Mehr als bei jeder anderen Variante geht es beim Turnierpoker um den Angriff auf das Dead Money. Dies liegt zum einen daran, dass in Turnieren durch die Blinds und Antes das Dead Money besonders groß ist und zum anderen daran, dass die Blinds und Antes einen so hohen Anteil der Stackgrößen ausmachen.
Schrumpft der Stack eines Spielers und die Blinds und Antes steigen, stellt er häufig fest, dass das Geld im Pot vor dem Austeilen der Karten einen beträchtlichen Anteil seiner Chips darstellt. In den mittleren und späteren Phasen eines Turniers geht es deshalb häufig darum, das Dead Money anzugreifen und gleichzeitig einen anderen Spieler genau daran zu hindern.
Obwohl der Begriff “Dead Money” in der Regel benutzt wird, um Geld zu beschreiben, das von einem Spieler gesetzt wurde, der nicht mehr in der Hand ist, verwende ich ihn etwas allgemeiner und beziehe mich dabei auf jede Bet oder jeden Raise, die/den ein Spieler nicht machen würde, wenn er wüsste, dass er gecallt wird. Dazu zählen erzwungene Einsätze wie Blinds und Antes, aber auch Bluffs, Semi-Bluffs und Versuche, die Blinds zu stehlen.
Die meisten Turnierspieler erkennen die Notwendigkeit, Ihre Anforderungen für einen Raise zu lockern, wenn die Blinds und Antes ansteigen, und das gilt sogar für schlechte Spieler. Natürlich sind einige besser als andere, aber den meisten ist dieses Konzept bewusst. In unterschiedlichem Ausmaß verteidigen die meisten Spieler in den großen Online-Turnieren auch ihre Blinds mit loosen Calls und aggressiven Reraises.
Angriff auf das Dead Money
Glücklicherweise investieren Spieler vor allem dann mehr Geld, als ihre Hand eigentlich wert ist, wenn es um die Blinds und Antes geht. Ein Turnierspieler, der überdurchschnittlich abschneiden will, muss lernen, sich in diesen Situationen zur Wehr zu setzen. Dies bedeutet, Situationen zu erkennen, in denen die Gegner Geld investiert haben, das sie nicht verteidigen können, und dieses anzugreifen.
Eines der bekanntesten Beispiele ist der sogenannte Re-Steal. Nehmen wir an, Sie sind im Small Blind, ein weak-tighter Spieler sitzt im Big Blind und auf dem Button ist ein starker Turnierspieler. Folden alle Spieler bis zum starken Spieler, wird dieser vermutlich mit einem sehr breiten Spekturm raisen, um die Blinds zu stehlen, weil der Big Blinds selbst so starke Hände wie Ax Tx foldet. Nun können Sie den starken Spieler reraisen, weil Sie wissen, dass der Betrag den er in den Pot investiert hat, nicht annähernd der durchschnittlichen Stärke seiner Hand entspricht.
Anhand dieses grundlegenden Beispiels kann man sich weitere verbreitete Situationen vorstellen, in denen gute Spieler mit Händen setzen oder raisen, die sie ohne die zusätzliche Equity, den Pot manchmal ohne Showdown zu gewinnen, folden würden. Die Continuation Bet, bei der ein Preflop-Raiser auf einem nichtssagenden Flop in einen oder zwei Spieler hineinsetzt, ist ein weiteres gutes Beispiel. Durch einen Raise oder Check-Raise einer Continuation Bet eines starken, aggressiven Spielers gewinnen Sie häufig ohne größeren Kampf einen hübschen Pot, sofern Sie dieses Manöver sparsam einsetzen.
Genauso sollten Sie nach einem eigenen Raise in später Position und einem Call eines starken Spielers in den Blinds die Möglichkeit berücksichtigen, dass dieser von einem Steal ausgeht und einen Angriff startet. Übernimmt er auf dem Flop mit einem Einsatz die Initiative, ohne Ihre typische Continuation Bet abzuwarten, können Sie einen Raise oder Call (mit der Absicht, den Pot später zu stehlen) in Betracht ziehen. Hätte Ihr Gegner eine starke Hand, würde er schließlich Ihre Continuation Bet abwarten, oder?
Immer wenn ein guter Spieler setzt, lohnt sich die Frage, ob er dafür eine gute Hand braucht. Schauen wir uns dies in der Praxis an:
Bei Blinds von 100/200 und einem Ante von 25 schiebt ein guter Spieler zwei Plätze vor dem Button seine letzten 1.200 Chips in die Mitte. Braucht er dafür eine gute Hand? Nicht im geringsten! Da der Pot etwa 40 Prozent seines Stacks ausmacht, ist es absolut denkbar, dass er mit beliebigen Karten All-In geht.
Nun raist ein anderer guter Spieler vom Button auf 2.400. Benötigt er dafür eine gute Hand? Nicht unbedingt. Vermutlich hat er erkannt, dass der All-In-Spieler beliebige Karten haben kann und er diesen deshalb mit jeder Hand, die gegen ein Zufallsblatt 40 Prozent Equity besitzt, mit einem Reraise isolieren kann. Dazu gehören auch „Monster“ wie Qx 5x und 9x 6x .
Sind Sie noch am Zug, können Sie ein All-In erwägen, um eine Menge Dead Money zu erzeugen. Foldet der zweite Spieler – was er ziemlich häufig muss – bekommen Sie gegen die zufällige Hand des All-In-Spielers 4 zu 1 für Ihr Geld. Selbst wenn der zweite Spieler callt, bekommen Sie sehr gute Odds und sind nicht unbedingt mit einem Monster konfrontiert. Obwohl die Action Raise All-In, Reraise und Re-Reraise All-In suggeriert, dass alle Spieler eine gute Hand haben, muss dies also überhaupt nicht der Fall sein.
Verteidigung des Dead Money
In seinem Buch “Turnierpoker für fortgeschrittene Spieler” stellt David Sklansky folgende Behauptung auf: „Wenn Sie einer der besten Spieler im Turnier sind … sollten Sie vor allem, wenn es um einen großen Anteil Ihrer Chips geht, knappe Situationen vermeiden.“ Vielleicht weil Sklansky nicht im Detail erklärt, was eine „knappe Situation“ sein soll, wird dieser Rat häufig falsch interpretiert und muss als Rechtfertigung für einige ziemlich haarsträubende Folds herhalten.
In Wahrheit muss man als sehr starker Turnierspieler einige starke Calls machen. Es wäre schön, wenn man seinen Stack einfach nur durch Steals und Re-Steals aufbauen könnte, ohne jemals einen Bad Beat oder einen Showdown zu riskieren. Die kleinen Stacks bei den meisten Online-Turnieren führen jedoch dazu, dass ein guter, aggressiver Spieler bei einem Angriff auf den Pot seine gesamten Chips riskiert. Da ein Raise nicht möglich ist, kann man aus dieser Situation nur mit einem starken Call Kapital schlagen.
Nehmen wir zum Beispiel an, Sie raisen vom Button mit Ax 9 und ein guter Spieler in den Blinds geht mit Vierfachen Ihres Raise All-In. Selbst wenn es um alle Ihre Chips geht, sollten Sie einen Call ernsthaft in Betracht ziehen. Genauso sollten Sie vermutlich einen Check-Raise eines guten Spielers in den Blinds callen, wenn Sie als Preflop-Raiser mit Ax Qx auf einem Flop mit 7x 2x 2x gesetzt haben. Gegen schwächere Kontrahenten sollten Sie dagegen eher folden, da diese vermutlich seltener bluffen.
Viele Spieler begehen in einer solchen Situation den Fehler, Ihre Hände unabhängig vom Kontext zu betrachten. Sie wollen nicht mit allen Chips callen, wenn Sie auf dem Flop kein Paar oder vor dem Flop nur ein Ass mit kleiner Beikarte haben, und folden deshalb häufig die vermutlich beste Hand. In einer Situation, in der Sie mit einem sehr breiten Spektrum an Händen setzen oder raisen und einen Gegner haben, der dies erkennt, ist es oft ein Fehler, eine der stärkeren Hände nur deshalb zu folden, weil Sie nicht so stark ist, wie Sie sich dies beim Einsatz Ihrer letzten Chips wünschen.
Der korrekte Ansatz besteht darin, die Gesamtsituation zu berücksichtigen. Schreiben Sie Ihrem Gegner ein realistisches Spektrum an Händen zu, bei dem die Möglichkeit besteht, dass er mit einer schwächeren Hand als erwartet einen Angriff startet. Dann schätzen Sie Ihre Equity gegen dieses Spektrum ab. Obwohl dies in der Hitze des Gefechts nicht möglich ist, lohnt es sich solche Situationen nachträglich mit einem Programm wie PokerStove zu analysieren, um ein besseres Gefühl für die richtige Entscheidung zu bekommen.
Fazit
Für einige Leser werden die genannten Beispiele alte Hüte sein. Ich hoffe jedoch, dass der von mir vorgestellte, grundlegende Rahmen bei der Anhäufung von Chips in Turnieren vor allem gegen bessere Spieler hilfreich ist. Im Gegensatz zu den meisten Cash-Games, bei denen es um Implied Odds, Value Bets und ausgetüftelten Bluffs in mehreren Setzrunden geht, ist das Erkennen und Angreifen von Dead Money beim Turnierpoker ein entscheidendes Kriterium. Das bekannteste Beispiel dafür ist das Stehlen der Blinds, aber genau aus diesem Grund ist dies oft nicht die effektivste Methode. Erfahrenere Spieler haben gegen diese verbreitete Taktik Gegenstrategien entwickelt und um diese zu schlagen, müssen Sie andere Situationen erkennen, in denen die Stärke der Hände Ihrer Gegner vermutlich nicht der Größe des Pots entspricht, den sie aufgebaut haben.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 08.07.2009.