11 Uhr 50 – Dienstag 23.10.
Eine Order vom Oberboss: „Interviewtermin Niki Jedlicka alias „KaiBuxxe“ – Wichtig! Streng dich an!“. Was soll ich mit dem? Bloß weil er Gus Hansen beim Omaha eine Million weggenommen hat, treffe ich doch keinen Zwanzigjährigen. Ich hasse ja sowieso diesen Typ Online- Idioten. Gerade aus der Schule und ein wenig Glück gehabt und schon glaubt der wohlmöglich, er kann was! Zwanzig Jahr alt ist der Junge, wahrscheinlich bringt er seine Mutter mit zum Interview oder so! – Ich war ein richtiges Talent mit Zwanzig. Ich hätte online sicher viel mehr gewonnen, damals als der Dollar noch was wert war. Tja die Ungnade der frühen Geburt. Nur damals gab es noch kein Online-Poker. Da hatten sie gerade erst den stufenlosen Haarföhn erfunden. Überhaupt hatte niemand einen Computer daheim. Außer vielleicht der Herr Packard und sein Freund der Herr Hewlett.
12 Uhr 35 – Dienstag 23.10
Habe ein wenig recherchiert. Vielleicht, aber nur ganz vielleicht hat Niki Jedlicka alias KaiBuxxe nicht nur Glück? Mal so als extrem kühne These, weil immerhin hat er phasenweise sogar Phil Ivey das Fürchten gelehrt. – Allerdings bei Omaha und das kann ja wiederum jeder, der Glück hat – Glaube ich zumindest. Aber nur für den Fall, dass er doch irgendwie was kann, dann ist er sicher so ein tragischer Fall einer extrem einseitigen Begabung. Quasi eine Art „Rainman II“. Der zählt dann nachher im Cafehaus mit einem Blick alle Zahnstocher Und wenn ich auf die Toilette gehe, lernt er rasch das Telefonbuch auswendig. Ich kenne mich aus mit diesen Autisten. Bloß nicht berühren oder so, dann fangen sie an zu kreischen wie Dustin Hoffman! – Furchtbar. Ich glaube, ich werde einen Tisch bei der Tür wählen, damit ich mich rasch aus dem Staub machen kann. Ich bin doch nicht Tom Cruise oder so. Hoffentlich hat er seinen eigenen Pfleger und hoffentlich kommt der auch mit!
14 Uhr 10 – Dienstag 23.10
Jetzt hat mich Google aber verwirrt. Immerhin bei der EPT Barcelona war er am Finaltisch und überhaupt ein paar ganz respektable Live-Ergebnisse. Soweit so beeindruckend. Aber die schlechte Nachricht. Niki Jedlicka alias „KaiBuxxe“ wohnt in meinem Bezirk! Quasi hier in der Nähe. Das geht gar nicht, hier in der Straße bin ich der Pokergott. Hier trage ich seit fünf Jahren konsequent Pokerstars-Jacken! Da ist kein Platz für zwei und von einem Jungspund lasse ich mich schon gar nicht ans Bein pissen. – Ich werde ein paar Fragen vorbereiten für den Herrn Jedlicka. Böse Fragen! Besser noch oberböse Fragen. Bei einem Interview gibt es kein Glück und Pech. Da mache ich jede Frage zum „Bad Beat“! Da werde ich dem Herrn „Ich-wohne-in-meinem-Bezirk-Jedlicka“ die Buxxe ausziehen und seinen jugendlichen Hintern verprügeln! „Schon Pläne für die Zeit, wenn du wieder pleite bist? Was machst du dann mit deinem verpfuschten Leben?“ – So in der Art werde ich das angehen. Das ist ein guter Plan. Um 15.00 geht es los. Ich bin vorbereitet!
15 Uhr 04 – Dienstag 23.10
Schon vier Minuten Verspätung. Der Herr „Zwischendurch-Millionär“ lässt mich warten. Glaubt wohl, er kann mich so weichkochen. Zwei Minuten gebe ich ihm noch und dann pfeife ich auf ihn und das Interview. Nicht mit mir! Ich bin doch eigentlich von Beruf Starjournalist. Ich sollte exklusiv mit Doyle, Phil und Daniel parlieren und nicht auf diese hässliche Pubertätskreatur warten. Habe ich schon erwähnt, dass ich Niki Jedlicka hasse?
15 Uhr 07 – immer noch Dienstag 23.10
Die Tür des Cafehauses öffnet sich. Keine Mutter, keine Pfleger. Niki Jedlicka betritt das Lokal, kommt mit ausgestreckter Hand auf mich zu: „Schön, dass ich dich persönlich kennen lerne. Gerade habe ich deinen Roman fertig gelesen und habe mich blendend dabei unterhalten!“ – Ein kultivierter, junger Mann. Beeindruckend! Sehr sympathisch, gut aussehend und man spürt gleich sein grandioses Talent. Unauffällig vernichte ich meinen Spickzettel und stelle spontan meine erste Frage:
Götz Schrage: „Gus Hansen oder Phil Ivey? – Gegen wen spielst du lieber?“
Niki Jedlicka: „Definitiv Gus Hansen. Abgesehen davon, dass ich gegen Gus einen sehr guten Lauf habe, nimmt Phil Ivey das „kleine“ Omaha im Netz einfach ernster!“
Götz Schrage: „Kleines Omaha? – Wir reden von Pot Limit Omaha mit Blinds 200/400$!!“
Niki Jedlicka: „Für mich ist das ein großes Spiel. Selbstverständlich! – Aber ich glaube für Phil und Gus ist es auch ein wenig Spaß. Gegen Ivey zum Beispiel hatte ich am Anfang sehr erfolgreiche Duelle und irgendwann hat er dann gemerkt, dass er sich anstrengen muss gegen mich und seitdem sich Phil Ivey mehr konzentriert, spiele ich lieber gegen Gus.“
Götz Schrage: „Aber kann es schlau sein, in dieser Liga anzutreten? Wo ist da der Vorteil, gegen die weltbesten Spieler Omaha zu spielen? Oder geht es dir da doch mehr ums Prestige?“
Niki Jedlicka: „Sicher macht es Spaß, sich mit den Helden der Disziplin zu messen, aber du darfst nicht vergessen, Omaha hat einfach auch einen hohen Glücksfaktor. Das zieht eben auch die Superreichen an, weil sie da auch durchaus phasenweise den Tisch zertrümmern können. Wenn es im Netz Milliardäre gibt – also superreiche Superfische – dann spielen die ganz sicher am großen Omahatisch bei Full Tilt. – So gesehen auch eine vernünftige Entscheidung, sich in dieser Partie zu etablieren.“
Götz Schrage: „Apropos vernünftige Entscheidung. – Du bist ja enorm hinauf geschossen, sofern man online deine Bilanzen verfolgen kann, hast du ja ein paar Millionen Dollar online gewonnen und auch live läuft es ganz gut. Wäre es da nicht eine vernünftige Entscheidung, Geld in Sicherheit zu bringen? So ein Absturz ins Nichts kann bei deinen Limits schnell kommen.“
Niki Jedlicka: „Nun ja – man lernt dazu und schließlich habe ich ja schon einen kräftigen Absturz hinter mir und ich weiß, wie böse es bei Omaha laufen kann. Wobei meine erste Million hatte ich ja bei der 300/600$ Limit Hold´em gewonnen und dann habe ich dem Markus Golser beim Omaha zugeschaut und mir gedacht – auch ein lustiges Spiel. Dann gleich von Start weg zuerst einen Superlauf gehabt, bis sich leider doch die Erfahrung meiner Gegner durchgesetzt hat. – Tja dann war das ganze Geld weg.“
Götz Schrage: „Und was hast du dann gemacht? Mathematik Nachhilfestunden gegeben oder beim McDonalds Burger verkauft?“
Niki Jedlicka: „Gott sei Dank habe ich Freunde und auch meine Familie hat mir geholfen. Ich habe also eine zweite Chance bekommen und die wohl auch genützt. Deshalb stehe ich jetzt, wo ich stehe.“
Götz Schrage: „Nun ja – für mich als Romantiker. Ich finde dieser Überlebenskampf hat ja auch seine charmante Seite. Dieses monatliche Duell Mann gegen Zahlschein. – Versäumst du da nicht was im Leben, wenn du entweder Geld hast oder jemanden, der dir wieder auf die Füße hilft?“
Niki Jedlicka: „Auf diesen Überlebenskampf verzichte ich gerne. Ich finde Omaha spannend genug!“
Götz Schrage: „Stimmt auch wieder. – Du hast dich also mit ein wenig Fremdhilfe wieder aufgebaut. Wie hältst du es selbst damit? Ich meine, dich werden doch sicher viele Spieler nach dringlichen Kleinkrediten fragen!“
Niki Jedlicka: „Da habe ich durchaus meine strengen Kriterien. Mir ist vor allen Dingen wichtig, dass derjenige, der mich fragt auch wirklich und ernsthaft vor hat, seine Schulden wieder zu bezahlen. Das es manchmal anders kommt, kennen wir Spieler doch alle. Aber ich will mich keinesfalls irgendwie austricksen lassen oder so. – Da achte ich sehr darauf.“
Götz Schrage: „Bleiben wir beim auf dich achten. – Alice Miller hat doch das Buch geschrieben: „Das Drama des….
Niki Jedlicka: (unterbricht mich) „…. des begabten Kindes“.
Götz Schrage: „Ja, aber der Titel geht noch weiter: „… und die Suche nach dem wahren Selbst“. Du hast doch eine Superchance jetzt im Leben, du könntest doch irgendwas Spannendes studieren. So ein aristokratisches Bildungsstudium, Orientalistik oder vergleichende Literaturwissenschaft.“
Niki Jedlicka: „Ehrlich gesagt Götz. So etwas habe ich im Moment gar nicht im Sinn. Ich bin froh, dass ich mit der Schule und dem Zivildienst fertig bin. Jetzt genieße ich mal das Leben. – Während dem Zivildienst da hatte ich einige Zwänge, obwohl das da mit Pokern gerade losgegangen ist. Ich war bei der Caritas und wollte unbedingt nach Barcelona und sie wollten mir keinen Urlaub geben. Ich habe sogar angeboten, die Hälfte meines Gewinnes der Caritas zu spenden – als Freeroll gewissermaßen – Keine Chance. Habe mich dann krankschreiben lassen und ordentlich gewonnen. Aber Zwänge und Termine will ich einfach nicht haben und auch keinen Prüfungsstress.“
Götz Schrage: „Verstehe ich. – Vielleicht einmal ein kleiner Urlaub oder eine Reise?“
Niki Jedlicka: (schaut auf die Uhr) „In fünf Stunden sitz ich im Flieger nach Australien. Ich mag den Winter nicht hier in Wien. Ein wenig Strand und sicher auch ein wenig Poker. Da freue ich mich darauf.“
Götz Schrage: „Das hört sich nett an. Dann will ich dich nicht länger aufhalten, bedanke mich für das Gespräch und wünsche dir eine gute Reise.“
Niki Jedlicka: „Ich danke für das Interview und vielleicht melde ich mich mal aus Australien.“
21 Uhr 15 – Donnerstag 25.Oktober
Wieder ein Mail vom Oberboss: „Wann ist das Interview endlich fertig?“ Bin ja schon dabei. Noch ein wenig am Text polieren und manche Sätze ins Reine schreiben. Nur, wie soll man sich konzentrieren, wenn ständig der Skype-Chat blinkt! – Oops! Es ist Niki Jedlicka höchstpersönlich. Inzwischen in Australien angekommen und offensichtlich ausgeschlafen. Was ich ihm über Baccara sagen kann, will er wissen? Und wie man das optimal spielt? – Offenbar scheint er mich als Bezirkswolf zu akzeptieren und stellt gute und respektvolle Fragen, auf die er auch eine auch gute Antwort verdient hat. Ich strenge mich an, entwickle auf einem Blatt Papier spontan eine Basic Strategy für Baccara. Rechne, verwerfe die Theorie wieder und tippe stattdessen folgenden Satz in den Chat: „Niki- Finger weg vom Baccara. Man kann nur verlieren!“ Keine Antwort. Nichts! Zu spät! Nur ein trauriges: „Niki Jedlicka – Abwesend“ steht in meinem Chatfenster. Kann man nichts machen! Ich habe mich bemüht und nebenbei ohnedies viel zu tun.
22 Uhr 45 – Donnerstag 25.Oktober
Wieder dieses lästige Blinken im Skype-Chat.. – Niki ist wieder online „ Vielen Dank für den Tipp, aber er kam zu spät!“ Jetzt fühle ich mich fast schuldig – aber es das Blinken geht weiter. „Ich habe $70.000 gewonnen – beim Baccara!!!“. In dem Moment beginne ich ihn erneut zu hassen. So ein höhnisches Smilie hat er mitgeschickt und Menschen, die drei Rufzeichen machen, kann ich sowieso nicht leiden. Wieso haben manche Menschen einfach soviel Glück!!!
Ich krame ein paar Münzen aus meiner Hosentasche, hole das 2-Eurostück unter meinem Drucker hervor (für Notfälle dort versteckt!) und gehe hinüber in mein Cafehaus. Die Kellnerin ist neu und hübsch. Von irgendwo kenne ich sie, aber das muss sicher schon zehn Jahr her sein. Ihre Haare blond, die Figur Nuts und diesen gewissen Zug um den Mund, den man nicht bei Beate Uhse bestellen kann. Ich lege meine Münzen auf die Bar und frage nach einem großen Bier. Sie macht eine gespielt unwillige Geste und lächelt mir gleichzeitig zu „Geht aufs Haus. Götz“ – „Danke“ sagte ich und dann war ich auch wieder versöhnt mit der Welt und froh und glücklich, ich selbst zu sein. Weil vielleicht macht Geld und Erfolg tatsächlich „sexy“. Aber Scheitern macht immer noch unwiderstehlich – und beim Scheitern kenne ich mich deutlich besser aus als Niki J.
EPILOG
00 Uhr 40 – Freitag 26. Oktober
Mir ist langweilig und ich surfe durch die Online-Rooms. Da sitzt der Niki Jedlicka bei Full Tilt am großen Omaha-Tisch. Gus Hansen ist dabei, Andrew Black und andere Highroller. Niki zertrümmert den Tisch und irgendwie erfüllt mich das mit Stolz. – Schließlich kommt der Junge aus meinem Bezirk. Ich glaube, ich mag ihn.
Götz Schrage
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 30.10.2007.