn
VISION LAUGHS AT COUNTING
Phillip Marmorstein
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 10.12.2007.