Das Gesetz großer Zahlen ist von den für Pokerspieler wichtigen mathematischen Grundlagen sicherlich das am meisten missverstandene. Im Wesentlichen sagt es aus, “dass sich die relative Häufigkeit eines Zufallsergebnisses in der Regel der Wahrscheinlichkeit dieses Zufallsergebnisses annähert, wenn das zu Grunde liegende Zufallsexperiment immer wieder durchgeführt wird.”
Neben ein paar Füllworten enthält diese Aussage drei Bestandteile:
- Die relative Häufigkeit eines Zufallsergebnisses
- Die Wahrscheinlichkeit dieses Zufallsergebnisses
- Das zu Grunde liegende Zufallsexperiment
Versuchen wir nun am Beispiel eines Münzwurfes diese Bestandteile zu erklären:
Das zu Grunde liegende Zufallsexperiment ist in diesem Beispiel das Werfen einer Münze, die als Zufallsergebnis nach dem Wurf entweder Kopf oder Zahl zeigen kann. Bei einer regulären Münze, die nicht gezinkt ist, beträgt die Wahrscheinlichkeit der Zufallsergebnisse jeweils 50% für Kopf oder Zahl.
Die relative Häufigkeit eines Zufallsergebnisses ist nun nichts weiter als die Häufigkeit des Zufallsergebnisses geteilt durch die Anzahl an Münzwürfen. Sagen wir zum Beispiel, wir hätten die Münze zehn Mal geworfen und es wäre acht Mal “Kopf” gekommen. Die relative Häufigkeit des Zufallsergebnisses “Kopf” ist 8 geteilt durch 10 also 0,8 oder auch 80%. Absolut betrachtet kam “Kopf” dabei drei Mal öfter, als wir erwartet hätten.
80% weicht noch sehr stark von der erwarteten Wahrscheinlichkeit von 50% ab. Das Gesetz der großen Zahlen besagt nun, dass wir uns in der Regel näher an die 50% annähern werden, wenn wir die Münze immer weiter werfen.
Angenommen wir werfen die Münze weitere zehn Mal und diesmal erscheint sechs Mal “Kopf”. Nun haben wir bei 20 Würfen 14-mal “Kopf” gezählt. Das entspricht einer relativen Häufigkeit von 70% und liegt damit im Einklang mit dem Gesetz der großen Zahlen, obwohl die absolute Abweichung sogar noch um eins gestiegen ist. Wir hätten nach zwanzig Würfen erwartet, dass “Kopf” zehn Mal kommt, nicht 14 Mal.
Die meisten Leute erwarten intuitiv nach dem ersten Durchgang von 10 Würfen, dass im zweiten Durchgang öfter “Zahl” kommt. Denn der “Vorsprung” von “Kopf” müsse ja ausgeglichen werden. Es gibt aber kein Gesetz, das dies Bestätigen würde. Eine solche Erwartung beruht auf einer Mischung aus Aberglaube und Fehlinterpretation des Gesetzes der großen Zahlen.
Das tatsächliche Ergebnis des zweiten Durchgangs ist komplett unabhängig von Ergebnis des ersten Durchgangs. Münzen haben kein Gedächtnis und (um Mike Caro zu bemühen) selbst wenn sie eins hätten, wären ihre Muskeln zu schwach, um das Ergebnis in irgendeiner Weise zu beeinflussen.
Es ist allerdings durchaus üblich, dass die Abweichung der absoluten Häufigkeit mit der Anzahl der Durchführungen des Zufallsexperiments zunimmt. Würden wir die Münze eine Million Mal werfen und hätten dabei 501.000 Mal “Kopf” gezählt, läge die absolute Abweichung bei 1.000! “Kopf” kam 1.000 Mal öfter als erwartet. Die relative Häufigkeit aber wäre mit 50,1% sehr nah an den erwarteten 50%.
Die Aussage “auf lange Sicht gleicht sich alle aus” ist also mit Vorsicht zu genießen. Was wir wirklich mit ziemlicher Sicherheit sagen können, ist lediglich, dass nach sehr sehr vielen Wiederholungen allesrelativ ausgeglichen wird.
Welche Bedeutung hat das nun für Poker?
Es gibt übliche fehlerhafte Gedankengänge, die ich am Pokertisch mitbekomme, welche unter anderem aus einem Missverständnis des Gesetzes der großen Zahlen resultieren:
“Der kann ja nicht schon wieder Asse haben!”
“Ich habe meine letzten vier Flush Draws nicht getroffen, jetzt bin ich ja mal fällig.”
“Es kann doch nicht sein, dass ich seit zwei Stunden nur miese Karten bekomme.”(Letzteres ist oft verbunden mit grundlosem Beschimpfen des Dealers.)
Professionelle und semiprofessionelle Spieler unterliegen auch oft dem Trugschluss, dass ihr aktueller schlechter Lauf in nicht allzu ferner Zukunft von einem zumindest eben so großen guten Lauf wieder ausgeglichen wird. Darauf sollte sich kein Spieler verlassen. Vor allem nicht, wenn er von seinem Pokereinkommen leben möchte.
In Online-Foren findet man immer wieder Beispiele für extreme und unnachgiebige Downswings, die belegen, wie wichtig es für professionelle Pokerspieler ist, eine ausreichende Bankroll zu haben, die auch lange Durststrecken abfedern kann.
Noch eine Sache: Ich habe in der Betrachtung ganz bewusst außer Acht gelassen, dass das Gesetz der großen Zahlen den Zusatz ‘in der Regel’ enthält.Das bedeutet, dass nicht einmal die Annäherung der relativen Häufigkeiten an den Erwartungswert sicher ist. In der Wahrscheinlichkeitsrechnung wird deswegen mit Konfidenzintervallen und ähnlichem gearbeitet, was aber den Rahmen dieses Beitrags gesprengt hätte.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 02.01.2011.