Weit geschnittene Ärmel. Der Stoff teuer und tiefschwarz glänzend. Zweifellos ein italienisches Hemd und vielleicht deshalb trotz seiner angedachten seidigen Großzügigkeit viel zu eng für die unendlich kräftigen Oberarme.
Ganz sicher ein schöner Mann. Die geligen, ebenfalls tiefschwarz glänzenden Haare zu einem streng geometrischen Zopf gebunden. Die Haut gebräunt, die Zähne gebleicht, das Kinn energisch und diesen gewissen kalten, harten Zug um den Mund, den man auch braucht, wenn man glaubt, sein Geld in der Nacht verdienen zu müssen.
Als Spieler ein Verlierer. Unbarmherzig schwach und chancenlos schlecht. Jeden Tag frische Scheine. Sorgsam sortiert und säuberlich gefaltet. Am Ende nichts als Leere. Manchmal ging es rasch, manchmal wurde das gewisse Ende quälend lang hinausgezögert. Lästige Glücksträhnen, die nichts ändern konnten und letztendlich den Zweck der Übung nur unnötig aufhielten. Die Kassa als Ort des Gebens und Nehmens blieb ihm für alle Zeit verborgen. Jetons wurden geholt und am Spieltisch verarbeitet. Zurück blieb ein Friedhof der weißlich transparenten Plastikkisten, die dann später im ewigen Zyklus des Casinolebens eingesammelt und frisch befüllt auf neue hoffnungsvolle Kundschaft warteten.
Viel sprach er nicht und Freunde am Spieltisch hatte er keine. Kurze knappe Kommandos an die Kellner, wortloses Trinkgeld für die Dealer. Durchaus ansehnlich von der Höhe, aber verächtlich, ja fast angewidert von der Gestik. – Manchmal läutet das kleine luxuriöse Handy sein hysterisch drängendes Läuten. Dann ging ein Ruck durch den Mann mit den unendlich kräftigen Oberarmen. Alles was grob an ihm war, wurde zart. Alles was hart an ihm war wurde weich, auch der scheinbar gemeißelte ebengleiche Zug um den Mund verflüchtigte sich zu einem kleinen, kaum sichtbaren Lächeln. Der sonst so abweisend kalte Tonfall änderte sich zu einem charmant aufmerksamen Singsang. Was er sagte, verstand ich nicht und doch schien mir alles sonnenklar. Das war jetzt seine Disziplin. Das war jetzt, was er wirklich konnte. Seine Art das Spiel der Nacht auch am Tag zu spielen und neue Beute zu holen für hungrige Kartenspieler, die auch morgen wieder auf ihn warten würden.
„Junge“ sagte ich zu ihm, weil ich wusste, dass ich Junge sagen durfte. „Mit den Weibern telefonieren, das kannst du. Meinen Respekt. Gute Show: Praktisch Nuts.“ Kaum war ich fertig mit meinem ungelenken Satz ,schämte ich mich auch schon für das Wörtchen „Weiber“, das so weit weg war von meiner Sprache und aus meinem Mund ein Spur zu jovial und anbiedernd klang. Doch das schien ihn nicht weiter zu stören. Er legte das kleine luxuriöse Handy vor sich auf den Spieltisch und beugte sich zu mir: „Das war kein Theater. Keine Spur. Ich verstell mich nicht. Ich schwöre es, weil ich meinen Mädchen so dankbar bin. Schau, ich bin faul und ich bin wahrscheinlich nicht einmal schlau. Ich kann nichts, absolut nichts und brauche trotzdem viel Geld. Die einzige Prüfung, die ich geschafft habe, war der Führerschein und das hat mich genug gekostet. Und wenn ich da sitz wie ein Freier in meinem Versaceteil und die mich wetzen ohne Ende und das jeden Tag und dann ruft mich eines meiner Mädchen an, in dem Moment liebe ich es. Liebe ich sie alle vier. Alle vier lieben ist wirklich aufrichtig, weil sie mich daran erinnern, dass ich nichts kann, als Geld zu verarbeiten – solange bis alles weg ist und nichts mehr da. –Aber jetzt reicht es mir. Ab jetzt spiel ich gutes Poker und fahre mit dem Geld in die Dominikanische und die Mädchen nehme ich auch mit, weil sie es verdient haben.“
Keiner am Tisch hatte ein Wort verstanden und keiner am Tisch hatte gewagt, etwas zu sagen. Der gefährliche Chinese auf Platz Drei hatte ein Raise gemacht und der trockene ungarische Schachprofi hatte ohne Zögern bezahlt. Zwei Karten lagen da, wartend zwischen einem gar nicht so großen Jetonturm und einem kleinen luxuriösem Handy. Seine gebräunten, sorgfältig manikürten Hände hoben eine der Karten vorsichtig an, sodass nur wir beide sie sehen konnten. Ein rotes Ass. Dann die zweite Karte, ebenso vorsichtig und vielleicht ein klein wenig hoffnungsvoller – eine schwarze Sieben. „Bezahlt“ sagte er und schob all seine Jetons in die Mitte des Tisches. Da spürte ich, ich hatte einen neuen Freund. Und ich wusste in dem Moment, seine Mädchen würden niemals die Strände der Dominikanischen Republik sehen und das machte mich irgendwie traurig. – Aber selbstverständlich ebenfalls nur für einen ebenso flüchtigen Moment.
Dieser Artikel erschien auf PokerOlymp am 10.04.2008.