Jan Gustafsson hat sich das Buch von David Sklansky und Ed Miller zur Brust genommen und exklusiv für die PokerOlymp-Leser rezensiert. Lesen Sie weiter und Sie erfahren, ob Sie dieses Buch in Ihrer Bibliothek brauchen oder das Geld doch als Buy-In für’s nächste Turnier verwenden. (Aus wohl informierten Kreisen haben wir erfahren, dass unsere werter Redaktionskollege Jan Gustafsson mit Hochdruck an der deutschen Übersetzung des hier besprochenen Werkes arbeitet. Mehr dazu in Kürze.)
Auf dieses Buch war ich schon lange sehr gespannt. Das jüngste Kind aus dem Hause 2+2 sollte sich endlich dem Thema No Limit Hold’em Strategie widmen. Auf dem Sektor hatte ich bislang noch nicht viel in die Finger bekommen. Zu Limit Hold’em gibt es ja mittlerweile eine große Auswahl an Lesbarem, aber brauchbares NL Material ist Mangelware. Es gibt das gute und inzwischen fast klassische Kapitel von Doyle Brunson in seinem „Super System“. Dazu ein interessantes Buch von Phil Gordon, „Phil Gordons Little Green Book“. Ansonsten die Turnierbücher von Harrington und Erick Lindgren. Aber No Limit „cashgames“ waren bisher von der Literatur ziemlich vernachlässigt worden. Dabei boomt das Spiel sowohl in Casinos als auch online wie nie zuvor. Schließlich hat nicht jeder Lust, 8 Stunden in einem Turnier zu spielen, nur um wieder kurz vor dem Geld rauszufliegen oder beim Limit Hold’em die Aufs und Abs zu beklagen. Im US-Fernsehen feiert die Show „High Stakes Poker“ Erfolge. Kurzum, No Limit Holdem ist in.
Zu den Autoren muss nicht viel gesagt werden. David Sklansky ist der Pokerautor schlechthin und hat Generationen von Spielern beigebracht, dass Pokern etwas mit Mathe zu tun hat, welche Starthände was taugen, was ein Semi-Bluff ist etc.Ed Miller hat sich mit 2 Büchern über Limit Hold’em ebenfalls einen Namen gemacht, worauf auch der Name seiner Website, „NotedPokerAuthority.com“, (selbstironisch?) hinweist.
Als ich das Buch nun endlich in den Händen halte, werde ich beim Überfliegen der ersten Seiten gleich positiv überrascht und habe dennoch Grund, mich zu ärgern. Wie das?Auf Seite 21 wird sofort einer meiner Lieblings-„moves“ preisgegeben. Nämlich auf dem River all-in zu gehen bzw. viel zu erhöhen, wenn man selbst Nuts oder zumindest eine Riesenhand hält. Die meisten Spieler erhöhen hier instinktiv nur wenig, „um ausbezahlt zu werden“. Aber die Autoren rechnen vor, dass ein all-in, um dem Gegner die „Chance“ zu geben, den größtmöglichen Fehler zu machen, häufig eine höhere Erwartung hat. Hat bei mir gegen misstrauische Spieler schon sehr häufig gut geklappt. Müssen die denn das verraten?
Das Buch ist unterteilt in „Fundamentals“, also grundlegende Theorien zu No Limit, und „Concepts and Weapons“, konkretere Spielkonzepte. Wobei im 2. Teil viele der Fundamentals Ideen wiederholt werden, was auch beabsichtigt ist. Alles ist sehr theoretisch und teils recht mathelastig gehalten. Wer Anleitungen erwartet wie „mit AK erhöhen Sie auf 3xBig Blind und setzen auf dem Flop 2/3 des Pots.“ oder „Wenn Ihr Gegner nun raist, folden Sie.“ wird enttäuscht.
Stattdessen versuchen die Autoren, die Gesetzmäßigkeiten hinter dem Spiel zu ergründen und beschäftigen sich mit Themen wie „bet-sizing“, „implied odds“, „Blocking Bets“ und so weiter. Ein bißchen wirkt es, als werde Sklanskys Klassiker „The Theory of Poker“ auf No Limit Hold’em angewandt. Keine leichte Kost, dafür viele Denkanstöße und Ideen, die es bisher nirgends zu lesen gab.
Ein paar dieser Ideen können mich nicht restlos überzeugen. Etwa der Ansatz, dass man die Höhe seines Raises vor dem Flop variieren sollte, je nachdem, ob man mit seiner Hand potentiell einen großen Pot (kleine Paare) oder einen kleine Pot (AK etc.) spielen will. Die Argumentation macht zwar Sinn, aber ist das nicht etwas leicht zu durchschauen? Die Gegner sind ja auch nicht alles Idioten, und mir scheint es wichtiger, die eigene Hand nicht durch die Höhe des Raises zu „verraten“ und diese grübeln zu lassen. Ich werde jedenfalls erstmal bei meinem Standard Raise von 3-3.5 Big Blinds bleiben.
Ähnlich skeptisch stehe ich dem grundlegenden Tipp „ große bets sind für große Hände, kleine bets für kleine Hände“ gegenüber. Natürlich wieder logisch, aber mir wieder zu transparent. Will ja nicht, dass die Konkurrenz zu leicht erkennt, ob ich was hab oder nur bluffend den Pot einsammeln möchte.
Gut gefällt mir beim Weiterlesen dann das Kapitel über den „call-bluff“, die Idee auf dem Flop nur zu callen, um zu sehen, ob der Aggressor den Turn noch mal setzt. Wenn nicht, kann man sich den Pot bluffend unter den Nagel reißen.. Klappt natürlich nicht immer, aber eine wichtige Waffe, die zum Standardrepertoire eines guten NL Spielers gehört.
Schön sind auch die „Sklansky-Chubukov-Rankings“, eine Tabelle, die nachweist, dass es selbst mit verdächtigen Händen mathematisch besser sein kann, all-in zu gehen als zu folden, sofern die Stacks klein genug sind. Essentielles Wissen für jeden NL-Spieler, besonders für Turnierexperten.
Und so weiter. Mir gefällt nicht alles in dem Buch, aber für jeden, der sich ernsthaft mit No Limit Hold’em beschäftigen möchte, gibt es keine Alternative. Kaufen! Und zwar sowohl Turnier- als auch Cashgame Spieler. So viel frisches kontroverses Material gab es in Buchform noch nie, viele Geheimnisse werden gelüftet, die bislang höchstens in den 2+2 Foren (twoplustwo.com) bekannt waren. Patentrezepte werden nicht angeboten, No Limit Hold’em ist schließlich auch ein kompliziertes Spiel. Wer keine erwartet, aber das Spiel besser verstehen möchte, wird nicht enttäuscht werden.
Jan Gustafsson\'
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 22.10.2006.