Erst sechs Wochen ist es her. Ein bis dato unbekannter Spieler betritt die Bühne, mischt die teuren Tische bei Full Tilt auf und wird binnen kürzester Zeit zur Legende. Niemand weiß, wer sich hinter dem Screenname Isildur1 verbirgt und dennoch kennt ihn jeder Pokerfan. Er ist der Spieler, der Tom Dwan, den Herrscher der High Stakes im Internet innerhalb weniger Tage um sechs Millionen Dollar erleichtert, monströse Sessions absolviert, alles wieder verliert, die Hälfte zurückgewinnt und wenig später erneut mit leeren Händen dasteht.
Sicher, vordergründig ist Isildur1 ein guter, ein sehr guter Pokerspieler. Er ist aggressiv, geradezu unfassbar aggressiv und zwang Tom Dwan (zur Illustration: Dwan gewann von den insgesamt 27.773 Händen der durrrr-Challenge gegen Patrik Antonius 14.966, also eindeutig überdurchschnittliche 54 Prozent, die für seine Führung durchaus den Ausschlag gegeben haben können) mit dessen eigenen Waffen in die Knie. Er liefert sich mit den besten Cashgame-Spielern der Welt Duelle auf Augenhöhe und hat schon manchem empfindlichste Niederlagen zugefügt.
Doch anders betrachtet ist Isildur1 womöglich ein schlechter, ein sehr schlechter Pokerspieler, der die einschlägigen Kapitel der Pokerliteratur (die meist im hinteren Teil der Bücher auftauchen) überlesen, vergessen oder nicht kapiert zu haben scheint: Tilt, Rechtzeitiges Aufhören, Bankroll-Management.
1. Tilt: Bevor er zuletzt die 4,2 Millionen gegen Brian Hastings verlor, die seine Bankroll erneut vernichteten, hatte Isildur1 bereits drei brutale Niederlagen gegen Patrik Antonius, Ilari Sahamies und Brian Townsend einstecken müssen. Gelernt hat er daraus nichts und sich jeweils bei nächster Gelegenheit wieder an die Tische gesetzt. Es scheint, er habe sich das Ziel gesetzt, seine Verluste möglichst schnell wieder hereinzuholen – ein Ansatz, der selten gut geht, wie selbst jeder regelmäßige Low-Limit-Spieler weiß.
2. Rechtzeitiges Aufhören: Während sich die meisten Profis (und auch andere) ein Verlustlimit setzen, kennt Isildur1 nur eine Grenze: kein Geld mehr im Account. Zwar ist es mathematisch völliger Quatsch, wegen eines bestimmten Verlusts aufzuhören und eine Pause einzulegen, doch herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Qualität des eigenen Spiels nachlässt, wenn es schlecht oder gar miserabel läuft. Einzig Chip Reese sagte man nach, sein Spiel sei von dem Verlauf der Session jederzeit unabhängig gewesen.
Ein noch wichtigerer Faktor ist die Übermüdung. Vier bis sechs Heads-Up-Tische gleichzeitig zu spielen ist enorm anstrengend. Viele Spitzenspieler trauen sich dies nicht zu und schon gar nicht über Stunden. Als Isildur1 gegen Hastings sein Desaster erlebte, hatte er bereits über 7.000 Hände in den Knochen. Gewiss, Hastings erwischte eine perfekte Session, doch mag Übermüdung seitens seines Gegners ebenfalls eine Rolle gespielt haben.
3. Bankroll-Management: Während sämtliche Lehrbücher etliche Seiten darauf verwenden, die Prinzipien des BRM zu erläutern, hat Isildur1 hier offenbar nur weißes, unbedrucktes Papier im Schrank. In seinem Buch Advanced Pot-Limit Omaha empfiehlt Jeff Hwang für Shorthanded-Partien 50 bis 60 maximale Buy-Ins als notwendige Bankroll für ein bestimmtes Limit. Mehrfach verweist Hwang auf die größeren Anforderungen bei PLO, da diese Variante einfach eine höhere Varianz aufweist. Für reines Heads-Up sind diese Zahlen sicherlich noch nach oben zu korrigieren.
Isildur1 ist ein faszinierender Pokerspieler und vermutlich geht sein Faszinosum auch von seiner Unerschrockenheit, seiner finanziellen Anarchie und seinem wilden Ungestüm aus. Seine Moves am Pokertisch begeistern, doch vielleicht ist sein vordergründiger, scheinbar unbändiger Siegeswille nichts anderes als Sucht. Die Sucht zu verlieren.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 10.12.2009.