Längst nicht so überflutet mit Touristen ist Galway, wie ich das von vergangenen Besuchen im Sommer in Erinnerung hatte. Im Dezember sei es immer sehr ruhig, erklärte mir gleich nach der Ankunft Desmond, der Taxifahrer. Desmond, das sei angemerkt, ist nicht irgendein Taxifahrer, sondern wahrscheinlich der einzige der Welt, der schon in den zweiten Satz des Gesprächs mit seinem Fahrgast den Begriff „pittoresk“ einbaut. So nämlich, sagt er, sehe Connemaras Landschaft mit all ihren Farbschattierungen im Dezember aus, was das Jahresende aus seiner Sicht zur besten Zeit macht, die Halbinsel zu besuchen.
Ob das stimmt, habe ich noch nicht überprüfen können, denn die Zeit für Ausflüge war aus naheliegenden Gründen begrenzt bislang, mal abgesehen von einigen Spaziergängen entlang der Bucht und durch die City. Zumindest der Umstand, dass sich abseits der Ferienzeit wenige Touristen nach Galway verirren, bestätigt sich im sehr ordentlichen Radisson-Hotel. Solche Gäste wie die aus der Pokerkarawane haben sie hier wahrscheinlich nicht oft, und schon gar nicht so viele davon. Die Schlange von Nerds vor der Rezeption am ersten Turniertag war ein amüsanter Anblick.
Selten habe er den Feierabend so herbeigesehnt wie heute, raunte mir mein Lieblingsrezeptionsmensch zu, während er zwischen hunderten Check-Ins den vor dem Hotel-Eingang in Brand geratenen Aschenbecher löschte. Nicht nur die Rezeptionisten mussten sich umstellen, auch die Reinigungskolonne dürfte ihre Schichten verschoben haben angesichts all der Nachteulen, die vier Tage lang das Hotel bevölkern und mehrheitlich die Türen zu ihren Zimmern bis in den späten Mittag mit „Do not disturb“-Schildern pflastern.
Eine wunderbare Stadt und einen adäquaten Austragungsort hat sich Pokerstars für das erste Turnier der neu ins Leben gerufenen UKIPT ausgesucht. Und alle Beteiligten geben sich Mühe, das Turnier zu einer runden Sache zu machen. Eine Schar von Helfern steht bereit, alle Fragen zu beantworten und im Zweifel auch Bad-Beat-Geschichten klaglos zu ertragen. Die Resonanz seitens der Spieler belohnt sie dafür nicht.
Bis zu 400 hätten im üppig dimensionierten Turniersaal mitspielen können, aber letztlich waren es nur 270 Spieler, die sich vom knapp 500.000 Euro schweren Preiskuchen ein Stück abschneiden wollten. Etwas enttäuscht seien die Pokerstars-Leute, heißt es. Trotzdem spiegelt die angenehme Atmosphäre an den Tischen die liebevolle Organisation, was auch mit dem Umstand zusammenhängen mag, dass der Ire als solcher gerne Geschichten erzählt. Einen einzigen der vielen mir am Tisch begegneten Kontrahenten habe ich in der „Unsympath“-Schublade einsortiert, und das war einer der wenigen Deutschen im Feld.
Namen kann ich weder in dieser Hinsicht nennen noch in sportlicher. Wer genaues wissen will über den Turnierverlauf, dem sei das lesenswerte Galway-Blog von Pokerstars empfohlen. Allein schon, weil ich mich in der irisch-britischen Turnierszene noch schlechter auskenne als in der deutschen, lasse ich nur ein paar Anmerkungen zu meinem Turnierverlauf folgen.
Turnierpoker ist nicht mein Ding, ich spiel ja auch kein Lotto. Zwar nehme ich amüsiert zur Kenntnis, dass mich die Turnierseite pokerprolabs als Spitzenkönner und Fünf-Sterne-Ass führt, aber ich weiß es trotzdem besser. Theoretisch bin ich zwar vor allem dank der phantastischen Theorie-Serie „Things it took me a while to learn“ von Tony Dunst wahrscheinlich ok, Highstakes-Turniere spiele ich nachweislich profitabel, und vor der Galway-Reise hatte ich mich obendrein zu ein paar Trainingssessions am ICM-Rechner gezwungen, um mein Shortstack-Spiel zumindest halbwegs dem eines Fünf-Sterne-Asses würdig zu machen. Aber speziell mit effektiven Stacks von 20 bis 40 BB fühle ich mich am Tisch trotzdem nicht komfortabel. Mein Timing ist suboptimal, mal stelle ich es zu leicht rein, mal bin ich zu weak. Ist wahrscheinlich Übungssache, aber diese Übung fehlt mir nun einmal als Cashgame-Spieler, der aufblüht, je tiefer es wird.
Dass ich mit kleineren Stacks kein gutes Timing habe, hat mir Galway einmal mehr schmerzlich bestätigt. Einmal hab ich preflop TT sehr tight gefoldet in einem Spot, über den ich im Nachhinein denke, dass ich den Stack in die Mitte hätte stellen sollen. Und einmal durfte ich nach einer 4bet mit Q2s mit ansehen, wie mein Gegner 5bet-shovt, musste folden und hatte auf diese Weise knapp ein Viertel meines Stacks versenkt.
Tief war es zu Beginn in Galway, stundenlang sogar, und damit stand die Strategie fest. Mancher Turnierexperte empfiehlt ja, zu Beginn die Arschbacken zusammenzukneifen, tight zu spielen, und das auf diese Weise aufgebaute Image später auszunutzen. Ich mache es eigentlich immer andersherum in der Annahme, dass mein Edge über einen Tisch voller Turnierspieler größer ist, je tiefer die Stacks sind. So bin ich auch dieses Turnier angegangen und habe in den ersten vier, fünf Levels wahrscheinlich einen VP$IP von deutlich über 30 gehabt in dem Bemühen, jeden marginalen Spot mitzunehmen und nach Möglichkeit postflop so viel wie möglich zu reißen.
Und das funktionierte erstaunlich gut, denn nennenswerten Widerstand gab es nicht trotz teilweise absurder Frequenzen meinerseits, etwa einer Cbet-Quote von geschätzten 90 Prozent während der ersten Levels. Große Pötte habe ich kaum gewonnen, aber dafür einen kleinen nach dem anderen, so dass schon nach knapp zwei Stunden der Stack von 20.000 auf knapp 30.000 Chips gewachsen war. Die finale Hand vor der Pause (AA, was sonst) ging dann zwar mächtig nach hinten los und hat mich meinen halben Stack gekostet, aber das war zu verkraften, denn es blieb ausreichend Raum, die einmal begonnene Spielweise weiter durchzuziehen, so dass der Stack bald wieder oberhalb des Turnierdurchschnitts angekommen war.
Schon bei der Deutschen Meisterschaft neulich in Hamburg haben g2p2-Turnierexperte Exameter und einige andere mit mir geschimpft, dass ich nicht mitspiele und einen solchen auch für Nicht-Turnierspieler profitablen Spot einfach so sausen lasse. Wahrscheinlich zu Recht. Es ist schon erstaunlich, wieviele Leute im Feld eines Turniers mit 2.000 Euro Buyin nicht wirklich wissen, was sie tun. Ein paarmal hatte ich z.B. bei Diskussionen über „Lol-Live-Spieler“ aufgeschnappt, dass Spieler der alten Casino-Schule ein All-in eher als Stärke interpretieren denn als Versuch, mit einem Draw die Foldequity zu maximieren. Dass das stimmt, weiß ich seit Galway.
Bei Blinds von 200/400 eröffnet ein ebenso freundlicher wie sehr tighter, älterer Ire UTG, bekommt zwei Coldcalls, ich im BB mit JJ, effektive Stacks etwa 35.000. Tough spot, dachte ich erst, ist es aber eher nicht angesichts des tighten Spielers in UTG. Während gegen kompetente Villains mit halbwegs aggressiver Dynamik hier trotz der tiefen Stacks, trotz seines UTG-Openers mein Stack reinginge, dürfte es in diesem Fall ein klarer Coldcall sein, auch wenn sich Setmining mit Jacks ein bisschen weak anfühlt. Flop AJ9hh, UTG macht ne cbet von gut halben Pot, und am CO raist ein verrückter Franzose, der permanent seine Toppaare überspielte und bevorzugt dann raiste (und hinterher die Karten zeigte), wenn er garantiert keine Action von Schlechterem bekam. Da hab ich etwa 30 Sekunden geschauspielert und dann per „All-in“ meinen Stack in die Mitte geschoben. Ein sehr kräftiger Raise, den ich angesichts der vergleichsweise schwachen Range des Franzosen und der deswegen angenommenen Foldequity auch mit QThh oder T8hh so gespielt hätte. UTG ringt sichtbar mit sich, foldet schließlich, dann ringt der Franzose auch, foldet ebenfalls und zeigt AQ.
Am Tag danach treffe ich den Iren vor dem Hoteleingang. Nachdem wir das Wetter besprochen hatten, sagt er mir, dass er 99 gefoldet hat und fragt, was ich hatte. „Queen ten of hearts“ lüge ich erst, aber als er sich dann ärgert, rücke ich doch mit der Wahrheit heraus. Und dann erklärt er mir zu meinem Entsetzen, dass er mich am ehesten auf einem Draw à la QThh gesehen hätte, hätte ich den Raise des Franzosen gecallt. Und in dem Fall hätte er natürlich mit seinem Set drübergeshovt. Oje, lol Livepoker, und ich denke über Balance nach. „My bad, nice fold, sir.“
Aber auch so war mein Stack bald bei knapp 70.000 angekommen, die Top Ten des Feldes waren in Reichweite, ein gutes Gefühl, das ich mit an einen neuen Tisch nahm, an dem ich endlich mal eines der Gesichter erkannte. John Duthie, den Pokerstars flächendeckend im Hotel plakatiert hatte, durfte ich mir nun live, in Farbe und aus allernächster Nähe angucken. Darüber war ich gar nicht einmal böse. Online habe ich ein paar hundert Hände gegen den Mann gespielt und bilde mir ein, in etwa auf dem Schirm zu haben, was der so anstellt am Tisch, während er keine Ahnung gehabt haben dürfte, wer ich bin. Erstaunt war ich, mit welcher Ehrfurcht die Einheimischen ihm begegneten. Wer Duthie auf Stars spielen sieht, der sieht ebenfalls die lange Warteliste von Mid-/Highstakes-Grindern an seinen Tischen, und für diese Warteliste gibt es einen Grund.
Trotzdem waren gut 70.000 das Allzeit-Hoch im Turnierverlauf. Bald musste ich wieder umziehen und feststellen, dass ich an einen ungünstigen Tisch geraten war. Den irischen Pokerstars-Pro Jude Ainsworth rechts von mir fand ich ganz gut, aber direkt links von mir ein loose-unberechenbarer Ire und links davon zwei sehr aggressive, junge, kompetente Spieler, alle drei mit größeren Stacks als ich waren ein ungünstiges Szenario. An dem Tisch habe ich meinen einzigen großen Stunt des Turniers hingelegt und den halben Stack in einen gar nicht einmal so toll getimten Bluff investiert:
Blinds 500/1.000, Hero mit knapp 60.000 eröffnet am Hijack mit T9hh, 3 fold, und im BB callt ein wilder Osteuropäer vermutlich recht loose. Flop J55 (ein h), und der BB feuert eine Leadbet. Kein schlechter Move mit Air gegen einen optisch weak-tighten Enddreißiger wie mich, dachte ich und calle mit zwei Hintertüren und der Absicht, den Pot am Turn oder River einzusacken. Turn K, BB checkt, Hero bettet gut halben Pot, BB callt. Mist, war seine Leadbet wohl doch nicht Air. River blankt, BB checkt, und Hero kann mit 10-high den Pot wohl nur gewinnen, wenn er bettet.
Immerhin kann ich hier noch ein störrisches AK reppen, bette nochmal gut halben Pot und bin ganz schön am Schwitzen, bis er dann nach langem Tanken endlich foldet. Puh. Im Lauf der folgenden Orbits hab ich dann festgestellt, dass Villains Leadranges am Flop eher stark sind, und der beste Weg, zu starke, schlecht balancierte Leads auszubeuten ist Fold und nicht Float. Naja, egal, ist ja gutgegangen.
Danach ging aber nicht mehr viel und schon gar nicht gut. Hero ist fortan carddead, kommt mit keinem Steal oder Resteal mehr durch, und nach und nach schmilzt der Stack weg bis auf 28.000 bei 1000/2000 Blinds und Ante 200. Da find ich mit supertightem Image im Hijack 55, stell es rein, werd vom CO mit 99 gecallt, und aus die Maus. So blieb wenigstens eine Menge Zeit, die Cashgames in Irland anzutesten. War eine Reise wert, nächstes Jahr bin ich wieder da.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 16.12.2009.