Chris “Jesus“ Ferguson im Gespräch mit Götz Schrage. Über fliegende Karten und nicht vorhandene dunkle Seiten, Peter Tosh und vieles mehr. Als Intro ein kleine Geschichte zur Einstimmung. Ein spannender Pot, der Geschichte gemacht hat und mitten drinnen Chris “Jesus“ Ferguson in der ungewohnten Rolle als Underdog.
Das sonderbare Zuhause des Chris “Jesus“ Ferguson
Es war einer dieser legendären Tage in Las Vegas. Man wäre gerne dabei gewesen, trotz der Kälte und des maximalen Gedränges. Amerikaner sind ein stolzes Völkchen und warum nicht einmal alle Regler der Turboklimaanlage bis zum Anschlag hochfahren. – Final Day des Main Events 2000. Das altgediente Horseshoe. Der große Saal im ersten Stock schön herausgeputzt. Wer jemals geraucht hatte, hielt sich an seiner Zigarette fest, wohl um die Wärme der glimmenden Glut zu spüren. In den wenigen Pausen schleppten sich diejenigen, die noch genug Kraft hatten, hinaus in die Sonne. Die klammen Glieder wieder ins Leben geholt und dann zurück, um keine Hand zu versäumen.
Am Tisch die letzten zwei Kämpfer. T.J.Cloutier und Chris “Jesus“ Ferguson. Das Preisgeld für den ersten Platz schon in respektabler Millionenhöhe und zwei Männer, die es haben wollte. Jeder auf seine Art und jeder aus seinen persönlichen Gründen. T.J.Cloutier der Veteran, der schon dabei war in der guten alten Zeit, als Pokern in Las Vegas noch so sauber war wie der Latrinenwagen am Freibierabend eines tristen Volksfestes in der Provinz. Der schon fast alles gewonnen hatte und trotzdem meist nichts hatte, außer die teure Freundschaft der Buchmacher und Croupiers am Seven-Eleven Tisch. Das Main-Event hatte Cloutier noch nie gewonnen. Oft am Finaltisch gewesen und dann doch immer gescheitert.
Und dann Chris “Jesus“ Ferguson, der Mann, der in erster Linie Poker spielt, weil es ihm Spaß macht, im richtigen Moment die richtigen Entscheidungen zu treffen. Chronisch die bessere Hand zu haben und dann trotzdem den Pot zu gewinnen. Das war sein Ruf, das war, woran er glaubte.
Es war eine ganz besondere Stimmung an diesem Tag in Las Vegas und es war ein ganz besonderes Publikum. Statt verhaltener Anfeuerung wurde gejubelt, immer dann wenn Chris Ferguson einen Pot gewann. Er war an dem Tag der auserwählte Erlöser. Der Mann, der nicht genial spielt, aber perfekt. Der Mann, der so spielt, wie man sich zumindest vorstellen könnte, es auch zu schaffen und den sie wohl nicht nur wegen den langen Haaren „Jesus“ nannten.
Dann kam diese Phase, in der T.J.Cloutier die besseren Karten hatte und auch die Flops besser traf. Kämpfen musste Chris “Jesus“ Ferguson. Hart kämpfen, um weiterhin richtige Entscheidungen zu fällen und um zu überleben. Und durch kluge Manöver schaffte er es, seinen Stack auf Augenhöhe zu Cloutier zu halten. Irgendwann war sie dann da, die Minute der Entscheidung. Der Pot auf den der Mob gewartet hatte. Alle Chips wanderten rein. Chris “Jesus“ Ferguson hatte lange überlegt und er hatte eine seiner mathematisch streng durchdachten Entscheidungen getroffen. Aber er hatte sich geirrt! Massiv geirrt! Alle Chips standen in der Mitte. Chris Ferguson mit A-9 und T.J. mit A-Q. Keine Hilfe am Flop. Keine Hilfe am Turn. Niemand hatte etwas getroffen und genau deshalb war T.J.Cloutier seinem Lebensziel so nah. Es war still geworden in dem großen Raum. Beängstigend und deprimierend still. Die wenigen Cloutier Fans machten sich fertig, um still und ganz leise zu akklamieren. Nur noch der River war es, nur noch wenige Sekunden und alles wäre vorbei für Jesus und seine Jünger.
Eine Karte verbrennen, einmal tief durchatmen und mit einer eleganten und routinierten Geste zupfte der Dealer die Herz 9 aus dem Deck. Die in der ersten Reihe sahen es zuerst, fast erschrocken über diese zuckerige Zauberneun verharrten sie für einen Moment in stiller schockierter Freude. Dann wurde die erste Faust gereckt. Ein Jubel brandete auf, ein Lachen. Niemand war mehr kalt in diesem Raum. Es wurde geschrieen und gesprungen, wildfremde Menschen umarmten sich. Das war nichtmehr Poker. Das war Wrestling, Superbowl oder Oscar-Verleihung. Vielleicht ein wenig von all dem zusammen und zur gleichen Zeit an diesem ganz besonderen Tag im Horseshoe.
Chris “Jesus“ Ferguson wollte etwas sagen, wahrscheinlich, weil er es für seine Pflicht hielt. Sicher einen ganzen Satz, vielleicht auch zwei, was selten genug vorkam. Und gerade, kurz bevor er tief Luft holte, kam diese hübsche Frau angestürmt. Irgendwie hatte sie es durch die Menge geschafft und sie drückte ihn so fest und innig, wie sie nur konnte und wie es Chris “Jesus“ Ferguson wohl auch verdient hatte. Jetzt sah man die Freude in seinem Gesicht und auch die Überraschung über seine Freundin und die Kraft, die in ihren stolzen Armen lag. Und wieder musste Chris “Jesus“ Ferguson eine Entscheidung treffen. Ummittelbar und sofort auch noch. Entweder wie geplant zu sprechen oder sich trotz der leidenschaftlichen Umarmung zum Weiteratmen zu entschließen. Und nach diesem kleinen Fehler, der ihm den großen Sieg beschert hatte, fand Chris “Jesus“ Ferguson wieder zu seiner üblichen Unfehlbarkeit zurück. Er traf die richtige Entscheidung und schwieg.
Götz Schrage: „Mr. Ferguson, was zahlen Sie Youtube monatlich? Oder haben Sie den Laden gleich ganz gekauft?“
Chris Ferguson: „Zahlen? Wofür sollte ich das tun?“
Götz Schrage: „Nur ein Verdacht von mir. Man findet praktisch jede „final hand“ des Main Events bei Youtube. Bis hin zu den alten Zeiten von Jack Straus und dem jungen Stu Ungar. Nur ausgerechnet ihre Hand, als Sie mit einem lächerlichen 3-Outer gegen T.J.Cloutier antreten – Nichts, absolute Mattscheibe.“
Chris Ferguson: „Da tun Sie mir unrecht. Ich denke da sehr gerne zurück und würde mich sehr freuen, das zu sehen. Für welches Magazin arbeiten Sie nochmals?“
Götz Schrage: „PokerOlymp!“
Chris Ferguson: „Richtig! Dann lassen Sie mich bitte einen kleinen Aufruf starten. Liebe PokerOlymp Leser, wenn einer von Euch diese Hand auf seiner Festplatte hat, bitte gleich hochladen bei Youtube. Dankeschön! – Hat das Ihre Frage jetzt beantwortet?“
Götz Schrage: „Ja, vielen Dank, Herr Ferguson. Gehen wir zurück zu Ihrem zweiten Bracelet. Am Schluss Heads-up gegen Men the Master beim Omaha High/Low 8 or bether. Ich tippe mal, Men the Master hatte gut seine 16 kleinen Bier. Jetzt meine Frage und ich bitte Sie um eine ehrliche und aufrichtige Antwort. Hätten Sie den Funken einer Chance gehabt gegen Men the Master, wenn sich die Anzahl seiner Biere damals noch im einstelligen Bereich bewegt hätte?“
Chris Ferguson: (lacht herzlich) „Ehrliche Antwort? Man weiß es nicht. Schließlich hat beim Pokern jeder seine Chance. Eines kann ich allerdings garantieren, hätte ich 16 Bier getrunken, ich läge wahrscheinlich noch heute unter dem Tisch und hätte den Sieg ganz sicher verschlafen. – Übrigens, das war damals mein drittes Bracelet.“
Götz Schrage: „Sorry, Herr Ferguson. Immerhin wissen wir jetzt, dass Sie kein geeichter Biertrinker sind. Aber eine andere Frage, entschuldigen Sie bitte mein klischeehaftes Denken – von wegen langen Haaren und so? Haben Sie eigentlich den Peter Tosh Song „Legalize it“ auf Ihrem iPod? Und wenn ja, aus gutem Grund?“
Chris Ferguson: (nach meiner Interpretation verräterisches Glucksen) „Guter Song. Vielleicht sollte ich mir den wirklich aufspielen. Mehr möchte ich dazu aber nicht sagen.“
Götz Schrage: „Ja, aber gibt es einen dunklen und spannenden Punkt in Ihrer Vita? Vielleicht einmal einen texanischen Antisemiten mit einem gezielten Faustschlag vom Tisch gefegt und deshalb eine Nacht in Polizeiarrest verbracht oder so?“
Chris Ferguson: „Leider nein. Da ergab sich einfach noch nicht die richtige Gelegenheit. Ich fürchte, das einzig dunkle an mir sind meine langen Haare und mein Cowboy-Hut, den ich noch dazu – um wenigstens dahingehend ein Geständnis abzulegen – daheim äußerst selten trage.“
Götz Schrage: „Apropos daheim. Sie haben ja diese äußerst spannend zu verfolgende Chris Ferguson Challenge gestartet – Also quasi die Herausforderung mit Null zu beginnen und sich über Freerolls und kleine Limits eine solide Bankroll aufzubauen. – Sitzen Sie da wirklich selbst daheim vor dem Computer und kämpfen, oder haben Sie da Ihre Assistenten.“
Chris Ferguson: Absolut und mit 100% Garantie spiele exklusiv nur ich auf meinem Account. Wenn Sie mein Avatar sehen, sitze ich auch davor – Nur eben ohne Cowboyhut.“
Götz Schrage: „Also, dass man gerade mit seinem Lap-Top beim McDonalds sitzt und gegen Sie sein Paar Asse verliert, während Sie sich gerade bei der Kassa nach einer Riesenportion Pommes Frites anstellen, kann man ausschließen?“
Chris Ferguson: „Definitiv. Wenn Ihnen das passiert, dann hat jemand meinem Computer gestohlen. Dann sprechen Sie mich bitte sofort an!“
Götz Schrage: „Kommen wir zurück zu Ihrem Turnierspiel und der lückenhaften Dokumentation bei Youtube. Nach meinem Eindruck spielen Sie nie eine Hand, gewinnen deshalb nie einen Pot und zwei Stunden später haben Sie trotzdem ganz viele Chips vor sich stehen. – Bringen Sie die von daheim mit oder stecken Ihnen die Spieler die aus Mitleid und wegen Ihrem imposanten Beinamen zu.“
Chris Ferguson: (wieder herzhaftes Lachen) „Das wäre schön. Eine wunderbare Idee, die Chips von daheim mitbringen! Aber ich glaube fast, das ist nicht erlaubt und über meine mangelhafte dunkle Seite haben wir ja bereits gesprochen.“
Götz Schrage: „Sie haben recht, vergessen wir das mit der dunklen Seite endgültig und kommen zum sonderbaren Teil Ihrer Persönlichkeit. Sie haben sich über Jahrzehnte die Fähigkeit antrainiert, Karten so schnell zu werfen, dass Sie damit im Flug Gurken und Bananen durchschneiden können. – Haben Sie sich schon mal überlegt, was Sie da eigentlich tun?“
Chris Ferguson: „Ja, ich werfe Karten nach Gurken und Bananen und das tue ich höllisch schnell.“
Götz Schrage: „Nein, ich meinte, was dahinter steckt. Sie wissen doch – Wien, die Stadt Sigmund Freuds. Wir denken da über die Dinge nach. Sie benutzen das Werkzeug, dass Sie zum vielfachen Millionär gemacht hat – nämlich die Karten – und werfen es mit Gewalt gegen unschuldiges Gemüse von unzweifelhafter phallischer Symbolik. Kann es nicht sein, dass Sie einfach genug haben und keine Lust mehr haben, jeden Tag zwischen hässlichen Männern zu sitzen und Karten zu spielen?“
Chris Ferguson: „Sagten Sie Wien? – Ich habe, gehört ihr seid ein sonderbares Völkchen. Negativ, Sie irren sich! Ich liebe meinen Job und alles was damit zu tun hat.“
Götz Schrage: „Und Sie liebes es, jetzt nach Wiesbaden zu fahren? Ich meine Sie sind Millionär. Fahren Sie in die Karibik, da ist es schöner oder kommen Sie nach Wien, wir haben die besseren Museen!“
Chris Ferguson: „Jetzt will ich Ihnen einmal ernsthaft und aufrichtig etwas sagen. Ich liebe es, Poker zu spielen. Mich fasziniert dieser Sport. Ob hohes Limit oder kleines Limit. Ob Honolulu oder Wiesbaden. Dort wo Poker gespielt, dort ist immer ein Stück weit mein Zuhause“
Götz Schrage: „Herr Ferguson. Ich danke Ihnen für das Gespräch und ich danke Ihnen für diesen letzten Satz.“
Chris Ferguson: „Ich danke Ihnen – es war wirklich (zögert). Nun ja, es war wirklich interessant.“
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 19.09.2007.