Heute wollen wir unseren Leser eine ganz besondere Story präsentieren. Es geht um einen jungen Russen, der völlig am Boden war und sich mit Poker ins Leben zurückgespielt hat. Der Journalist Ingo Schmidt-Tychsen hat Rustem Saparov auf seinem steinigen Weg begleitet und seine Geschichte festgehalten:
Rustem Saparov bei der GSOP MaltaZuerst war Rustem Saparov traurig. Jetzt aber, zwanzig Minuten nach seinem Ausscheiden beim Main Event der Grand Series of Poker in Malta am vergangenen Samstag, setzen sich andere Gefühle durch. „Ein 13. Platz in einem Feld von 333 Spielern ist nicht so schlecht“, sagt er.
Und: „Ich habe alles gegeben. In die Geldränge bin ich gekommen, ohne ein einziges Mal Preflop meinen gesamten Stack zu riskieren.“ Seine rote Trainingsjacke trägt Saparov lässig über der Schulter. In seiner Erschöpfung nach drei Tagen und über 22 Stunden reiner Spielzeit liegt gleichzeitig Stolz. Der junge Deutsch-Russe erinnert an einen müden Fußballer nach einem 1:1 bei Bayern München. Soll ich mich freuen oder ärgern?
Um wirklich niedergeschlagen zu sein, hat der Pokerprofi allerdings schon zu viel erlebt. „Willst du meine ganze Geschichte hören?“, fragt er. Ja, wollen wir und diese Geschichte hat es wahrlich in sich.
2002 war er mit seiner Familie aus Jekaterinburg nach Deutschland gezogen, Rustem war damals 14. Sein Vater, ein Biophysiker, hatte in Berlin-Buch eine Stelle als Forscher angenommen.
Vier Jahre später wechselte der Vater nach Linz, Rustem blieb mit seiner Mutter in Berlin zurück. Die beiden bezogen eine Wohnung in Mitte. Die Großstadt, viele russische Freunde – Saparov fühlte sich wohl. Dann, im September 2007, ein Anruf aus Linz: Der Vater war tot. Lungenkrebs. Die Ärzte hatten die Schwere der Krankheit bis zuletzt nicht erkannt. Die Saparovs konnten sich nicht einmal voneinander verabschieden.
Schon vor dem Tod seines Vaters hatte Saparov im Internet gepokert und ein bisschen Geld gewonnen, doch jetzt spielte sich der 19-Jährige in Trance. Es gab nur noch zwei Zustände: Schlafen oder spielen. 10 Stunden täglich. „Ich bin morgens aufgewacht und habe die Welt gehasst, bis ich am Computer saß.“ Beim Spielen konnte er vergessen, verdrängen. Nachts im Bett kamen die negativen Gefühle wieder hoch, „bis ich endlich eingeschlafen bin“. Für Saparov war das Pokern Therapie und Droge zugleich.
An sein Studium der Wirtschaftsinformatik in Potsdam mochte Saparov damals nicht mehr denken. In der Trauer stapelten sich die Probleme. Ein Anwalt versprach der Familie eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung plus üppiger Rente. Heraus kamen 400 Euro monatlich und ein Visum nur für Rustem. Der Anwalt stellte trotzdem 15 000 Euro in Rechnung.
Rustem Saparov und Journalist Ingo Schmidt-Tychsen gemeinsam am TischDie ehemaligen Kollegen des Vaters boten Hilfe an. Sie würden Rustem finanziell unterstützen, unter einer Bedingung: Er müsse das Studium wiederaufnehmen und in ein Studentenwohnheim ziehen. „Ich aber wollte unabhängig bleiben“, sagt Saparov. Also spielte er weiter. Und gewann weiter.
Leistungsdruck beschreibt er als den schlimmsten Feind. Saparov durfte nicht versagen. Die Miete, die Kosten für den Anwalt, seine Existenz in Berlin – alles hing an den Karten. Rustem Saparov war allein, am Telefon versuchte die Mutter von Russland aus, ihren Sohn zumindest zu längeren Pausen zu überreden, wenn es mal nicht so lief. „Ich habe sie angeschrien“, sagt Saparov. Er steht auf und muss eine Rauchen. Als Saparov wiederkommt, sagt er: „Meine Mutter hatte natürlich recht. Eine Pause in verlustreichen Phasen hätte mich noch erfolgreicher gemacht. Mit negativen Emotionen trifft man schlechte Entscheidungen.“
Inzwischen ist Saparov etwas gelassener geworden. Vor drei Wochen hat „Towergaming“ sich als Sponsor angeboten, für die GSOP werden seine Buy-Ins plus Reisekosten finanziert. Der Druck ist also nicht mehr so hoch wie früher? „Naja“, sagt Saparov. „Jetzt spiele ich zwar nicht mehr um meine Existenz, aber für ein Team. Und gewinnen will ich sowieso. Immer.“
Mehr über Saparov und sein Team kann man unter nation.towergaming.com Seine Website heißt www.saparovpoker.com und auch dort gibt es interessante Infos.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 30.11.2010.